In zehn einfühlsamen Kurzgeschichten verarbeitet Franka Potente ihre Erfahrungen mit Japan, einem Land, in welches sie seit den Dreharbeiten an einem Dokumentarfilm über »Underground Art« in Tokio immer wieder zurückkehrt. Es hat sie in den Bann gezogen, wie ihre Geschichten es nun mit dem Leser tun.
Die 1974 in Münster geborene Schauspielerin ist als solche wohl allseits bekannt, zählt sie seit »Lola rennt« doch zu den international gefragtesten deutschen Darstellern. Wie gut sie aber auch beobachten und erzählen kann, wird in diesem vom Piper Verlag liebevoll gestalteten Kurzgeschichtenband eindrucksvoll gezeigt.
Schroffe Gegensätze und Extreme haben Franka Potente schon immer fasziniert und offenbar ihre Beobachtungsfähigkeit geschärft. In dem von der Zeit durchgeführten Interview erzählt Franka Potente wie sehr die Japaner Rituale lieben und Erklärungen verabscheuen, wie fremd sie sich in Japan gefühlt, doch wie frei sie diese Rolle des Beobachters gemacht habe und wie leicht sie sich in dieser von sich selbst verabschieden konnte. Ein lesenswerter Bericht für alle, die noch ein wenig mehr über die Entstehung des Buches wissen möchten.
Natürlich ist Franka Potente keine Japanerin und wie sehr ihre Darstellungen zum wahren Japan passen, kann ich nicht beurteilen. Ich kann nur sagen, dass mir als sehr emotionalem Menschen an der japanischen Undurchschaubarkeit immer etwas gefehlt hatte. Mit gemischten Gefühlen nahm ich daher die Kurzprosa zur Hand und habe es keineswegs bereut, im Gegenteil. Nun endlich habe ich einen Blick hinter die stumm lächelnden Fassaden bekommen und einiges mir doch recht Vertrautes entdeckt.
In »Götterwinde« zeigt sich der Kontrast zwischen unseren Kulturen ebenso, wie die gegenseitige Faszination. Eine ruhige Geschichte, die meine Seele gestreichelt hat wie es nur Götterwinde können. In »Viele Götter« lernen wir von der Kraft eines Reiskorns. Die stumme Verzweiflung in »Das Monster« rüttelt auf und die Geschichte von Herrn Masamori und seinem großen Freund Andre in »Tamago« berührt tief und begleitet lange. Auch die Geschichte der jungen Naski aus »Kitamakura oder 49 Tage«, die als Austauschschülerin nach Amerika reist und endlich zu leben beginnt, nur um sich hinterher noch eingesperrter zu fühlen, hat mich tief bewegt. Diese und viele weitere Geschichten zeichnen Japan weicher, als ich es bisher aus der Ferne wahrnehmen konnte.
Zur Gestaltung des Buches kann ich den Piper Verlag nur beglückwünschen. Es handelt sich um ein leicht glänzendes Hardcover mit nur dem japanischen Schriftzeichen für die Zahl 10 in rot auf Vorder- und Rückseite. Erst darüber wurde ein fast transparenter Umschlag mit dem Namen der Autorin, des Verlags und des Titels Zehn sowie der Buchbeschreibung in schwarz gelegt. Auch die Kapitel sind mit den japanischen Zahlen in rot durchnummeriert und das Papier ist schön dick. Die minimalistische Gestaltung des Bandes passt hervorragend zu den klar und schnörkellos erzählten Geschichten der Autorin und überzeugt durch seine schlichte Schönheit.
Sehr gelungen ist auch das Hörbuch von OSTERWOLDaudio – ungekürzt von der Autorin selbst gelesen. Franka Potente entwickelt dabei natürlich gerade das richtige Gefühl für Stimmung und Situation und schafft nach der schönen Buchausgabe gleich noch ein zweites Kunstwerk. Ihre klare und dem Japanischen in seiner Sachlichkeit angepassten Stimme bringt die unter der Oberfläche brodelnden Emotionen wunderbar zum Ausdruck. Ein wirklich schönes Geschenk!
Fazit: Ein gelungener Erzählband, der einlädt in eine uns manchmal fremde, dann wieder wundersam vertraute Gefühlswelt, in ein weit entferntes Land, dem ich mich nach der Lektüre mehr öffnen konnte. Die einzelnen präzise erzählten Minaturen waren ein Genuss, den ich weiterempfehlen kann – für die ruhigen Momente im hektischen Alltag oder für ein entspanntes Wochenende. Von Franka Potente haben wir aus dem Bereich Literatur sicher nicht zum letzten Mal gehört! Ich persönlich bin gespannt, was den japanischen Häppchen folgen wird, zuzutrauen ist ihr jedenfalls viel.
Franka Potente „Zehn“, gebunden 176 Seiten, erschienen beim Piper Verlag für EUR 16,95 unter ISBN 978-3492054232.
Franka Potente „Zehn“, Taschenbuch 176 Seiten, erschienen beim Piper Verlag für EUR 8,99 unter ISBN 978-3492273671.
Laila Mahfouz, 09. Juli 2012
Links:
Informationen zu Franka Potente
„Zehn“ beim Piper Verlag
Informationen zu Laila Mahfouz