25. September 2015: Obwohl Nina George und Jens Kramer alias Jean Bagnol gerade erst Hamburg gegen Berlin als Wohnort eingetauscht haben, fand die Premierenlesung zu ihrem zweiten Katzen-Provence-Krimi »Commissaire Mazan und der blinde Engel« wieder in der Hamburger Speicherstadt statt.
Handlung des Romans (der Verlagsseite entnommen): Es ist ein goldener September kurz vor der Weinlese in Mazan, als die von Liebeswirren gestresste Mordermittlerin Zadira Matéo um Amtshilfe gebeten wird. Eine bizarre Pariser Mordserie scheint mit den verstörenden Bildern des gerade in die Provence übergesiedelten Malers Etienne Idka zusammenzuhängen.
Commissaire Mazan, der Katzenermittler, könnte Zadira helfen. Denn er kennt den „blinden Engel“ an Idkas Seite, der das Geheimnis um die rätselhaften Bildermorde entschlüsseln kann.
Jens Kramer und Nina George sind nicht nur seit zehn Jahren ein Paar, sie sind inzwischen auch ein eingespieltes Team, wenn es um ihre gemeinsamen Kreationen um den Commissaire Mazan geht. Dennoch handelte es sich um die erste Lesung zu ihrem gerade erschienenen Kriminalroman »Commissaire Mazan und der blinde Engel« und dementsprechend wurde das eine oder andere improvisiert, was die beiden noch sympathischer machte und ihre Figuren um so lebendiger wirken ließ. Beim Schreiben waren die Aufgaben klar aufgeteilt, nur die Figur des besonders liebenswerten Sergeant Lucien Brell schrieben beide gemeinsam. Den für die Lesung ausgewählten Text lasen die Autoren im Wechsel und gönnten sich und ihren Zuhörern immer wieder einen verbalen ehelichen Schlagabtausch, der ihnen wie auch ihrem Publikum sichtlich Freude bereitete.
Den schon aus »Commissaire Mazan und die Erben des Marquis« bekannten Hauptcharakteren, Lieutenant Zadira Matéo, Tierarzt Jules Parceval, Sergeant Lucien Brell, Polizeireporterin Blandine Hoffmann, dem Hund Atos und den Katzen, Commissaire Mazan, Faulpelz Oscar, Möchtegern-Chef Rocky, Siamkatze Louise, ingwerfarbene Himmelsläuferin Manon und Katzen-Teenager Tin-Tin, haben die beiden Autoren die ebenso plastisch wirkenden Figuren des Malers Etienne Idka, Solange Rouelle, Commissaire Arnaud Paoli, den italienischen Kater Orangino und den blinden Engel, dessen Identität ich nicht verraten möchte, an die Seite gestellt. Auch die Nebenfiguren verkommen bei Jean Bagnol nicht zu bloßen Stichwortgebern. Diese gewaltige Menagerie mit Leben zu füllen und sie dennoch im Zaum zu halten, erfordert viel Erfahrung und Geschick. Da die beiden Autoren „alte Hasen“ im Literaturgeschäft sind, gelingt es ihnen einmal mehr so gut, dass es für den Leser fast spielerisch leicht wirken mag. All die Hauptfiguren und Nebenfiguren, Täter und Opfer, Menschen und Tiere mit all ihren ganz unterschiedlichen, gelungen ausgefeilten Persönlichkeiten zu erfinden, bedarf außer Talent auch einer immensen Liebe zum Projekt.
Lieutenant Zadira Matéo: »[…] sie war wütend, dass sie als Berufsbulle offenbar nur wusste,
wie man schwere, bittere, brutale Dinge so anfasste, dass man nicht dabei draufging.
Aber Zadira Matéo, Drogenfahnderin, Überlebende mehrerer Marseiller Bandenkriege,
hatte keine Ahnung, wie sie die zarten, hellen Dinge festhalten sollte.«
Die Polizistin Zadira Matéo ist immer noch die ganz Harte mit dem weichen Kern, die es nicht schafft, dem Guten in ihrem Leben zu vertrauen.
Der Kater, Commissaire Mazan, ist ein wenig zerrissen, denn einerseits hat er alles, was er braucht und sogar noch etwas mehr und andererseits lockt ihn der Ruf der Wildnis, des unabhängigen, freien Lebens außerhalb von Mazan.
Dass ich mich in Commissaire Mazan verliebt habe, hatte ich ja schon in der Rezension zu dem letzten Roman erwähnt, wie Sie hier nachlesen können und ich kann nur sagen, er lässt mein Herz immer noch höher schlagen. Ich hatte ein wenig Sorge, dass ich am Ende des Buches von meinem schwarzen Liebling würde Abschied nehmen müssen, aber zum Glück wird das nicht nötig sein. Schon vor zwei Jahren gaben mir die beiden Autoren übrigens ein sehr witziges Interview (in o. g. Artikel) und ich freue mich, dass sie mir auch dieses Mal zu ihren zukünftigen Plänen bereitwillig Auskunft gaben, wie am Ende des Artikel nachzulesen ist.
Commissaire Mazan: »Ein Tor war geöffnet, das sonst nie offen stand. Ein breites, schweres Holztor, an dem er schon unzählige Male vorbeigekommen war. Verwundert starrte er auf den Spalt, der in ein unbekanntes Inneres führte. Ihn zu ignorieren kam natürlich nicht in Frage.«
Obwohl die Leser des ersten Buches den Ort und die Hauptpersonen bereits kennen, kann auch ein Mazan-Neuling mit dem 2. Band beginnen, ohne sich ratlos zu fühlen. Ich würde die Lektüre von Band 1 allerdings unbedingt empfehlen, weil dann Band 2 sogar noch mehr Freude bereitet. Auch im Fortsetzungsroman ist die Mischung gelungen: Spannung, gruselige Thrillermomente, sanftes Katzenschnurren, ein intelligenter Krimiplot, eine gehörige Portion Gesellschaftskritik und chaotisch liebenswerte Charaktere machen »Commissaire Mazan und der blinde Engel« zu einem besonderen Erlebnis. Zum Krimiplot selbst will ich nichts weiter verraten, um niemandem die Spannung zu nehmen. Die Rechnung der Autoren geht auf, bis zum Ende hin bleibt alles rätselhaft verworren. Extraklasse!
Dem sensiblen, übergewichtigen, liebenswerten, schüchternen Sergeant Lucien Brell, der in »Commissaire Mazan und der blinde Engel« mühelos gemeinsam mit Commissaire Mazan zu meiner Lieblingsfigur wurde, gebührt besondere Ehre, denn im zweiten Mazan-Krimi nimmt er all seinen Mut zusammen und stellt eine Delikatessen-Händler-Bande. Da seine Entdeckung der grässlichen Machenschaften den heimlichen Liebhaber deutscher Krimis und vegetarischer Speisen so richtig wütend macht, setzt er alles daran, die Tierquäler zu finden und zur Strecke zu bringen.
Sergeant Lucien Brell: »Brell spürte in seiner Brust den traurigen Vogel aufflattern. Das ging ihm immer so, wenn er einer besonderen Frau gegenüberstand, von der er wusste, dass sie ihn nicht einmal in Betracht zöge, wenn die Sintflut kurz bevorstünde. Höchstens als Floß.«
Nach der Pause lasen die Autoren aus dem dritten Kapitel vor, in dem Lucien Brell eine Ortolan-Fanganlage entdeckt und in dem die abstoßende provenzalische Tradtion der Mästung, der Zubereitung und des Verzehrs dieser kleinen Singvögel (Gartenammer) beschrieben wird. Die EU hat den gefährdeten Vogel geschützt und die Jagd auf ihn verboten, doch die Feinschmecker Frankreichs kümmert das wenig. Sie berufen sich einfach auf ihre Tradition und sehen sich im Recht. Leider, leider haben die Autoren keinen Teil dieser Handlung erfunden. Der gesamte Ablauf bis zum rituellen Verzehr beruht auf Tatsachen und während in Deutschland die Singvögel mit viel Spendengeldern geschützt werden, lecken sich unsere westlichen Nachbarn die fettigen Lippen. Fakten zum Thema können Sie in einem Artikel der ZEIT hier nachlesen.
Bei allem Unverständnis der provenzalischen Tradition gegenüber, allem Abscheu, allem Ekel, den die Zuhörer der Lesung empfanden, wies Nina George darauf hin, handele es sich nicht um eine geschützte Wildtierart, über deren Jagd wir uns aufregen, sollte uns auffallen, dass in unserem eigenen Land ebenso groteske Zustände herrschen, die man versucht mit der Tradition des Fleischessens zu rechtfertigen. Wir sind nicht das Land, in dem Delikatessen eine solche Rolle spielen (einmal von solch ekelerregenden Auswüchsen wie Gänseleberpastete abgesehen), dennoch führt unser erhöhter Fleischkonsum (früher wurde 1 Mal die Woche Fleisch gegessen, heute kommt es 2 – 3 Mal täglich auf den Tisch!) zu Tierfabriken und deren unglaublichen Foltermethoden wie ohne Narkose Schnäbel, Schwänze, Hoden, Ohren und Hörner abzuschneiden und ähnlichen Grausamkeiten den Wehrlosen gegenüber.
Ich jedenfalls bin den beiden Autoren dankbar für diese spannende und augenöffnende Nebenhandlung und für den Mut, auch gesellschaftlich unbequeme Themen direkt anzusprechen. Ich bin Lucien Brell dankbar für seinen Mut, der Tat auf Wort folgen ließ und dessen Beispiel hoffentlich viele folgen werden, die sich mit dem bequemen „so machen wir es schon immer“ nicht mehr zufrieden geben wollen!
Die Lesung im Speicherstadtmuseum wurde von Nina George unterhaltsam mit Geräuschen untermalt. Die Autorin, die einst Schauspielerin hatte werden wollen, schnurrte, fauchte, knurrte, hechelte, säuselte und plapperte Orangino-Italienisch, dass es eine Wonne war, ihr zuzuhören. Jens Kramer und Nina George verpassten jedem Charakter mit viel Spielfreude die richtige Stimme und fanden auch in der kurzen Pause durch den Ansturm der Signierwünsche keine Zeit für ein Gläschen Wein an der Bar. Mit breitem Lächeln wurde dennoch jedes Buch mit Katzenbandenstempel und genialen Signaturen versehen.
Bei »Commissaire Mazan und der blinde Engel« handelt es sich wie schon bei dem Vorgängerroman um eine besonders schöne Taschenbuchausgabe mit stabilem Klappcover, dessen Innenseiten vorne und hinten ein wunderschönes, edles Katzenfoto ziert. Das Buch beinhaltet ein Glossar mit den französischen Sprachwendungen.
Fazit: Abermals ist der Feder des Autorenpaars ein rundum gelungener Katzenkrimi entsprungen! Von üblichen vorhersehbaren Regionalkolorit-Krimis hebt sich dieser abwechslungsreiche Roman erfreulich ab. Die Charaktere sind vielschichtig, die Handlung spannend und intelligent. Das Genre des Kriminalromans eignet sich zudem bestens, um ein kritisches Bild der Gesellschaft zu zeichnen, was ebenfalls von den Autoren vortrefflich genutzt wurde.
Der Roman bietet Spannung und beste Unterhaltung auf hohem Niveau. Er ist nicht nur etwas für Katzenfreunde. Ich empfehle die Lektüre des 1. Bandes »Commissaire Mazan und die Erben des Marquis«, obwohl »Commissaire Mazan und der blinde Engel« auch ohne seinen Vorgänger verständlich ist. Meiner Meinung nach sind beide Bücher unbedingt lesenswert!
Jean Bagnols Roman »Commissaire Mazan und der blinde Engel« ist im Juli 2015 im Knaur Verlag erschienen – verstärktes Taschenbuch, 432 Seiten, EUR 14,99, ISBN 978-3426516539.
Jean Bagnols Roman »Commissaire Mazan und die Erben des Marquis« ist im Oktober 2013 im Knaur Verlag erschienen – verstärktes Taschenbuch, 423 Seiten, EUR 14,99, ISBN 978-3426213780.
Hier ein Video mit den beiden Autoren über die Zusammenarbeit und die Umsetzung ihrer Ideen:
Über ihre weiteren Pläne haben die beiden fleißigen Autoren mir noch ein paar Fragen beantwortet:
Kultumea: »Liebe Nina, lieber Jo, gibt es schon eine Idee oder mehr zum nächsten Commissaire-Roman?«
Jean Bagnol: »Oh, ja – den nächsten Band schreiben wir von Dezember bis März, er wird aber erst im Frühjahr 2017 bei Knaur erscheinen.
Er geht rasant los und steigert sich dann – und spielt zur Trüffelzeit bis zur Weihnachtszeit im Vaucluse und in Mazan.
Nicht nur die Mafia wird dabei eine Rolle spielen, sondern auch Mazans … ach, das lest am besten selbst.«
Kultumea: »Wie oft seid Ihr zwei inzwischen in der Provence unterwegs? Ist das schon ein zweiter Wohnsitz geworden?«
Jean Bagnol: »Nein, unser Zweitwohnsitz ist in der Bretagne.
Aber für die Recherchen halten wir uns etwa zweimal im Jahr für einige Wochen in Mazans Umgebung auf. Nur mit dem Finger auf google street view oder auf der Basis von halbfalschen Wikipediaeinträgen wollen wir lieber keine Provenceromane schreiben. Dennoch haben wir das Gefühl, wir sind erst am Anfang, diese Gegend, ihre Menschen, ihren Zauber – und auch ihre kriminellen Energien richtig zu begreifen.«
Kultumea: »Was gefällt Euch am besten an Frankreich und was eher nicht?«
Jean Bagnol: »Das erste wäre eine mehrbändige Enzyklopädie wert, das zweite ist rasch erzählt: der Front National gefällt uns definitiv nicht.
Sehr aufgefallen sind uns, wenn es um anziehende Eigenschaften der Nation geht, die ausgesprochene Höflichkeit sowie die Priorität auf Freundschaft, soziales Miteinander, Familie und Lebensfreude, anstatt auf Arbeit, Ellenbogen-Kämpfe und ein allzu ungetrautes Leben. In Frankreich begegnen wir Menschen, die viel zufriedener und gelassener sind, die sich weniger im Straßenverkehr bekriegen – und die sich für Kultur und Meinungsfreiheit interessieren und engagieren. Abgesehen davon lieben wir die Gastfreundschaft. Und die Wildheit des Atlantiks. Und so vieles mehr.«
Kultumea: »An welchen Buchprojekten arbeitet Ihr gerade separat?«
Jean Bagnol: »Jens’ ist zur Zeit noch geheim.
Nina hat gerade den Roman mit dem Arbeitstitel „Das Traumbuch“ abgeschlossen, der im März bei Knaur erscheint. Es ist eine sehr komplexe Geschichte, in der Nahtod, Traum, Wahrnehmung und Irrtum verarbeitet werden. Und die Frage, woran wir jene Momente erkennen, in denen unser Leben auf einmal völlig andere Wege gehen könnte, wenn wir uns nur trauten, Vertrautes oder Angst loszulassen.«
Kultumea: »Darauf freue ich mich schon sehr und würde gern auch darüber berichten. Ich danke Euch für das Interview und wünsche weiterhin ganz viel Erfolg und viel Freude am (gemeinsamen) Schreiben.«
Über die Autoren: Jean Bagnol ist das Pseudonym des Schriftsteller-Ehepaares Nina George und Jens „Jo“ Kramer. Die Bestseller-Autorin und Polit-Aktivistin Nina George („Das Lavendelzimmer“, New-York-Times-Bestseller, übersetzt in 30 Sprachen) und der Ex-Pilot, Reporter, Ethnologe und Schriftsteller Jo Kramer sind seit 2006 verheiratet, leben in Berlin und der Bretagne, schreiben unter sieben Namen und Pseudonymen, und veröffentlichten bisher insgesamt 29 Solo-Werke (Romane, Sachbücher, Thriller, historische Romane).
Gerade erschien ihr zweiter Katzenkrimi »Commissaire Mazan und der blinde Engel«. Sie wären beide gerne als Katzen auf die Welt gekommen, müssen sich aber damit begnügen, die Samtpfoten zu erforschen und erstmals über sie zu schreiben. Als Provence-Liebhaber und Spannungsautoren kam ihnen die erste Idee zu »Commissaire Mazan und die Erben des Marquis«, als sie im Château de Mazan im Vaucluse ihren zukünftigen Helden auf leisen Pfoten (und mit unwiderstehlicher Eleganz) eine Thunfischpastete stehlen sahen. Die Idee für Band 2 – das Geheimnis um einen blinden Maler – trug Jean Bagnol „der Ältere“ schon ein paar Jahre mit sich herum. Dafür hat Jean Bagnol „die Jüngere“ Band 3 bereits mit einer fulminanten Auftaktszene zu schreiben begonnen… der voraussichtlich dann im Herbst 2016 erscheint.
Laila Mahfouz, 30. September 2015
Links:
Die Fotostrecke zu dieser Veranstaltung finden Sie hier.
Die Website von Jean Bagnol finden Sie hier.
Die Website von Nina George finden Sie hier.
Die Website von Jens Kramer finden Sie hier.
Die Facebook-Seite von Jean Bagnol finden Sie hier.
Informationen zu den Commissaire-Mazan-Romanen auf den Seiten des Knaur Verlages finden Sie hier.
Informationen zu Laila Mahfouz finde Sie hier.