Brian Sewells Roman »Pawlowa oder Wie man eine Eselin um die halbe Welt schmuggelt« ist keineswegs nur ein Kinderbuch. Obwohl er durch literarische Finesse nicht hervorsticht, ist der Roman für jedes Alter geeignet, denn er zeigt auf märchenhafte Weise, was möglich ist, wenn ein Mensch sich selbstlos für Schwächere einsetzt. Die Rettung der kleinen Eselin Pawlowa wird zu einer Reise durch fremde Länder und lässt Mr B erstaunlichen Menschen und viel Großzügigkeit begegnen.
Verlagstext: Auf einer Reise in Pakistan sieht Mr B, ein britischer Gentleman, eine kleine Eselin: Ihr Rücken ist vollbepackt, ihre dünnen Beine zittern unter der schweren Last. Kurzerhand springt Mr B aus dem Wagen, fest entschlossen, sich um das Tier zu kümmern und es mit nach Hause zu nehmen.
Das einzige Problem: Sein Zuhause liegt in London und ein Esel kann nicht im Flugzeug reisen. Also begeben sich Mr B und Pawlowa, wie er die Eselin von nun an nennt, auf eine lange Reise durch den Nahen Osten bis nach Europa – zu Fuß. Sie werden über Grenzen geschmuggelt, von Drogendealern aufgegabelt, sie entspannen im Hamam, kreuzen die Seidenstraße und speisen mit Diplomaten.
»Mr B, ein drahtiger kleiner Mann von fünfzig Jahren mit weißem Haar, saß auf dem Rücksitz eines großen weißen Landrover, als er den Esel sah. Es war früher Abend, und der dichte Feierabendverkehr in Peschawar bewegte sich nur im Schneckentempo vorwärts – was auch gut war, denn Mr B öffnete plötzlich die Tür, sprang auf die Straße und verschwand ohne ein Wort zwischen den Karren und Lieferwagen, den Bussen und Motorrädern. […] Als Dominic Mr B eingeholt hatte, stand dieser neben einem kleinen Esel, hatte den Arm um dessen Hals gelegt und tupfte mit seinem Taschentuch das Blut von vier tiefen Wunden im Rücken des Tieres.«
Kapitel I – Mr B rettet ein Eselfohlen / Seite 9 + 11
Dies ist der Anfang des Romans und hätte auch der Anfang einer wahren Geschichte sein können, denn während einer Reise vor zwanzig Jahren sah der Kritiker Brian Sewell wirklich einmal diese junge und für ihre zarten Knochen viel zu schwer bepackte Eselin in Peschawar. Doch im Gegensatz zu Mr B gelang Brian Sewell die Rettung nicht, wie er in einem Interview zur Veröffentlichung erklärte und worauf auch die Widmung (mit […] immer noch einem schlechten Gewissen wegen jenes Esels in Peschawar) im Buch hinweist. Dass er damals nicht geholfen und die Eselin damit ihrem Schicksal überlassen hat, bedauerte Brian Sewell wohl bis ins hohe Alter aus tiefstem Herzen. Aus einem inneren Drang heraus schrieb er während seiner Krebserkrankung die Geschichte für seinen ersten und einzigen Roman so um, wie sie – seiner Meinung nach – hätte geschehen sollen. Und so handelt das Buch von Mr B, der aussteigt, sich mit der Eselin auf den langen Weg nach England macht, weil er sie einfach retten muss.
Brian Sewell ist einer der bekanntesten britischen Kunstkritiker und Kolumnist gewesen und obwohl er einige Sachbücher verfasst hat, schrieb er nie einen fiktiven Roman. »The White Umbrella«, wie »Pawlowa oder Wie man eine Eselin um die halbe Welt schmuggelt« im Original heißt, sein erster und leider auch letzter Roman, wurde 2015 in Großbritannien veröffentlicht. Im September des selben Jahres starb der Autor im Alter von 84 in London an Krebs. Es scheint, als hätte diese Geschichte einfach erzählt werden müssen, um etwas wieder gutzumachen, was nicht getan worden war.
Doch »Pawlowa oder wie man eine Eselin um die halbe Welt schmuggelt« ist nicht nur die Geschichte einer Esel-Rettung. Es geht darum, etwas zu wagen, auch wenn alle sagen, dass die Idee verrückt erscheint. Es geht darum, Vertrauen in das Leben zu haben und darin, dass es eine Lösung für jedes Problem geben wird. Ganz so wie es Mr B dann auch wirklich passiert, werden immer wieder helfende Hände ausgestreckt, wenn sie am nötigsten gebraucht werden. Schön ist auch, dass hier von einer Region berichtet wird, die heute leider nur noch durch Kriege von sich Reden macht. Die Naturschönheiten werden ebenso beschrieben wie Besonderheiten der Städte und die Eigenarten der Völker.
»Pawlowa oder wie man eine Eselin um die halbe Welt schmuggelt« erzählt von Hilfsbereitschaft, Vertrauen, Gastfreundschaft und davon, dass es überall auf der Welt Schönes zu entdecken gibt, denn Brian Sewell sorgte sich darum, dass es Kindern und Jugendlichen heutzutage oft an Neugier auf die Welt mangelt. Mit seinem Roman wollte er dazu anregen, auf eigene Faust Unternehmungen zu wagen und mit offenen Augen die Welt zu betrachten. Er wollte das Interesse für Fremdes wecken und seine Leser ermuntern, die Dinge zu hinterfragen.
»Sie kamen nur langsam vorwärts, weil Pawlowa noch nie eine Wiese gesehen hatte, und für ihre sensiblen Nüstern duftete alles so süß und frisch und warm, dass sie einfach nicht aufhören konnte zu naschen. Auch Mr B war überwältigt, allerdings von Wehmut, denn er war alt genug, um sich daran zu erinnern, dass es solche Wiesen vor dem zweiten Weltkrieg auch überall in England gegeben hatte, übersät mit dem Rot von Mohnblüten, dem Blau von Witwen- und Kornblumen und dem Gelb, Rosa und all den anderen Farbschattierungen zahlloser weiterer Blumen.
Als sie einen Schattenplatz fanden, klappte er den großen Schirm zu, beide ließen sich nieder, und dann legte Mr B den Arm um Pawlowas Hals und erzählte ihr die Geschichte der Sintflut.«
Kapitel VII – Mr B wird an der türkischen Grenze verhaftet / Seite 80
Zur Übersetzung: Die erfahrene Übersetzerin Claudia Feldmann fand auch für diesen Roman den richtigen Ton, so dass der typisch britische Humor auch im deutschen Text zu finden ist. Wie immer muss trotz der guten Übersetzung an dieser Stelle gesagt sein, dass der Originaltext natürlich noch besser ist, auch wenn die Übersetzerin sich erfreulich wenig vom Original abweichende Konstruktionen genehmigt hat.
Der Originaltext »The White Umbrella« ist aufgrund der schlichten, einfachen Sprache übrigens durchaus für Menschen geeignet, die sich noch nicht sicher genug in der englischen Sprache fühlen, um einen literarisch herausfordernden Text im Original zu lesen.
Zur Gestaltung: Das Umschlagbild der Originalausgabe wurde auch für die Übersetzung verwendet, die ebenfalls gebunden mit Schutzumschlag erschienen ist. Auch die Illustrationen von Sally Ann Lasson wurden für die deutsche Ausgabe verwendet, wenn auch etwas verkleinert. Ihre lustigen schwarz-weiß Zeichnungen erwecken die verschiedenen Romanfiguren gekonnt zum Leben. Sehr schade ist allerdings, dass die in der Originalausgabe vorn und hinten im Buchumschlag abgedruckte Karte (siehe unten), die den ganzen Weg von Mr B und Pawlowa von Pakistan bis England zeigt, in der deutschen Ausgabe fehlt. Eigentlich unentschuldbar, da es sich ja um die Beschreibung einer Reise handelt. An der englischen Ausgabe ist außerdem der goldgeprägte Eselskopf auf der Buchvorderseite noch bemerkenswert – ein schönes, wenn auch unwichtiges Detail.
Abschließend sei noch erwähnt, dass der Inhalt des Buches pädagogisch wertvoll ist. Abgesehen einzig von der Tatsache, dass die Eselin manchmal mit etwas so Abwegigem wie Eiscreme und Cremetorte gefüttert wird, diese Dinge ihr offensichtlich schmecken und nicht erwähnt wird, wie schädlich dies für ein Tier – noch dazu ein heranwachsendes – sein kann.
Fazit: Alex O’Connell schrieb in der Times, dass dieses Buch ein Kinderbuchklassiker werden sollte und ich kann ihm da nur zustimmen. Das Buch ist wie das Leben, so wie es sein sollte und es fordert dazu auf, es genau dazu zu machen.
Bedauerlich ist, dass Brian Sewell erst so kurz vor seinem Tod auf die Idee kam, einen Roman zu schreiben und dass es bei diesem einen Werk geblieben ist und wie überaus schade, dass ein persönliches Kennenlernen dieses schwierigen aber liebenswerten und offensichtlich tierlieben Menschen in diesem Leben nicht mehr stattfinden kann.
Der Reiseroman »Pawlowa« ist eine schöne, bezaubernde und weise Hinterlassenschaft des Kunstkritikers Brian Sewell. Augenzwinkernd blickt Brian Sewell auf Mr B’s typisch britische Eigenarten. Der Humor ist immer kindgerecht und auch wenn er einmal auf Kosten einer Figur geht, so wird er nie verletzend. Die liebenswerten Charaktere führen durch diese charmante, ein wenig schräge und herzerwärmende Geschichte von Freundschaft, Vertrauen und Mut, die in großen und kleinen Lesern den Wunsch weckt, die Welt zu entdecken – am besten sofort. »Pawlowa oder wie man eine Eselin um die halbe Welt schmuggelt« ist besonders gut als Geschenk geeignet, über das sich wohl jeder lesebegeisterte Tierfreund freuen wird.
Brian Sewells Roman »Pawlowa oder wie man eine Eselin um die halbe Welt schmuggelt« (Originaltitel: »The White Umbrella«) ist im März 2017 in der Übersetzung von Claudia Feldmann für EUR 14,00 im Insel (Suhrkamp) Verlag erschienen – gebunden, 173 Seiten, ISBN 978-3458177005.
Wer in den Roman reinlesen möchte, findet hier eine Leseprobe.
Über den Autor: Der Londoner Brian Sewell (15. Juli 1931 – 19. September 2015) galt als der »berühmteste und umstrittenste« (The Guardian) Kunstkritiker und Kolumnist Großbritanniens. Er verfasste zudem mehrere Autobiographien und war als großer Hunde- und Tierfreund bekannt.
Laila Mahfouz, 24. April 2018
Links:
Informationen zum Autor auf den Seiten des Insel Verlages (Suhrkamp) finden Sie hier.
Weitere Informationen zu Brian Sewell finden Sie hier.
Informationen zu Laila Mahfouz finden Sie hier.