Lesung am 25. Februar 2016 im Magazin Filmkunsttheater veranstaltet vom Literaturhaus Hamburg: Elke Heidenreich las aus ihrem drei Tage zuvor erschienenen Erzählband »Alles kein Zufall«, der Erlebtes, Beobachtetes, Zugefallenes und Gehörtes enthält. Geschichten von der Kindheit, vom Altwerden, von Liebe, Musik, Begegnungen und Hoffnung – Geschichten aus dem kunterbunten Leben, traurig, komisch, ernst und noch viel mehr.
Handlung (dem Verlagstext entnommen): Alle wollen immer glücklich sein. Aber was ist eigentlich Glück? Und wer war schon dauerhaft glücklich? Was ist dieses Leben, diese Reihe von unterschiedlichen Momenten, die manchmal wirken, als hätte irgendein Gott gewürfelt? Elke Heidenreich erzählt von sich, von Liebe und Streit, von Begegnungen und Trennungen, von Tieren, Büchern und damit von uns allen. Sie zeigt in kurzen Geschichten, traurigen und komischen Szenen all die Situationen, in denen jeder sich wiedererkennt – und die dann zusammenwachsen zu einem einzigen Roman jedes unwiederholbaren Lebens. Denn wenn man nur genau genug hinschaut, ist so ein Menschenleben mit all seinen Glücks- und Unglücksfällen alles andere als ein Zufall.
Das Magazin-Kino, in welches das Literaturhaus aufgrund des Ansturms beim Kartenverkauf ausweichen musste, war bis auf den letzten Platz gefüllt. Als Elke Heidenreich mit Rainer Moritz auf die Bühne kam, war sofort klar, dass der Abend unterhaltsam werden würde. Beide lieferten sich einen verbalen Schlagabtausch und für Rainer Moritz schien es eine Wonne zu sein, eine so schlagfertige Gesprächspartnerin neben sich zu wissen.
Für ihr neues Buch hat Elke Heidenreich eigene Erlebnisse zusammengetragen, in alten Tagebüchern und Notizen geblättert und aus den Funden neue Geschichten ersonnen. Teilweise hat sie auch Erlebnisse von Freunden und Bekannten für erzählwürdig befunden und für »Alles kein Zufall« ausgewählt. Wer Elke Heidenreichs Leben und Werk ein wenig mitverfolgt hat, wird dennoch erkennen, welche Geschichten stark biographisch sind. »Alles kein Zufall« zu lesen, hat weitere Türen zu Elke Heidenreichs Wesen geöffnet. Sie lässt teilhaben am Reichtum ihres ereignisreichen Lebens und wird dabei mal mehr, mal weniger persönlich.
Sie hat sich gefragt, was Glück ist und dabei festgestellt, dass sie schon oft glücklich war und es in den jeweiligen Situationen meistens gar nicht bemerkt hat. Ihr wird oft erst in der Rückschau ihr Glück bewusst. Die temperamentvolle Erzählerin hat dafür eine ganz einfach Erklärung:
»Ich presche durch mein Leben, mache alles schnell
und da verpasst man schon mal, dass man glücklich ist.«
Auch beim Schreiben versuchte sie bisher erfolgreich, den Marathon zu umgehen und bleibt beim Sprint. Oft stimmen ihre Geschichten nachdenklich, ebenso oft bringen sie zum Lachen und fast immer sind sie sehr kurz. Dies ist jedoch kein Mangel sondern eine spezielle Gabe. Auf den Punkt genau und oftmals mit spitzer Zunge erzählt Elke Heidenreich aus dem Leben. Ihre Leser sind ihr dankbar und lieben ihre Kurzgeschichten (und Kolumnen), die immer so viel Wahrheit in einem grenzenlos ehrlichen Ton verkünden, dass es eine Wohltat ist. Viele Texte halten uns einen Spiegel vor. Manche vergisst man vielleicht, andere bleiben für immer.
»Die Langstrecke liegt mir nicht.«
Anhand der titelgebenden Geschichte »Alles kein Zufall«, die Elke Heidenreich als erstes las, sei deutlich erkennbar, wie sie so wurde, wie sie heute ist. Auch dass die Geschichte »Yannick« hundertprozentig der Wahrheit entspräche, bestätigte sie. Bei »Friss, Vogel« habe sie unter anderem die Aufzeichnungen ihrer Urgroßmutter einfließen lassen. Dennoch passt wohl das Zitat von Thomas Mann nie besser: »Phantasie haben heißt nicht, sich etwas auszudenken, es heißt, sich aus den Dingen etwas zu machen.« Und das tut Elke Heidenreich. Sie bemerkt Augenblicke, schreibt ständig Erlebtes oder Ideen auf, auch Unterhaltungen anderer Menschen – es kann daher niemand in ihrer Umgebung sicher sein, nicht irgendwann in einer Geschichte von ihr aufzutauchen.
»Alles, was mir gefällt, auffällt, einfällt, wichtig erscheint, schreibe ich immer rasch auf irgendeinen Zettel, damit ich es nicht vergesse. Ich vergesse es natürlich doch, aber noch nach Jahren finde ich in Büchern, Schubladen, Jacken- oder Manteltaschen Zettel mit geheimnisvollen Botschaften, manchmal mit Zitatangabe, wo ich etwas gelesen hatte, manchmal nicht, dann sitze ich da und denke: Ist das von mir?«
(»Zettel«, Seite 228/229)
Bei ihrer Buchpremiere las Elke Heidenreich folgende Geschichten aus ihrem Erzählband vor: »Alles kein Zufall«, »Balkon«, »Bankpost«, »Blumen«, »Briefträger«, »Brüder I«, »Brüder II«, »Buddhist«, »Champagner«, »Don Juan«, »Geht doch«, »Haie«, »Haus«, »Hoffnung«, »Irre«, »It’s All Over«, »Kind«, »Koffer«, »Krähe«, »Lampions«, »Männer«, »Mitte«, »Navigiertes Gespräch«, »Nurejew«, »Rollschuhe«, »Serienfinne«, »Vogel«, »Vorsichtiger«, »Yannick« und »Zufall«.
Diese Begriffe waren für Elke Heidenreich Arbeitstitel, doch irgendwann stellte sie fest, dass es keine besseren Titel für die Geschichten gab. Nach längerer Überlegung meldete sie dem Hanser Verlag, dass sie ihre Texte alphabetisch nach den Titeln sortiert haben wollte, Ausnahme nur die erste und die letzte Geschichte. Nach anfänglichem Zögern stieß diese Sortierung doch auf Zustimmung. Auch für die Leser ist es dadurch leicht, eine Geschichte anhand des stichwortartigen Titels und der Reihenfolge wiederzufinden (obwohl das Buch über ein vierseitiges Inhaltsverzeichnis verfügt).
Es ist kein Zufall, dass wir Elke Heidenreich auf dem Foto im Innern der Leseprobe mit roter Samtjacke und Mops Vito sehen, nein, alles kein Zufall…
Nach ihren Wünschen sollten auf dem Buchtitel der Lurchi, die Perlenketten, ihr Füller, ihre Brille, die Aufzeichnungen der Urgroßmutter und roter Samt irgendwie arrangiert werden. Keine leichte Aufgabe für Art Director und Hanser-Titelexperten Peter-Andreas Hassiepen. Doch das Ergebnis, ein Zufallsprodukt (oder doch alles kein Zufall?) kann sich sehen lassen und begeisterte Elke Heidenreich. Alle Gegenstände sind Teil des Buches und haben eine große Bedeutung für die Autorin.
Elke Heidenreich, die erst zehn Tage zuvor ihren 73. Geburtstag feierte, wirkt noch ebenso euphorisch, quirlig und lebenshungrig wie früher und entsprechend leuchten ihre Kurztexte in allen Farben der Gefühle, lassen den Leser ebenso mit ihr jubilieren wie mit ihr stürzen und bangen.
Ihr Leben sei geprägt von vielen Leidenschaften, sagte Elke Heidenreich im Filmkunsttheater. In einer Reihenfolge wären das Musik, Natur, Tiere, dann lange nichts, dann Literatur. Wie sie in einem 2015 geführten Interview Sebastian Naumann gegenüber sagte: »Literatur ist mein Beruf und mein Leben. Aber mein großes Glück, meine große Liebe ist immer die Musik gewesen.« So ist Musik auch Teil vieler der 189 Geschichten und Geschichtchen wie zum Beispiel »Nurejew«, »Scala«, »Shanghai«, »Vogel« und »Wagner«. Oder in der Geschichte »Nachts«, in der sie mit einem Freund einen Befehl an das schwedische Nobelpreiskomitee verfasst, damit endlich Bob Dylan den Nobelpreis für Literatur erhält.
»[…] ich wollte endlich Strawinskys ‚Sacre du Printemps‘ erleben […] Die Musik ist emphatisch, orgiastisch, revolutionär […] 1921 […] wurde es ein Welterfolg, der musikalische Donnerschlag, der das zwanzigste Jahrhundert musikalisch endgültig einleitete. Die Musik ist von fast unerträglicher Kraft, archaisch, wild, agressiv, rasant, wenn man sich diesem Werk stellt, ist man verloren. […] im ohrenbetäubenden Beifall erwachte ich, Hand in Hand mit einer mir völlig unbekannten Japanerin, schluchzend wir beide, uns festhaltend, um nicht vom 5. Rang herunterzufallen in diese Wucht.
Wir sahen uns an, schämten uns und verließen beide rasch den Rang.
Aber vergessen werden wir uns nie, das weiß ich.«
(»Scala«, Seite 164/165)
Passagen wie diese lassen mich sofort nach dem Beschriebenen suchen. Ich muss mehr erfahren, es für mich entdecken, mich hoffentlich ebenso verzaubern lassen. Wieder einmal vielen Dank für diese Empfehlung, Frau Heidenreich. Diese Musik ist ein unbeschreibliches Ereignis! Wie gern hätte ich ebenfalls das Konzert in der Scala besucht, aber Dank Ihrem emotionalen Erzählen ist mir nun ein bißchen so, als wäre ich dabei gewesen.
In der NDR Talk Show vom 26. Februar 2016 wurde Elke Heidenreichs Buch vorgestellt und sie las ein paar der kurzen Texte. Hier ein ca. 17 minütiger Auszug aus der Sendung:
Random House Audio brachte ebenfalls im Februar die Hörbuchausgabe von »Alles kein Zufall« in ungekürzter Form heraus. Elke Heidenreich selbst (Wer könnte es besser!) liest ihre Geschichten mit der gewohnten angenehmen, betonten, schelmischen Stimme. Dadurch, dass sie eigene Texte liest, die oft auch noch von eigenen Erlebnissen handeln, schenkt sie ein authentisches Hörerlebnis. Manchmal scheint es fast, als würde sie dem Zuhörer wie einem guten Freund eine Geschichte erzählen.
Der Pause-Knopf sollte auf jeden Fall in Reichweite sein, denn ebenso wie beim Lesen des Buches verlangt die eine oder andere Geschichte einen Moment des Sinkenlassens, Drübersinnens oder überhaupt einen Stopp für diesen Tag.
Eine zehnminütige Hörprobe inklusive eines lustigen Audio-Interviews von und mit der Autorin finden Sie hier oder mit Klick aufs Bild. Eine weitere Hörprobe teilweise anderer Geschichten aus dem Buch finden Sie hier. Das ganze Buch ist auf 3 CDs verteilt und hat eine Laufzeit von 3 Stunden und 44 Minuten.
Elke Heidenreich verabschiedet sich von ihrem Hamburger Publikum. Hoffentlich auf bald, Elke! (Foto: Laila Mahfouz)
Fazit: Elke Heidenreichs Erzählband »Alles kein Zufall« ist ein Füllhorn an Emotionen, Gedanken, Anregungen zum Grübeln, zum Umsetzen, zum Reden und Diskutieren, Nächte lang und begeistert wie die Autorin selbst es tut!
Ein paar der Geschichten wollte ich meinem Mann vorlesen. Dann lasen wir uns abwechseln welche vor und nach jeder sagte er »Noch eine…« Diese Texte machen süchtig und daher empfehle ich das Buch uneingeschränkt allen Lesern, alt und jung, männlich und weiblich, glücklich und unglücklich. Allerdings sei angemerkt, dass die Geschichten in kleinen Dosen besser in der Seele haften bleiben, dann setzen sie sich fest und bringen Neues hervor. So viele Geschichten lösen eigene Erinnerungen aus, lassen nicken, oder sogar laut »Genau!« ausrufen oder »So ist es…« seufzen. Ein großer Wurf!
Elke Heidenreichs Erzählband »Alles kein Zufall« ist im Februar 2016 im Hanser Verlag erschienen – gebunden, 240 Seiten, EUR 19,90, ISBN 978-3446246010.
Elke Heidenreichs Erzählband »Alles kein Zufall« ist im Februar 2016 bei Random House Audio als Hörbuch mit einer Laufzeit von 3 Stunden und 44 Minuten auf 3 CDs erschienen, ungekürzt gelesen von Elke Heidenreich, EUR 19,90, ISBN 978-3837133875.
Über die Autorin: Elke Heidenreich, geboren am 15. Februar 1943 in Korbach als Elke Helene Rieger, aufgewachsen in Essen, lebt heute in Köln. Sie ist eine deutsche Schriftstellerin, Literaturkritikerin, Kabarettistin, Moderatorin und Journalistin. Auch schreibt sie Opern-Libretti, für die ihr Lebensgefährte, der Komponist Marc-Aurel Floros (44), mit dem sie seit neun Jahren zusammen ist, die Musik schreibt. Sie studierte Germanistik, Theatergeschichte und Religionswissenschaft in München, Hamburg und Berlin und arbeitete jahrelang bei Hörfunk und Fernsehen als Drehbuch- und Hörspielautorin, Literaturexpertin und Moderatorin. Zudem war sie früher Kabarettistin und wurde als Verkörperung der „Else Stratmann“ deutschlandweit bekannt. 1992 erschienen ihre ersten Erzählungen für Erwachsene, „Kolonien der Liebe“, gefolgt von einigen Kinderbüchern. Von 1983 bis 1999 schrieb Heidenreich die „Also …“-Kolumnen für die Zeitschrift „Brigitte“, von 2003 bis 2008 moderierte sie die ZDF-Sendung „Lesen!“. Seit 2008 ist sie Herausgeberin einer eigenen Edition bei C. Bertelsmann.
Laila Mahfouz, 3. März 2016
Links:
Weitere Informationen zu Elke Heidenreich auf der Seite des Hanser Verlages. Hier finden Sie auch die anstehenden Lesungstermine.
Wer mehr lesen möchte und sich dennoch bisher nicht zu einem Kauf entschließen konnte, findet hier eine Leseprobe.
Die Fotostrecke zur Lesung finden Sie hier. Alle Fotos sind von Laila Mahfouz. Ich bitte, die schlechte Qualität meiner Fotos damit zu entschuldigen, dass ich zu weit entfernt saß und die Bühne schlecht beleuchtet war.
Mehr Informationen zu Elke Heidenreich finden Sie hier.
Informationen zu Laila Mahfouz