„Pampa Blues“, der neue Roman von Rolf Lappert zieht den Leser in die Welt von Ben, der viel zu viel Verantwortung tragen muss und die Zeit des Erwachsenwerdens und der ersten Liebe dennoch mit Bravour meistert. Für alle, die es gern humorvoll, romantisch oder skurril mögen und auf jeden Fall ein Buch für jedes Alter!
Inhalt: Der 16-jährige Ben sitzt in dem verschlafenen Nest Wingroden irgendwo in Vorpommern fest, weil er sich rund um die Uhr um seinen demenzkranken Großvater Karl kümmern muss und außerdem längst den dörflichen Routinen verfallen ist. Hier ist jede größere Stadt wie von einem anderen Stern und vielleicht ist es das, was den Dorfkneipier Maslow auf seine verschrobene Idee bringt: Er täuscht die Landung eines UFOs vor, versucht die Presse anzulocken, die Wingroden zu einer Pilgerstätte machen und das Dorf so endlich aus seinem Dornröschenschlaf befreien soll. Ben hält die ganze Sache für den Plan eines Verrückten, aber da Maslow sein Freund ist, spielt er auch dann noch mit, als die attraktive Lena erscheint, die von Maslow für die erste Journalistin gehalten wird und in die sich Ben sofort verliebt. Ob Maslows Plan eine Chance auf Gelingen hat, ob Lena ein falsches Spiel mit den Dorfbewohnern treibt und ob Ben das Leben als 24-Stunden-Krankenpfleger noch länger durchhält, sind die zentralen Themen des Buches.
Im Februar hatte ich von der gelungenen Premieren-Lesung von Rolf Lapperts „Pampa Blues“ berichtet, in deren Verlauf der Autor erzählte, dass „Pampa Blues“ ursprünglich als Drehbuch für einen Film konzipiert war, jedoch auf Eis gelegt wurde, als der für die Rolle des Karl eingeplante Schauspieler Martin Benrath starb. Obwohl der Roman schon beinahe fertig vorlag, wurde durch den dreimonatigen Stipendatenaufenthalt der Sinecure Landsdorf im April – Juni 2011 die Verlegung der Handlung nach Vorpommern umgeschrieben. Ganz sicher hat die Abgeschiedenheit in Tribsees dazu beigetragen, den Roman besonders authentisch wirken zu lassen. Wie gut es dem gebürtigen Schweizer Rolf Lappert gelingt, sich in die Psyche und auch Sprache der vorpommerschen Bevölkerung hineinzudenken, ist bewunderswert.
Die schrulligen, jedoch unheimlich liebenswerten Charaktere haben Rolf Lappert nicht mehr losgelassen und so hat er ihnen nach vielen Jahren nun in dem Roman „Pampa Blues“ endlich die Möglichkeit gegeben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. In der Lesung trat zwar der Humor des Werkes deutlich hervor, die wahre Tiefe, die besonders eben in der Beziehung zwischen Ben und Karl liegt und sich durch die Beziehung zu Lena erst ganz deutlich zeigt, erfuhr ich erst durch das Lesen des gesamten Buches. Durch die immense Authentizität und die wunderbar getroffenen Charaktere fällt es leicht, sich in das Leben des Dorfes und seiner Bewohner hineinzudenken. Besonders der wirklich heldenhafte Ben, der verschrobene Karl und der vor verrückten Ideen übersprudelnde Maslow sind sehr ausgeprägt und erobern das Herz des Lesers im Sturm. Durch ihre Undurchschaubarkeit gewinnt Lena unsere Sympathie anfangs noch nicht, doch mit der Zeit wird auch sie zu einer überaus liebenswerten Figur. Ben ist der zentrale Charakter des Buches und er ist es auch, der eine Wandlung durchläuft. Ist der erste Satz des Romans noch „Ich hasse mein Leben“, so reift Ben, der sich zwar schon anfangs aufgrund seiner Aufgaben sehr erwachsen verhalten hat, immer mehr und wird zu einem vollständigen und mit sich zufriedenen Menschen, der sein Leben nimmt, wie es ist und das Beste daraus macht. Besonders berührt war ich von Karl (und von Bens Umgang mit dem alten Mann), der eigentlich kaum etwas sagt, den ganzen Tag blaue Papierschnipsel aus Zeitschriften reißt, um sich den Himmel (manchmal auch das Meer) an seine Wand zu zaubern und der nicht aufgibt, die einst brutal verscheuchten Vögel wieder anzulocken. Eine wunderbare Figur!
Die besondere Stimmung, die Aufs und Abs der Gefühle und das schwebende Tuch des Irrealen, das oft über den Ideen Maslows, der Einsamkeit Wingrodens und Bens Leben mit Karl zu liegen scheint, durchzieht den ganzen Roman ebenso wie das immer wieder wechselnde Tempo. Eigentlich scheinen die Augenblicke mit Lena das Wirklichste zu sein, denn alles andere passiert wie in ewiger Wiederholung, wie im Traum, wie in einem Leben hinter einem Vorhang. Sind die Szenen mit Karl oft langsam und auf schöne Weise fast schon andächtig, wird der Leser im nächsten Moment von Maslow oder Lena fast überrollt. Eben dieser Wechsel aus Dur und Moll bringt sicher die Verbindung zu dem Titel des Buches und vermittelt sich auf diese Weise dem Leser so leicht, wie nur ein Stück guter „Blues“ es vermag.
Sehr verdient erhält Rolf Lappert für „Pampa Blues“ den „Luchs“ des Monats Juni 2012. Die Auszeichnung wird jeden Monat von “Die Zeit” und Radio Bremen für ein besonders gelungenes Kinder- oder Jugendbuch vergeben. Luchs-Jury-Mitglied Hartmut El Kurdi lobt in der Jury-Begründung, „dass es dem Autor gelingt, die Geschichte immer in der Schwebe zu halten, irgendwo zwischen Trauer, Galgenhumor, Melancholie und plötzlichem Hoffnungsschimmer.“ Er meint, dass „Pampa Blues“ auch ein utopischer Roman sei und ‚Utopia‘ (altgriechisch) bedeutet ‚Nicht-Ort‘. Diese zutreffende Bedeutung für Wingroden ist schon sehr typisch für Rolf Lappert, der sich den Scherz erlaubt hat, den Ortsnamen aus den Buchstaben des Wortes „Nirgendwo“ zusammenzusetzen.
Meiner Ansicht nach ist die Kategorisierung von Romanen in den meisten Fällen ganz einfach viel zu engstirnig und auch „Pampa Blues“ zählt für mich auf jeden Fall ganz einfach in die Kategorie Roman, ohne ihm das Wörtchen „Jugend“ voranzustellen. Der Altersempfehlung von 14 – 17 Jahren kann ich daher nicht zustimmen, denn obwohl das Buch für Jugendliche bestens geeignet ist, ist es ebenso eine wahre Wohltat für alle Leser bis 99 und mehr. Hier eine Grenze zu setzen, scheint mir absurd, ist doch der Stoff des Romans ganz einfach das pure Leben, mit dem wir uns alle auseinandersetzen müssen. Ob Krankheit und Tod, Liebe und Zweifel oder Einsamkeit und Freundschaft, alle Themen in „Pampa Blues“ sind meines Erachtens alterslos.
Fazit: Ein wunderbarer Roman mit einer nie auch nur einen Moment wirklich still stehenden Geschichte, wunderbar skurrilen Typen und dem Herz auf dem rechten Fleck! Eine Empfehlung für alle, denen der gedankliche Weg in die Einsamkeit Wingrodens nicht zu weit ist und die sich auf die Schrullen seiner Bewohner einlassen können!
Nachtrag: Rolf Lappert hat für „Pampa Blues“ soeben auch den Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis 2012 gewonnen! Ganz herzlichen Glückwunsch – das ist mehr als verdient!
Nachtrag: Rolf Lappert hat für „Pampa Blues“ auch noch den Jugendbuchpreis „Goldene Leslie“ 2013 gewonnen! Ganz herzlichen Glückwunsch auch zu diesem Preis – eine besondere Auszeichnung, denn die Jury besteht nur als Jugendlichen!
Rolf Lappert „Pampa Blues“, verstärktes Taschenbuch 256 Seiten, erschienen beim Carl Hanser Verlag für EUR 14,90 unter ISBN 978-3446238954.
Rolf Lappert „Pampa Blues“, Hörbuch 4 CDs, gelesen von Robert Stadlober, erschienen beim Silberfisch Verlag für EUR 19,95 unter ISBN 978-3867426930.
Laila Mahfouz, 19. August 2012
Links:
Informationen zu Rolf Lappert
Leseprobe „Pampa Blues“
„Pampa Blues“ beim Hanser Verlag
Informationen zu Laila Mahfouz