Alexandra Kui beschreibt in ihrem fünften Jugendroman »So lange es hell ist« den Roadtrip dreier Geschwister zu einem Sehnsuchtsort ihrer Mutter. Weder die elfjährige Penny noch der fünfjährige Elias kennen den Grund für das fluchtartige Verlassen der Harzhütte, in der sie mit ihrer Mutter Katie einige Urlaubstage verbracht hatten. Dem Aufbruch, der für Mika unumgänglich und zugleich beängstigend ist, folgt eine turbulente Autofahrt mit dem Ziel, einen ganz bestimmten Leuchtturm zu finden. Mika hält rastlos und stetig an diesem Ziel fest, denn sie setzt ihre ganze Hoffnung darauf.
Verlagstext: Vom Wind umtoste Leuchttürme und über den Dünen der Sternenhimmel… Solange es hell ist, sind sie unterwegs auf ihrer Reise entlang der dänischen Nordseeküste: die fünfzehnjährige Mika und ihre kleinen Geschwister Penny und Elias. Einziger Anhaltspunkt auf der Suche nach ihrem unbekannten Vater ist ein Leuchtturm auf einem alten Foto. Doch das hält Mika lieber geheim vor Johannes und seiner Surfer-Truppe, die das Trio unterwegs aufgabeln…
Eine Irrfahrt von Leuchtturm zu Leuchtturm, ein verschollener Vater, zwei kleine Geschwister im Schlepptau: Manchmal, wenn sie nach Mitternacht aufs Meer schaut, kommt es Mika (15) vor, als ob die Pause zwischen zwei Lichtzeichen ewig dauert.
Werden die drei finden, was sie suchen?
Das Titelbild des Buchumschlags zeigt einen Leuchtturm, der in einer wunderschönen Abendstimmung in vielen Blau-, Rot- und Gelbtönen sein Licht verbreitet. Dieser Leuchtturm und vor allem die Pause zwischen den Lichtzeichen wird zum Symbol für Mikas Suche und ihr Festhalten an der Hoffnung – trotz des Dunkels in ihrem Leben.
Mika und ihre Geschwister geraten zwar immer wieder in brenzlige Situationen, bewegen sich aber stetig weiter in Richtung Norden bis sie schließlich am Meer ankommen. Ohne viel Geld müssen sie improvisieren und sich von Leuchtturm zu Leuchtturm durchschlagen.
»Man muss Ziele haben, sich etwas suchen, das einem etwas bedeutet. Sonst wird es schnell zappenduster.«
Prolog / Seite 6
Als Mika in Dänemark auf den gleichaltrigen Johannes und seine Kitesurfer-Freunde trifft, werden die drei ein Stück des Weges mitgenommen. Mika und Johannes freunden sich an und verbringen Zeit miteinander. Was empfindet sie für Johannes? Und wird Mika ihm die Wahrheit erzählen (können)? Bei einer gemeinsamen Autofahrt spielt Johannes Mika einen Song vor, der sie sehr berührt. Er heißt »The Wilhelm Scream« und spiegelt Mikas Gefühle auf eine sehr treffende Weise wider. Die wohltuende Weite von Küste und Meer wird hörbar und teils auch die Verlorenheit und Verwirrung, in der Mika sich befindet. Die kühlen Elektropop-Klänge erinnern an ein Leuchtfeuer, das sich in Intervallen einschaltet, und werden stärker, atonaler und arythmischer bis sich die Struktur des Songs gegen Ende scheinbar auflöst.
»I don’t know about my dreams
I don’t know about my dreamin‘ anymore.
All that I know is
I’m falling, falling, falling, falling.
Might as well fall in.«
Lyrics: James Blake
Wer sich in die richtige Stimmung für diesen Roman versetzen will, sollte sich »The Wilhelm Scream« anhören. Eine besonders schöne, akustische Coverversion des Songs von Kwabs (im Original von James Blake) finden Sie hier.
»Man wartet und wartet, die Nacht wird immer schwärzer, aber irgendwann dann kommt es doch. Und solange es hell ist, für diesen kurzen Moment, ist plötzlich alles ganz einfach. Du siehst den Weg wieder.«
Kapitel 19 / Seite 167
Mika erlebt einen Sommerurlaub am Strand mit Partys und anderen Jugendlichen, muss aber zusätzlich noch die Verantwortung für ihre Geschwister übernehmen und ständig aufs Neue aufbrechen und fliehen. Trotz ihrer schnoddrigen Art wird ihre Zuneigung zu ihren Geschwistern immer wieder deutlich.
Und ab und zu ist es ihr möglich, die Landschaft in sich aufzunehmen, weil sie diese Zeit braucht, um das Erlebte zu verarbeiten. Sie beschreibt die Nordseeküste als windgepeitscht, frei und sich bei niemandem einschmeichelnd. Wer ihre Schönheit nicht sehe, könne ihr gestohlen bleiben. Mika vergleicht ihren Charakter mit der rauen Landschaft und fragt sich, ob es jemanden gäbe, der diese Härte knacken könne.
In klarer, poetischer und bilderreicher Sprache schwelgt die Erzählerin in der zauberhaften sommerlichen Nordseelandschaft.
In der Geschichte geht es um genau die Sehnsucht nach Geborgenheit, Zugehörigkeit und Vertrauen. Und auch Sehnsucht nach einem Ort, an dem ihre Mutter glücklich gewesen ist und dem sich die drei stückweise annähern. Mika erhofft sich davon, dass ihre Geschwister und sie dann wieder Geborgenheit und Vertrauen erleben können und nimmt den Leser mit auf eine spannende, atemlose und sinnliche Reise.
Der Motor brummte, die Räder rollten, die Sonne links von uns stand tief, sie war jetzt ein praller roter Ball in einer Tapete aus himmlischem Hellblau, umgarnt von Rosa, Purpur und Orange, eine Farbe wie frisch gepresst.
Kapitel 8 / Seite 72
Der lakonische und sarkastische Humor des Teenagers ist sehr unterhaltsam, zum Beispiel wenn Mika über einen unfreundlichen dänischen Busfahrer denkt, er könne von seiner Arbeitsauffassung her genauso gut in Berlin-Mitte arbeiten oder wenn sie feststellt, dass das Schicksal Humor habe.
Fazit: Alexandra Kui hat einen einfühlsamen, intensiven Roadtrip-Roman geschrieben, der vom Verlorensein und der Suche nach Geborgenheit erzählt. Symbolisch stehen dafür die Leuchttürme und das Meer, Licht und Dunkel, Losfahren und Ankommen. Das Unterwegssein der Geschwister ist ein Abenteuer jenseits von Klischees. Sie erleben viele Extreme: Grenzerfahrungen und brenzlige Situationen, unfassbare Schönheit der Landschaft und kleine Freuden. Konflikte sind genauso Thema wie die Freude darüber, wenn etwas gut läuft und so etwas wie Urlaubsfeeling entsteht. Kui gelingt auf besondere Weise, sich in die Gefühlswelt einer Fünfzehnjährigen einzufühlen, die innerlich zerrissen ist, möchte, dass ihre Geschwister sicher und geborgen sind und deshalb diese Reise ins Ungewisse wagt. Dabei muss Mika Regeln brechen und bringt dadurch alle drei in Gefahr.
Die Autorin beschreibt dicht und intensiv, oft sinnlich die Stimmung der Reise, die Erlebnisse der drei und vor allem das Seelenleben Mikas und trifft dabei stets den richtigen Ton. Der teilweise philosophische Text lädt zum Nachdenken ein und ist für Jugendliche ab 14 Jahren ebenso wie für Erwachsene geeignet. Randomhouse empfiehlt es für Leser von Wolfgang Herrndorf und Andreas Steinhöfel.
Alexandra Kuis Roman »So lange es hell ist« ist im März 2018 für EUR 17,00 im cbj Verlag erschienen – gebunden, 320 Seiten, ISBN 978-3570165157.
Eine Leseprobe finden Sie hier.
Über die Autorin: Alexandra Kui wurde 1973 in Buxtehude geboren. Sie studierte Soziologie, Politikwissenschaften und Sozialgeschichte in Hamburg und arbeitete für verschiedene Tageszeitungen, bevor sie anfing, Bücher zu schreiben. Nach den Krimis »Blaufeuer«, verfilmt fürs ZDF unter dem Titel »Der Tote im Watt«, und »Wiedergänger« erschienen inzwischen drei Jugendthriller, »Lügensommer«, »Falsche Nähe« und »Stille Feindin«. Mit »Marias letzter Tag« veröffentlicht die Autorin, die auf der Geest bei Hamburg lebt und zuletzt für »Die Welt ist eine Scheibe« von den Kritikern hochgelobt wurde, ihren ersten literarischen Roman bei cbt.
Miriam K., 1. Juni 2018
Links:
Die Website von Alexandra Kui finden Sie hier.
Informationen auf den Seiten des cbj Verlages finden Sie hier.
Die Facebook-Seite von Alexandra Kui finden Sie hier.
Weitere Informationen zu Alexandra Kui finden Sie hier.
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