Lesung am 26. April 2018 in der Buchhandlung Stories in Hamburg: Verena Carl stellte, begleitet von ihrer Lektorin Petra Gropp, ihren aktuellen Roman »Die Lichter unter uns« vor, in dem ihre Hauptfigur, die sich im Urlaub auf Sizilien sowie in der Mitte ihres Lebens befindet, plötzlich beginnt, Sinn und Zweck ihres Lebens zu hinterfragen und nach dem zu suchen, was von ihren Träumen noch übrig geblieben ist.
Verlagstext: Wovon träume ich? Was macht ein gelungenes Leben aus? Und – sind die anderen glücklicher als ich?
Verena Carl erzählt mit großer Klarheit und Entschiedenheit von einer existentiellen Situation. Anna verbringt ihren Urlaub in Taormina auf Sizilien, mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern. Plötzlich fühlt der Boden sich brüchig an, auf dem sie steht. Sie begegnet Alexander, der das aufregende Leben führt, das sie sich einmal für sich selbst erträumt hatte. Und Alexander? Beneidet er sie um ihr Familienglück? Mit einem Mal wird der Zweifel am eigenen Leben übermächtig, alles steht auf dem Spiel. Sieben Tage können alles verändern.
Verena Carl, deren Bücher zuvor eher im Bereich der Genreliteratur zu finden waren (auch unter dem Pseudonym Janna Hagedorn), legte mit »Die Lichter unter uns« nun einen literarisch interessanten Roman vor, der das Hinterfragen des eigenen Lebens in der Lebensmitte thematisiert. Von der ersten Idee des Romans bis zu seiner finalen Umsetzung sind vier Jahre vergangen.
Auf der Handlungsebene passiert nicht viel in Verena Carls aktuellem Roman. »Die Lichter unter uns« berichtet vielmehr von der Dramatik im Innenleben der Hauptfiguren. Es geht viel um Projektion. Schnell merken die Leser, dass niemand wirklich authentisch ist, alle nur eine „Show“ für andere aufführen. Einerseits, weil sie ein Publikum brauchen, um sich gut zu fühlen. Andererseits, weil sie wohl meinen, dass der wahre Kern ihrer Persönlichkeit nicht dieselbe Liebe und Anerkennung, nicht denselben Respekt erhalten würde. Im Grunde teilen alle die Angst vor Beurteilung, Abwertung, Zurückweisung, Alter und Tod. Es ist ein nachvollziehbares, wenn auch mitleiderregendes Verhalten, das diese Menschen an den Tag legen. Erschreckend deutlich können die Leser aber doch immer wieder sich und andere in den Figuren wiedererkennen.
Als Leser stellt sich rasch eine Nähe zu der Hauptfigur Anna ein, die den anderen Feriengästen Lässigkeit und ein intaktes Familienleben vorspielt. Aber auch Alexander, den Anna heimlich beobachtet, versucht, alles in seinem Leben zu kontrollieren. Einzig Alexanders Sohn Florian scheint sich diesem Leben der Illusion, das immer wieder mit selbstgeknüpften Fallstricken gefüllt wird, zu entziehen. Florian wirkt tatsächlich am authentischsten, daher kann er seinen Vater und dessen Jugendwahn auch nicht verstehen.
Die Art und Weise wie Verena Carl von den plötzlichen Zweifeln, der Schieflage ihrer Protagonistin erzählt, bringt ihren Lesern die Figur nahe und macht die Situation nachvollziehbar. Wie die Lektorin Petra Gropp verriet, war es schon der Anfang des Buches, der sie in den Bann und in die Handlung hineinzog:
»Am siebten Morgen fing es an. Das Abrutschen, Absacken, die fast unmerkliche Schieflage.
Zunächst dachte Anna sich nichts dabei und schrieb ihr Schwindelgefühl dem Haus zu. Einem alten Haus, hineingebaut in den Steilhang von Taormina, unterhalb der Straße. Die Schlafzimmer ihrer Ferienwohnung waren düster und dem Berg zugewandt, nur die Terrasse eröffnete einen Seitenblick aufs Mittelmeer. Dieser Blick, der ungebremst über Sträucher und Ziegeldächer stürzte, weiter unten über einen ungepflegten Fußballplatz und die Autobahntrasse, die das Hinterland vom Strand trennte. Bis er in der Tiefe auf die schimmernde Unendlichkeit prallte, die sich in unterschiedlichen Blauschattierungen mit dem Morgenhimmel verband.
Dazu dieses wilde Grün auf Balkonen und über Grundstücksgrenzen hinweg. Ranken, die über enge Gassen wuchsen und ineinandergriffen wie Hände. So als würde die Natur wieder einnehmen, was Menschen ihr abgetrotzt hatten.«
(Kapitel I / Anfang des Romans / Seite 7)
Der S. Fischer Verlag brachte den Roman im April als gebundenes Buch mit Lesebändchen und schön gestaltetem Schutzumschlag heraus. Das Umschlagbild, gemalt von Alessandro Raho, ist sehr passend. Auch der Titel des Buches, welcher dem Liedtext von Mark Knopflers »Lights of Taormina« entnommen ist, passt wirklich gut zu dem Inhalt des Buches, denn Anna sieht – eigentlich ebenso wie Alexander – das schönere, hellere, leuchtendere Leben stets in der Ferne. Es bleibt ein ebenso unerreichbarer Traum wie die Rückkehr in die eigene Vergangenheit.
Fazit: In »Die Lichter unter uns« wirft Verena Carl einen tiefen Blick in die Abgründe ihrer Figuren. Auf psychologisch eindrucksvolle Art beschreibt sie deren Innenwelten und macht die Hoffnungen und Sehnsüchte, aber auch die Ängste und Schwächen ihrer Figuren für ihre Leser spürbar.
Die sympathische Wahl-Hamburgerin Verena Carl kehrte für die Recherche zu ihrem Roman an den Ort ihrer Hochzeitsreise zurück. So wird Sizilien zu einem nicht zu unterschätzenden Nebencharakter ihres Romans.
Eine zum Nachdenken anregende Sommerlektüre.
Verena Carls Roman »Die Lichter unter uns« ist im April 2018 für EUR 20,00 im S. Fischer Verlag erschienen – gebunden, 320 Seiten, ISBN 978-3103973631.
Wer mehr lesen möchte, findet hier eine Leseprobe.
Über die Autorin: Verena Carl wurde 1969 in Freiburg im Breisgau geboren und lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Sie lernte ihr Handwerk an der Deutschen Journalistenschule und schreibt unter anderem für »Brigitte« und »Merian«. Sie veröffentlichte zahlreiche Kinderbücher und -hörspiele und eine Reihe von Romanen. Für ihr literarisches Werk wurde sie unter anderem zweimal mit dem Hamburger Förderpreis für Literatur ausgezeichnet.
Laila Mahfouz, 15. Juni 2018
Links:
Die Fotostrecke zur Lesung finden Sie hier. Die Rechte der Fotos liegen bei Laila Mahfouz.
Die Website von Verena Carl finden Sie hier.
Mehr zu Verena Carl auf der Seite des S. Fischer Verlages.
Einen interessanten Artikel über das Schreiben von Romanen verfasste Verena Carl für das 40-something Blogazine. Sie finden ihn hier.
Weitere Informationen zu Verena Carl finden Sie hier.
Informationen zu Laila Mahfouz