Britta Strauß hat mit „Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit“ ein indianisches Epos geschaffen – eine Familiensage aus einer uns leider allzu fremden und lang zerstörten Welt.
Klappentext: Die junge Fotografin Sara reist durch den mittleren Westen der USA, auf der Suche nach dem einen, besonderen Foto. Als ihr in einem Museum der Comanche Makah über den Weg läuft, ist sie hingerissen. Das perfekte Gesicht für das perfekte Foto.
Doch wie erklärt sich die Vertrautheit zwischen ihnen? Was haben die intensiven Träume zu bedeuten, die sie seit ihrem ersten Zusammentreffen immer häufiger heimsuchen? Träume, die sie in die Vergangenheit reisen lassen, in eine Welt, die längst untergegangen ist. Immer mehr Fragen tauchen auf, die mit dem Verstand nicht zu beantworten sind.
Als Pflichten Sara zurück nach New York zwingen, wird sie von Visionen überwältigt. Sie spürt, dass nur Makah ihr helfen kann. Verzweifelt versucht sie, ihn wiederzufinden, doch als es ihr endlich gelingt, bricht Unheil über die beiden Liebenden herein. Schatten aus ferner Vergangenheit drohen ihr Leben zu zerstören, auf Sara wird ein Mordanschlag verübt.
Während Vision und Wirklichkeit zunehmend verschwimmen und eine tragische Liebe aus längst vergangenen Zeiten ihren Weg in die Gegenwart findet, kämpft Makah um das Leben der Frau, der sein Herz gehört.
Die Liebesgeschichten von Nocona und Naduah, Makah und Sara und auch alle anderen Beziehungen untereinander sind wunderbar ausgearbeitet und ergreifend. Die Liebesszenen sind erotisch und schön, ohne pornografisch zu werden. Die Kampfszenen sind sehr blutig, aber eben realitätsnah geschrieben. Die Handlungen faszinieren, so dass das Buch keine Längen aufweist. Die detailreichen Schilderungen lassen direkt am Leben der Comanchen teilnehmen und gewähren uns Einblicke in bisher meist verborgene Lebensumstände. Mein großes Kompliment an Britta Strauß für ihre hervorragende und sicher schwierige Recherchearbeit. Der Wechsel zwischen den zwei unterschiedlichen Zeitebenen des 19. und es 21. Jahrhunderts fällt sehr leicht und bringt noch mehr Spannung in die ohnehin nie stillstehende Geschichte.
Die handelnden Personen sind jederzeit glaubwürdig, ihre Präsenz wirkt über die Buchseiten hinaus. Nicht immer stimmt man als Leser mit ihnen überein, möchte sie aufhalten und im nächsten Moment Seite an Seite mit ihnen kämpfen, um zu schützen, wofür es sich zu leben lohnt: Ein freies Leben! Ich habe mich beim Lesen oft dabei ertappt, dass der Gedanke, in einer großen Stadt festzusitzen und keine Möglichkeit zu haben, einfach rauszugehen und einen Moment wirklich allein zu sein, mich erschreckte und frustrierte. Der schon lange gehegte Wunsch nach mehr Natur und weniger Stadt bekam mit diesem Roman so viel Nahrung, dass er nun kugelrund und nicht mehr zu übersehen ist.
Die Handlung, die die Leser im ersten Kapitel noch im Gewand eines Liebesromans erster Güte einlullt, offenbart direkt danach schon ihr anderes Gesicht. Die Liebe von Nocona und Naduah / Makah und Sara steht im Vordergrund, aber ganz klar ist es auch die Liebe zur Freiheit, zur Selbstbestimmung und Unbezwingbarkeit des Geistes, die dieses Buch so gut macht und seine Helden in all ihren Kämpfen immer noch gut dastehen lässt. Ich weiß nicht, ob überhaupt schon jemand zuvor versucht hat, ein solches Buch zu schreiben. Ein Epos der Indianer, eine Geschichte über wirkliche Begebenheiten, ein Familiendrama der Menschen, die zu Legenden wurden und deren Namen an den Lagerfeuern der Prärie noch immer zu hören sein müssen. Britta Strauß hat es gewagt. Wagemutig musste sie sein, denn dies Thema in all seiner Klarheit ist noch immer eines, das viel Menschen nicht hören wollen. Wer das Buch liest und auch nur einen Funken Leben und Freiheitssehnsucht in den Adern hat, ist auf der Seite der Indianer, obwohl Britta Strauß auch deren Grausamkeiten und kriegerische Gemetzel keinesfalls auslässt. Wer gut und wer böse war, ist am Ende egal, wichtig ist, dass wir aus der Geschichte lernen und versuchen, unsere eigene besser zu machen. Klar ist aber wohl, wer in diesen Kämpfen zwischen Weißen und Rothäuten die besseren Argumente und das Recht auf seiner Seite und wer ganz einfach die zahlenmäßige Überlegenheit und die besseren Waffen hatte.
Nach der Lektüre von „Nocona“ frage ich mich, ob Amerika jemals ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten gewesen ist. So lange es auf geradezu fanatische Weise „christlich“ (ich meine damit keineswegs die allumfassend weise Lehre von Jesus Christus, sondern das, was fanatische Gläubige, Kleriker und allen voran die mächtigen Führer der christlichen Kirchen daraus gemacht haben) regiert wurde/wird, ist Freiheit wohl nicht möglich. Frauen wurden sowieso von Anfang an unterdrückt, hatten praktisch kaum Rechte, gehörten zum Mann und mussten sich entsprechend benehmen (Ja auch hier, aber wurde hier mit der Freiheit des Einzelnen je so geprahlt?), der freie Wille wurde gebrochen, was nicht verstanden wurde, durfte nicht sein (Die Weißen, die bei den Indianern gelebt haben, wurden gegen ihren Willen zurück in ein christliches Leben gezerrt. Obwohl viele zurück zu dem freien Volk wollten, wurden sie zum Bleiben gezwungen.) Noch heute ist zum Beispiel homosexuelle Liebe in einigen Staaten der USA per Gesetz verboten. Wo ist die Freiheit, die auf dem Banner verewigt wurde? Sie war wohl noch nie für Randgruppen gedacht, nicht für die eigentlichen Bewohner des Landes, das europäische Siedler ganz einfach als ihr Eigentum annektierten, noch für Sklaven, deren Frondienste zur Tagesordnung gehörten, als schon lange von großer Freiheit die Rede war. Sie zeigt sich auch heute weder im Recht des Einzelnen, noch im Recht der Masse, die lange nicht mehr über die Finanzen, die Politik und die Machenschaften im eigenen Land bestimmt. Der Colorado River, der Jahrmillionen durch Canyons und Wüsten bis zum Meer floss, versickert heute in einem Delta aus Staub. Der gigantische Mississippi ist vergiftet. Wer sich für eine wunderbar intakte Natur begeistern kann, sollte sich dieses Beispiel für die Skrupellosigkeit der amerikanischen Regierung gegenüber dem eigenen Volk und dem eigenen Land ansehen.
Die Weissagung der Cree:
„Erst wenn der letzte Baum gerodet,
der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist,
werdet ihr erkennen, dass man Geld nicht essen kann.“
Der Roman löst ein solches Kopfkino aus, dass ich nicht nur mehrere Nächte im Traum mit den Indianern am Feuer saß, sondern teilweise wirklich dachte, ich hätte einen Film gesehen und nicht ein Buch gelesen. „Nocona“ ist aber bei Weitem nicht nur ein schöner Roman, um zwei sich ewig Liebende. Die Autorin macht auf viele Missstände aufmerksam. Britta Strauß klagt nicht nur den menschenunwürdigen Zustand der Indianerreservate und die Behandlung der Native Americans damals wie heute an, auch Themen wie die Vergiftung des Bodens, des Grundwassers und der Flüsse oder auch Fracking (chemikalisches Auslösen von Erdbeben zur Erdgas-Gewinnung) und die tödlichen Folgen für Mensch und Umwelt kommen zur Sprache. Dennoch ist die tiefe Botschaft, die hinter allem steckt klar: Liebe ist das Wichtigste im Leben! Wo Liebe ist, kann kein Hass, Krieg, Angst oder Terror sein! Wenden wir uns ihr zu, dann lösen sich Raum und Zeit auf und lassen uns ankommen.
Leider ist der Roman mit seinen 528 Seiten nur als Taschenbuch im Sieben Verlag erschienen, dennoch ist es mir irgendwie gelungen, ihn beim Lesen nicht zu zerknicken, was für die Taschenbuchqualität spricht. Erwähnenswert ist auf jeden Fall das von Andrea Gunschera hervorragend umgesetzte Coverbild – wer das Buch zu Ende gelesen hat, weiß erst, wie gut es passt. Außerdem enthält das Buch zwei Fotos von Cynthia Ann Parker (Naduah) mit ihrer Tochter Topsannah und von ihrem Sohn Quanah sowie eine kurze Erläuterung der Autorin zu den realen und fiktiven Figuren des Buches. Da alles immer im Wandel ist, will ich einfach glauben, dass durch dieses Buch auch Nocona und Naduah eine neue glückliche Zukunft geschenkt wurde.
Fazit: Die Figuren in „Nocona“ sind greifbar und der Leser fiebert mit ihnen in allen Höhen und Tiefen ihres Lebens. Britta Strauß hat ein indianisches Familien-Epos, begründet auf einer wahren Geschichte, geschaffen und mehr gewagt, als die meisten riskieren, offen auszusprechen. Sie wird damit dem wunderbaren Zitat von Ernst Fischer gerecht. Ein wirklich starker Roman einer wunderbaren Autorin und eine klare Empfehlung!
Britta Strauß „Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit“, Taschenbuch, 528 Seiten, erschienen beim Sieben Verlag für EUR 14,90 unter ISBN 978-3864430848.
Die in Sachsen-Anhalt geborene Autorin, Britta Strauß, hat seit einigen Jahren ihre neue Heimat im bergischen Land gefunden und ist dort sehr produktiv schriftstellerisch tätig. Gerade ist ihr neuer Roman „Sturmherz“ im Drachenmond Verlag erschienen. Eine Rezension von mir zu „Sturmherz“ wird in Kürze folgen.
Laila Mahfouz, 3. Dezember 2012
Links:
Homepage von Britta Strauß
Britta Strauß auf Facebook
Informationen zu „Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit“ auf den Seiten des Sieben Verlags
Eine Leseprobe von „Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit“
Unter diesem Link gewährt uns Britta Strauß Einblick in zwei Szenen aus „Nocona“, die nicht im Buch vorkommen, als kleinen Bonus. Sie empfiehlt allerdings, sie erst zu lesen, wenn man die Lektüre des Buches abgeschlossen hat, um Verwirrungen vorzubeugen.
Informationen zu Laila Mahfouz