Diana Rosie erzählt in ihrem berührenden Debütroman »Albertos verlorener Geburtstag« eine Geschichte über die Schatten der Vergangenheit und den Mut, den es braucht, sich ihnen zu stellen. Albertos Enkel Tino spielt eine wichtige Rolle, ebenso wie andere Figuren aus Albertos Leben. Auf den Leser wartet eine abenteuerliche Reise in eine bewegte Zeit der europäischen Geschichte, die von Kriegsschrecken und Verlust, aber auch von echtem Mut, liebevoller Annahme und tiefer Freundschaft geprägt ist.
Handlung (Verlagstext):Der 7-jährige Tino ist erschüttert, als er erfährt, dass sein geliebter Großvater Alberto nicht weiß, wann er geboren ist, und deshalb noch nie Geburtstag gefeiert hat. Dabei ist das doch der eine, wundervolle Tag, der einem allein gehört und an dem man sich so sehr geliebt fühlt! Nur hat Alberto als Kind im Spanischen Bürgerkrieg sein Gedächtnis verloren, und damit auch dieses besondere Datum. Nie hat er nach Spuren seiner Vergangenheit gesucht, aber jetzt, am Ende seines Lebens, überredet Tino ihn zu einer Reise quer durch Spanien, zurück zu jenem Waisenhaus und den Menschen, die vielleicht mehr über Alberto wissen könnten als er selbst.
»Prüfend betrachtete er ihre wächsernen Poren, ehe er [die Zitrone] an seine Nase hob und daran roch. […] Bevor er sein Tagwerk beendete, warf er einen letzten Blick über die Steinterrassen seines Besitzes. Unterhalb der Zitronenbäume reihten sich alte Mandelbäume aneinander, die Äste schwer von Früchten. Eine Ebene tiefer wurzelten alte, knorrige Rebstöcke Zeile um Zeile tief im trockenen Boden.«
Kapitel 1 / Seite 7
Die Autorin entfaltet ihre Geschichte auf zwei Zeitebenen – in der Gegenwart mit Alberto als altem Mann und seinem Enkel sowie in der Vergangenheit, Albertos Kindheit.
Alberto ist während des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) in einem Waisenhaus aufgewachsen. Wegen einiger schlimmer Ereignisse hat er als Junge sein Gedächtnis verloren und erinnert sich seitdem auch nicht mehr an seinen Geburtstag. Dies ist nun viele Jahrzehnte her.
Alberto ist sein eigenes Geburtsdatum nicht so wichtig wie seinem Enkel. Zunächst entschließt er sich nur wegen seines Enkels für die Reise, um Tino von einem schwierigen Ereignis in der gegenwärtigen Familie abzulenken. Irgendwann entwickelt aber auch Alberto eine gewisse Neugier auf seine Vergangenheit und schließlich ist er so von Vorfreude erfüllt wie schon seit vielen Jahren nicht mehr.
Die Reise wird zu einer Spurensuche, die nach und nach Puzzleteile aus Albertos Leben offenbart. Der Leser entdeckt in Rückblenden die wichtigen Menschen im Leben des Großvaters. Aus deren Ich-Perspektive erfährt man dabei auch viele Details aus den Leben dieser Figuren, die sich vor dem Hintergrund des Spanischen Bürgerkriegs abspielten. Eine wichtige Figur ist zum Beispiel Capitán Garcia, der für die Nationalisten (Republikaner) kämpfte:
Gewehrsalven prasselten los, und die Männer in der Reihe fielen einer nach dem anderen. Die übrigen Gefangenen schrien und brüllten, während meine Soldaten die leblosen Körper in eine Ecke des Platzes zerrten. Als sie die nächste Reihe anvisierten, erhob sich eine einsame Stimme. Ein Mann hatte begonnen, Himno de Riego zu singen. Seine Stimme zitterte, aber seine Gefährten stimmten rasch in die republikanische Hymne mit ein.
Bald machten auch noch andere mit und ließen den Gesang kraftvoll anschwellen. So sangen sie über den Lärm der Schüsse hinweg, während weitere Kameraden fielen. […]
Sie sangen bis zum letzten Mann. Und als der letzte Ton dieses verfluchten Liedes verklungen war, schichteten wir die Körper in einer Ecke des Platzes auf und rückten weiter in die Stadt vor. Danach war ich wie ein anderer Mensch.
Kapitel 4 / Capitán García / Seite 62
»Albertos verlorener Geburtstag« ist ein Anti-Kriegsroman der besonderen Art. Diana Rosie erzählt zwar detailliert von den Schrecken des Krieges, lässt aber auch immer wieder Gedanken über Menschlichkeit aus dem Text hervorleuchten und beschreibt die unterschiedlichen Motivationen zu kämpfen. So erzählt einer der Kämpfer aus der Arbeiterbewegung dem jungen Alberto:
»Manchmal sieht man, dass jemand etwas Böses tut, und das macht einen so wütend, dass man etwas dagegen unternehmen muss. Ich glaube, dass die Nationalisten sich sehr böse verhalten. […] Ich bin gekommen, um den Spaniern zu helfen, gegen das zu kämpfen, was in meinen Augen ungerecht und unmoralisch ist.«
Kapitel 6 / Michael / Seite 101
Die Autorin beschreibt die Idylle des Landlebens im Spanien von früher und heute mit Zitronenbäumen, Weinlese, Sonne und duftenden Gärten. Trotz der schwierigen Ereignisse, die auch der Enkel Tino in der Gegenwart erlebt, lässt es sich an diesen Stellen in den sonnigen Beschreibungen schwelgen. »Albertos verlorener Geburtstag« ist ein sinnliches Buch, dessen Lektüre zwar Kriegsgräuel nicht ausspart, aber dem Genießen ebenfalls viel Raum gibt. Zum Beispiel wenn Alberto beobachtet, mit welcher Freude sein Enkel einen noch heißen Schokoladenkeks isst, erinnert sich Alberto daran, welchen Trost ihm selbst solch kleine Freuden als Kind bescherten. Oder auch der Genuss eines Brandys wird so genau beschrieben, dass der Leser ihn fast riechen kann.
Auf emotionaler Ebene geht es in »Albertos verlorener Geburtstag« darum, was Egoismus, Vorurteile und Schwarz-Weiß-Denken anrichten können – in Kriegs- wie auch in Friedenszeiten – vor allem bei Kindern. Zusammengehörigkeit wird nicht nur durch Verwandtschaft bestimmt; es gibt Freundschaften, die so stark sind, dass man von Familie spricht und gesellschaftliche Unterschiede unwichtig geworden sind.
Durch die Rückblenden und die Begegnungen in der Gegenwart vermittelt Diana Rosie ihren Lesern so manch berührenden Gedanken über tiefe Freundschaften und Liebe.
Der Knaur Verlag brachte den von Gabriela Schönberger übersetzten Roman bereits am 1. Februar 2016, kurz nach dem Erscheinen der Originalausgabe »Alberto’s Lost Birthday«, als schöne gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag und Lesebändchen heraus. Das praktische Taschenformat (12,1 x 3 x 19,3 cm) des auch noch schön leichten Buches ermöglicht es seinen Lesern, es überallhin mitzunehmen. So sind dem Lesegenuss keine Grenzen gesetzt.
Fazit: »Albertos verlorener Geburtstag« ist eine feinfühlig erzählte, emotional anrührende Geschichte, in der es darum geht, sich mit der eigenen Lebensgeschichte, so schmerzhaft sie auch sein mag, zu versöhnen. Alberto findet erst im hohen Alter den Mut dazu — inspiriert durch seinen siebenjährigen Enkel Tino. Der Leser wird auf eine sehr abwechslungsreiche, berührende Reise mitgenommen, in deren Verlauf die beiden auf Menschen aus Albertos Vergangenheit treffen. Der liebevolle Kontakt zwischen Großvater und Enkel und die emotionale Beschreibung der Figuren malen ein facettenreiches Bild dieser vergangenen, bewegten Zeit und ermöglichen, Parallelen in unsere Gegenwart zu ziehen.
»Albertos verlorener Geburtstag« (Originaltitel: »Alberto’s Lost Birthday«) ist im Februar 2016 für EUR 16,99 in der Übersetzung von Gabriela Schönberger im Knaur Verlag erschienen – gebunden, 334 Seiten, ISBN 978-3426653937.
Eine Leseprobe finden Sie hier.
Über die Autorin: Von Kindheit an ist Diana Rosie in der Welt herumgekommen, hat in Hongkong, London und Peru gelebt. Mittlerweile hat sie sich auf dem Land niedergelassen und schreibt in ihrem Cottage in Shropshire.
Von Beruf ist Diana Rosie Werbetexterin und hat mit ihrer Arbeit zahlreiche Preise gewonnen und Websites für populäre Marken geschaffen.
Miriam K., 30. April 2018
Links:
Die Rechte am Foto von Diana Rosie liegen bei David Simmonds.
Informationen auf den Seiten des Knaur Verlages finden Sie hier.
Den Twitter-Account von Diana Rosie finden Sie hier.
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
Nicht jedes erlebte Trauma führt zu PTBS, aber es ist eine mögliche Folge. Der Verbund Psychosomatisches Versorgungsnetz Main-Rhön, schreibt, PTBS seien »…eine verzögerte und lang anhaltende Reaktion auf mindestens ein traumatisches Erlebnis.
Das belastende Erlebnis ist in der Regel mit einer möglichen Bedrohung verbunden, so zum Beispiel im Rahmen von körperlicher Gewalt, Naturkatastrophen oder Krieg. Dabei spielt es keine Rolle, wie lang die traumatische Situation angehalten hat. Die Betroffenen durchleben die traumatische Situation immer wieder, so zum Beispiel in Form von sich aufdrängenden Erinnerungen oder Albträumen.« (Die Quelle und weitere Informationen finden Sie hier.)
PTBS kann von selbst wieder verschwinden, aber auch länger anhalten und zu einer Vielzahl möglicher Symptome führen, u.a. Depression oder Gedächtsnisverlust (Amnesie).
Wenn jemand wegen eines schlimmen Ereignisses einen Gedächtnisverlust erleidet, spricht man von Dissoziativer Amnesie. Dies ist oft durch ein Trauma verursacht, wobei es sich sowohl um größere Ereignisse wie einen Krieg, als auch innerfamiliäre Konflikte, Gewalt usw. handeln kann. Diese Erinnerungslücken gehen über das normale Maß an Vergesslichkeit hinaus.
»Der Zeitraum der Amnesien kann einige Minuten bis Jahrzehnte betragen. Bei einzelnen Traumatisierungen kann es vorkommen, dass Teile des Ereignisses oder das gesamte Ereignis nicht mehr erinnerbar sind.« (Die Quelle und weitere Informationen finden Sie hier.)
Wichtig ist, dass Abhilfe in Form von Psychotherapie geleistet werden kann. Man sollte dabei darauf achten, dass der Therapeut/die Therapeutin über fundierte Erfahrungen im Bereich der dissoziativen Störungen verfügt.
Das Portal Neurologen und Psychiater im Netz bietet einen Kurzüberblick mit Links für Betroffene und Tipps für Angehörige.