Lesung am 9. November 2017 im Rahmen des Hamburger Krimifestivals veranstaltet von der Buchhandlung Heymann, dem Literaturhaus Hamburg und dem Hamburger Abendblatt: Leonie Swann stellte ihren vierten Roman »Gray« vor, in dem sie dieses Mal einen verschrobenen Dozenten für Anthropologie und einen sprechenden Graupapagei durch die altehrwürdige Cambridge Universität stolpern und einen Kriminalfall aufklären lässt. Solch vergnügliche Krimi-Unterhaltung ist selten!
Moderatorin Maike Schiller mit Leonie Swann beim Hamburger Krimifestival am 9. November 2017
Handlung (Verlagstext):Dr. Augustus Huff, Dozent für Anthropologie an der berühmten Universität von Cambridge, hat plötzlich ein Problem: einer seiner Studenten ist in den Tod gestürzt. Nur ein tragischer Unfall oder Mord? Augustus vermutet Letzteres, denn das Opfer war alles andere als ein Engel. Ein Mörder im Elfenbeinturm – das darf nicht sein, und so macht sich Augustus, unterstützt von Gray, dem Graupapageien des Verstorbenen, auf die Suche nach dem Täter. Der Vogel erweist sich aber als vorlautes Federvieh, und zuerst stolpert Augustus von einem Fettnäpfchen in das nächste. Doch schon bald ist es Gray, der die richtigen Fragen stellt und Augustus begreift: nur gemeinsam können sie es schaffen, diese harte Nuss von einem Fall zu knacken.
Begeistert von Leonie Swanns Bestseller »Glennkill«, dem Nachfolger »Garou« und besonders auch ihrem letzten Roman »Dunkelsprung – Vielleicht kein Märchen«, dessen Rezension Sie hier finden können, war die Lektüre von Leonie Swanns neuestem Roman »Gray« für mich ein Muss!
Und abermals hat sie es geschafft, von der ersten Seite an mit ihrem besonderen Humor, den spritzigen Dialogen und liebenswert chaotischen Figuren zu überzeugen. Leonie Swanns Roman »Gray« übertrifft einmal mehr die Erwartungen. Ob sie die sonderbaren Eigenarten des Unilebens im altehrwürdigen Cambridge, die Ekstase der Kletterer auf den Zinnen der Colleges oder das Verhalten des Graupapageien Gray beschreibt, der Roman entfaltet einen Sog, der es kaum möglich macht, das Buch beiseite zu legen. Weniger aufgrund der Kriminalgeschichte, obwohl diese noch gelungener ist als in den Vorgängerromanen. Vielmehr sind es die Charaktere des Professor Augustus Huff, des Papageien Gray und auch des gerade verstorbenen Studenten aus reichem Hause, Elliot Fairbanks, der von allen Menschen unterschiedlich beschrieben, meistens aber nicht gerade gemocht wird.
Eingangs ist eben dieser Elliot Fairbanks, Student in Cambridge und versierter Fassadenkletterer, vom Turm des King’s College gestürzt. Sein Tutor Augustus Huff, der nicht an einen Unfall glaubt, da er um Elliots Kletterfähigkeiten und Umsicht weiß, beschließt, im Zimmer seines Studenten nach Hinweisen für Mord oder Selbstmord zu suchen, als er plötzlich meint, vom Hochbett aus die Stimme des Toten zu hören:
»Doof!«, näselte deutlich erkennbar die Stimme von Elliot Fairbanks auf ihn herab. Augustus merkte, wie er blass wurde. […] Er ging in die Knie, um zu sehen, ob vielleicht ein Sendegerät unter dem Schreibtisch verborgen war. »Knapp daneben ist auch vorbei!«, spottete Elliot. »Kalt. Ganz kalt. Die Trauben kannst du dir abschminken!« […] Arroganter Schnösel! Niemand konnte einem besser das Gefühl geben, ein hoffnungsloser Prolet zu sein, als Elliot. »Rah-rah-ah-ah-aah! Ga-ga-uhh-la-laa«, sang es plötzlich zwischen den Laken hervor. Eindeutig nicht Elliot. Augustus kannte den Song.
Kapitel 1 / Bad Romance / Seite 14 + 15
Einerseits weil Augustus Huff dem Tod von Elliot auf den Grund gehen und weitere Nachforschungen anstellen will und andererseits aus Mitgefühl dem verstörten Tier gegenüber, wird er ab sofort offizieller temporärer Halter des äußerst redseligen Papageis, mit dem Elliot Fairbanks offenbar Intelligenz- und Sprachforschungen betrieben hatte. Augustus Huff ist allerdings ein ganz spezieller Charakter. Von den Kollegen und Studenten wird er für seine Eigenarten teilweise belächelt und dieser Zustand ändert sich nicht gerade zum Besseren, seit er nur noch mit einem Graupapageien auf der Schulter auf dem Unigelände unterwegs ist. Augustus Huff ist einer, der Türen mehrfach abschließt, alle Dinge geraderückt, Veränderungen und Schmutz jeder Art nur schwer ertragen kann, am liebsten seinem Waschzwang frönt und immer gern alles aufräumt, was in Schieflage geraten ist.
Augustus merkte, dass seine Handflächen feucht waren. […] Ein Mord war eine schlimme Unordnung, die schlimmste überhaupt, ein Riss im Gefüge der Welt. Ein Mord musste aufgeräumt werden.
Kapitel 2 / Konsequenzen / Seite 39 + 40
Auf seiner Suche nach der Wahrheit muss Augustus Huff sich seinen Ängsten stellen und seine Zwänge überwinden, um das Rätsel zu lösen. Ganz nebenbei wird Gray für ihn zu einem unentbehrlichen Begleiter, der ihm sehr ans Herz wächst. Der traumatisierte Papagei erkennt sofort, dass er in Huff nicht nur seinen Retter und Beschützer sondern auch eine verwandte Seele gefunden hat, denn auch Gray hasst es, wenn Dinge nicht an ihrem Platz stehen. Er liebt Kekse, Trauben und Nüsse und obwohl er Huff einiges abverlangt endet ihre Beziehung keineswegs in der von Gray so oft zitierten Bad Romance.
Verrückte Ideen – wie zum Beispiel dass ein sprachbegabter Papagei bei Mordermittlungen zur Seite steht – entstehen schnell einmal, aber nicht viele Autoren schaffen es dann auch, aus so einem Einfall einen wirklich unterhaltsamen, kurzweiligen, sprachgewandten, phantasievollen Roman zu erschaffen, der sich durch seine feine Figurenzeichnung und besonderen Humor und Charme auszeichnet. Obwohl die Krimihandlung hinter den Figuren immer ein wenig zurückbleibt, ist sie ebenfalls äußerst gelungen und spannend. Sehr lange ahnt der Leser so wirklich nicht, wer der Mörder ist und warum der junge Elliot Fairbanks sterben musste. Bei der Lesung gestand Leonie Swann dann auch, dass sie nicht auf klassische Weise an das Schreiben des Krimis herangegangen ist:
»Beim Schreiben wusste ich selbst nicht, wer der Mörder ist.«
Es dauert leider wirklich lange, bis Augustus Huff begreift, dass Gray eventuell sein wichtigster Zeuge sein könnte. Er ist eben ein liebenswert schrulliger Charakter, dem Swanns Leser gern durch die diversen überraschenden Wendungen des Romans folgen. Dass auch Nebenfiguren wie zum Beispiel Elliots Mutter oder Sexy Ivy nachhaltig im Gedächtnis bleiben, ist Swanns Talent in Sachen Figurenausarbeitung zu verdanken.
Dass am Ende alles so gut ineinander greift, obwohl auch Leonie Swann sich beim Schreiben nicht sicher war, wer der Täter ist, hat der Roman natürlich der dem ersten Schreibprozess folgenden Bearbeitung zu verdanken. Langweilig wird dieser Roman jedenfalls an keiner Stelle!
Leonie Swann ist Literaturwissenschaftlerin und arbeitete an ihrer Doktorarbeit mit dem Thema »Tiere als Romanfiguren«, als sie nebenbei begann, einen Schafskrimi zu schreiben – der Rest ist schon Legende. Ihr Debütroman »Glennkill«, der inzwischen bereits in 26 Sprachen übersetzt wurde, bildete den Auftakt zu einer bemerkenswerten Karriere.
Seit einigen Jahren lebt Leonie Swann nun in der alten Universitätsstadt Cambridge. Diese erschien ihr sehr gut geeignet als Schauplatz für einen Krimi, da sie eine geschlossene Welt darstellt. Alles ist dort eher übertrieben und es gibt solch skurrile Dinge wie Nightclimbing. Dies regte Swanns Kreativität an und sie begann, für ihren vierten Roman zu recherchieren.
Schon 1937 erschien das Buch »The Night Climbers of Cambridge«, das sich inzwischen zu der klassischen Kult-Bibel der Extreme Freeclimber entwickelt hat.
Als Vorbild für den Papageien Gray diente der berühmte Graupapagei Alex, der dreißig Jahre mit der US-amerikanischen Wissenschaftlerin Dr. Irene Pepperberg lebte. Pepperbergs Studien mit Alex gelten inzwischen als ein Meilenstein der Sprachforschung. Eine Zusammenfassung ihrer Arbeit und Beispiele für Alex‘ Intelligenz können Sie in diversen Videos wie zum Beispiel hier bestaunen.
Hörbuch: DerHörverlag brachte ebenfalls im Mai 2017 die Hörbuchausgabe von »Gray« (ISBN: 978-3844525328 ) leider in gekürzter Form heraus. Sie finden das Hörbuch (1 mp3-CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 524 Minuten) samt Hörprobe hier oder mit Klick aufs Bild.
„Tatortreiniger“ Bjarne Mädel setzt den neuen Roman von Leonie Swann wunderbar in Szene und lässt seine Figuren – samt dem Krächzen des launischen Papageien Gray – lebendig werden. Swanns wunderbaren Sprachwitz und die Situationskomik des Romans bringt er großartig zur Geltung.
Die teilweise recht unheimlichen Romaneinschübe aus dem Tagebuch eines Luftikus, deren Bewandtnis sich dem Leser lange nicht ganz erschließen, liest der junge Schauspieler Christopher Heisler auf sehr eindringliche Weise.
»Die Stadt ist still, die Fenster dunkel. Als wäre niemand hier. Als wären sie alle tot.
Die frühen Morgenstunden sind mir die liebsten.
Meine Mutter hat gesagt, ich habe kein Herz. Wenn dem so ist, soll mir das recht sein. Das Herz zieht dich nach unten, in den Schmutz, in den Staub. […] Alles, was ich brauche, ist eine Maschine, die Blut durch meine Adern pumpt. Wer mehr verlangt, ist ein Idiot. Sie sind alle Idioten!«
Tagebuch eines Luftikus / Seite 121
Der Goldmann Verlag hat für die Druckversion wieder eine schöne Hardcover-Ausgabe mit liebevoll gestaltetem Schutzumschlag gewählt. Außerdem befindet sich am unteren rechten Rand jeder Buchseite eine kleine Papageien-Zeichnung, die sich als Daumenkino durch den ganzen Roman flippen lässt – wie es auch schon bei Swanns Romanen »Glennkill« und »Garou« der Fall war.
Noch ist für »Gray« keine Fortsetzung geplant, denn, wie Leonie Swann bei der Lesung erklärte, empfände sie einfach nur einen zweiten Fall mit den gleichen Eckpunkten als zu langweilig. Ihre Leser können also gespannt sein, welche unwiderstehlichen Romanhelden ihr als nächstes im Kopf herumspuken und sie dazu bewegen, sie aufs Papier zu bringen.
Fazit: Leonie Swann hat es wieder einmal geschafft! »Gray« ist eine ganz besondere Mischung aus skurriler Handlung, brillanten Dialogen und ganz besonderen Charakteren. Der wunderbar humorvolle Roman lässt sich trotz des Wissens um die Identität des Mörders, gern auch öfter lesen. Wie schon bei »Glennkill« ist der Krimi durchaus auch Lesern mit schwachen Nerven anzuraten, die im Normalfall keine Krimileser sind. »Gray« ist beste Krimi-Unterhaltung und ein federleichter Roman auf wirklich hohem Niveau und mit viel Humor und absolulter Sogwirkung.
Leonie Swanns Roman »Gray« ist im Mai 2017 für EUR 20,00 im Goldmann Verlag erschienen – gebunden, 416 Seiten, ISBN 978-3442314430.
Wer in den Roman reinlesen möchte, findet hier eine Leseprobe.
Über die Autorin: Leonie Swann wurde 1975 in der Nähe von München geboren. Sie studierte Philosophie, Psychologie und Englische Literaturwissenschaft in München und Berlin. Mit ihren ersten beiden Romanen »Glennkill« und »Garou« gelang ihr auf Anhieb ein sensationeller Erfolg: Beide Bücher standen monatelang ganz oben auf den Bestsellerlisten und wurden bisher in 26 Sprachen übersetzt. Leonie Swann ist ganz offenbar eine große Freundin der Tiere. Für ihr Pseudonym hat sie so auch gleich zwei Tiere gewählt – den Löwen und den Schwan. Dass sie ein Pseudonym für notwendig hält, begründete Leonie Swann der Moderatorin Maike Schiller damit, dass es ihr als Grenze zwischen Beruf und Privat dient. Als Wohnort hat sie sich gleich zwei Wahlheimaten ausgesucht. So lebt Leonie Swann nun umzingelt von Efeu und Blauregen in Cambridge und Berlin.
Laila Mahfouz, 31. März 2018
Links:
Die Fotostrecke zur Lesung finden Sie hier. Die Rechte der Fotos liegen bei Laila Mahfouz.
Informationen auf den Seiten des Goldmann Verlages finden Sie hier.
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