Lesung am 15. Januar 2017 im Café Heidehof Radenbeck: Ein Regionalkrimi aus Mecklenburg – eine beliebte Urlaubsregion wird zum Schauplatz eines Mordes und ein Rollstuhlfahrer zum ermittelnden Hobby-Detektiv. Mit viel Humor startet Frank Friedrichs seine Krimi-Reihe und schafft auf Anhieb, was er sich vorgenommen hat – sein »Erntedank in Vertikow« weckt den Wunsch nach einer Fortsetzung.
Inhalt: Peer Wesendonk, der Organist des Dorfes Vertikow in Mecklenburg, kehrt nach einem schweren Motorradunfall an den Rollstuhl gefesselt nach Hause zurück. Mit seinem Traumberuf ist es vorbei, denn nie wieder wird er bis zur Orgel vordringen können. Noch schwerer wiegt die Angst, seine Frau Sascha könnte ihn nur noch als geschlechtslosen Pflegefall empfinden. Als Peer Zeuge eines Verkehrsunfalls mit Fahrerflucht wird, glaubt er an eine vorsätzliche Tat. Niemand glaubt ihm und so muss der in Kriminologie gänzlich unerfahrene Peer den Mörder selbst finden, auch wenn er damit im beschaulichen Dorf einiges an Staub aufwirbelt.
Ein Regionalkrimi vom Mecklenburger Land – das hat uns gerade noch gefehlt! Ja, tatsächlich hat Frank Friedrichs hier eine Marktlücke aufgetan, die zu schließen er auf äußerst erheiternde Weise fähig ist. Sein Krimi »Erntedank in Vertikow« und die Folgeromane, die ihn zur Serie ergänzen sollen, sind in der Gegend um Gadebusch herum verortet. Der Autor bevölkert sein fiktives Dorf mit den typischen Charakteren der Gegend und der Regionalkrimilandschaft. Vom einheimischen Original, über die normale Dorfbevölkerung, hin zu klischeehaften Figuren, die sich auf den zweiten Blick dann doch als ganz und gar nicht klischeehaft erweisen.
Auch der Ost-West-Konflikt kommt hier zur Sprache. Der selbst aus Hamburg nach Mecklenburg gezogene Frank Friedrichs hat hier sehr fein beobachtet und weiß aus eigener Erfahrung, dass das Misstrauen gegenüber den Wessis in Ostdeutschland noch immer vorhanden ist. Obwohl bei Zuzug in den Osten meistens beide Seiten auf einander zugehen, wird es wohl noch eine ganze Weile dauern, bis die alten Wunden endgültig verheilt sind.
Nachdem auf den ersten Seiten die Hauptfigur, Peer Wesendonk, mit viel Humor und auch Tiefe eingeführt und seine Frustration über die neuerdings aufgrund der Lähmung fehlende Bewegungsfreiheit deutlich wird, geschieht auf Seite 19 der Unfall, den Peer Wesendonk beobachtet und den er für Mord hält. Leider nur glauben ihm die Polizisten nicht, da sie meinen, dass Peers Gehirn aufgrund seines kürzlich durchlebten, traumatischen Motorradunfalls die beiden Ereignisse vermischen würde.
»In diesem Moment quietschte die Gartenpforte, Frau Kuhn trat auf die Straße. […] Nach wenigen Schritten war sie kaum noch zu erkennen, ein schwankendes Stück Herbst. Gerade wollte er sie rufen, da heulte der Motor auf, der Pick-up brach kurz aus, raste los. Auf Frau Kuhn zu! […] Erst im letzten Moment drehte Frau Kuhn sich um. Peer sah ihr Gesicht als weißen Fleck in der Dämmerung, hörte den entsetzten Aufschrei. […] Sofort war alles wieder da: die Scheinwerfer, die jäh aus dem Nebel aufblitzten, die qietschenden Bremsen, der Stoß, der ihn mit ungeahnter Gewalt vom Motorrad gerissen hatte, das Schleifen von Metall auf Asphalt, der ewig lange Flug durch die Nacht. Und die Angst. Todesangst.«
2. Oktober – 17:20 / Seite 18 + 19
Der klassische Who-done-it-Plot, der es dem Leser erlaubt, bei der Suche nach dem Mörder mitzuraten, trägt ebenso zum Gelingen des Romans bei wie die großartigen Charaktere, die Frank Friedrichs auftreten lässt und der unwiderstehliche Humor, der sich durch den ganzen Roman zieht. Dass die Hauptfigur in einem Rollstuhl sitzt, erhöht die Spannung und lässt den Leser noch mehr mitfiebern. Wie schon James Stewart in Hitchcocks Klassiker »Das Fenster zum Hof« ist es Peer Wesendonk nicht möglich, vor der Gefahr davonzulaufen. Auch das Wort Vertikow kann als Hommage an den großen Filmregisseur und eines seiner Hauptwerke »Vertigo« verstanden werden. Schwindelerregend ist jedenfalls das, was Friedrichs Hauptfigur zustösst, dessen Leben sich von Grund auf verändert hat und ihn immer wieder vor neue Herausforderungen stellt.
Doch nicht genug damit, dass Frank Friedrichs seinen Detektiv in einen Rollstuhl steckt, Peer Wesendonk findet erst allmählich überhaupt Gefallen an seiner neuen Aufgabe. An einigen Stellen hätte ich vermutlich rascher kombiniert, umsichtiger gehandelt und auch eher gewusst, was zu tun ist, aber im Gegensatz zu dem Detektiv wider Willen habe ich schon unzählige Krimis gelesen und gesehen. Gerade seine etwas unbeholfene Art macht Peer Wesendonk dann aber so liebenswert und glaubwürdig. Für die Leser ist es außerdem auch eine Freude, einen Detektiv kennenzulernen, mit dem die Identifikation leicht fällt. Peer Wesendonk ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, mit Fehlern und Schwächen und kein makelloser James-Bond-Typ.
Diese männliche Miss Marple hat allerdings an Scharfsinn und Kombinationsgabe noch einiges dazuzulernen, aber es ist ja schließlich noch kein Meister vom Himmel gefallen. Gerade da es sich um eine Krimi-Reihe handelt, ist es von Vorteil, dass in diesem Charakter noch viel Entwicklungspotential steckt – damit hat er so manchem Detektiv der Kriminalliteratur auf jeden Fall etwas voraus.
»Sie haben gesehen, wie Gertrud umgekommen ist, und die Polizei will Ihnen nicht glauben. Also müssen Sie das in die Hand nehmen.«
Peer blieb der Mund offen stehen. »Ich?«
»Wer sonst? Ich bin zu alt für so was. Und die Polizisten kommen ja nicht ins Dorf. Gut, Sie können nicht laufen und sind nicht besonders klug. Aber Sie können sich einen Helfer suchen bei dem Beine und Kopf funktionieren.«
5. Oktober – 10:55 / Seite 48
Wie an dem vorangestellten Zitat zu merken ist, spielt der Humor in Friedrichs Roman eine Hauptrolle. Allerdings kann der Autor auch anders. Zwar begegnet Peer Wesendonk seiner Behinderung meistens mit Galgenhumor, doch das Thema selbst wird mit viel Einfühlungsvermögen behandelt. Für seinen Roman wählte Frank Friedrichs außerdem ein durchaus ernstes Thema, das seinen leider sehr realen Platz in Deutschlands jüngerer Geschichte einnimmt. Mehr soll an dieser Stelle nicht preisgegeben werden. Wie der Autor während der sehr gelungenen Lesung im gemütlichen Café Heidehof verraten hat, wird sich auch der zweite Band um ein ernstes Thema drehen. Dann wird Wirtschaftskriminalität eine große Rolle spielen.
Fazit: »Erntedank in Vertikow« bietet alle Zutaten für einen spannenden und vergnüglichen Lesespass! Die Handlung fesselt, die Charaktere sind gut ausgearbeitet und die Szenerie ist eine wahre Freude. Vertikow selbst entwickelt rasch ein Eigenleben. Das 300-Seelen-Dorf als lebendiges, atmendes Wesen, in dem alle Organe ihren festen Platz einnehmen, hat Frank Friedrichs auf schöne Weise eingefangen.
Frank Friedrichs‘ Roman punktet durch Humor, eigenwillige Charaktere und eine Krimihandlung, der es nicht an Wahrhaftigkeit und Motivation fehlt.
Mecklenburger Krimi-Unterhaltung à la Vertikow nimmt ab sofort einen festen Platz auf meinem literarischen Speiseplan ein.
Netterweise hat uns der Autor noch ein paar Fragen zu seinem Krimi-Projekt beantwortet:
Kultumea: Wie lange hast Du an »Erntedank in Vertikow« gearbeitet – von der Idee bis zum fertigen Buch?
F. Friedrichs: Vor rund drei Jahren gab es das erste Mal die krude Idee zu einem Dorf-Krimi – alles noch ganz anders: das Dorf, die Akteure, die Hauptfigur. Seit etwa zwei Jahren habe ich dann ganz bewusst an dem groben Steinblock gemeißelt, geschliffen und immer wieder poliert, bis das Ergebnis fertig war. Wer mehr über die Vorgedanken und einzelnen Schritte erfahren will, findet übrigens auf der Website in der Projektmappe eine Timeline dazu.
Kultumea: Hast Du zusätzlich zu Orten und Gebäuden auch Menschen aus dem Leben übernommen oder Dich von ihnen inspirieren lassen?
F. Friedrichs: Im Gegensatz zum ersten Konzept habe ich ganz bewusst darauf verzichtet, reale Menschen direkt in den Roman zu übernehmen. Natürlich gibt es immer wieder einzelne Verhaltensweisen, Erlebnisse, Gespräche, Beobachtungen etc., die in Romanfiguren eingeflossen sind. Aber auch die habe ich verfremdet, überspitzt, in eine andere Richtung gebracht … Letztlich kann ich als Autor zwar jedes Thema recherchieren und mir ungewöhnlichste Geschichten ausdenken. Aber die Figuren spiegeln, glaube ich, immer auf die eine oder andere Weise die eigenen Lebenserfahrungen wider.
Kultumea: Du arbeitest bereits am zweiten Band? Wie viel vom neuen Buch hast Du im Kopf schon ausgearbeitet?
F. Friedrichs: Im Kopf steht schon „fast alles“. Ich bin ein Plotter und muss ziemlich genau wissen, was von vorn bis hinten geschieht, ehe ich mich traue, loszuschreiben. Was natürlich nicht heißt, dass später – zum Beispiel nach der Diskussion in meiner Autorengruppe – noch einmal scheinbar wichtige Dinge über den Haufen geworfen werden können. Das ist das Faszinierende am Schreiben: Nach dem ersten Entwurf denke ich oft: „Das ist es, nur so funktioniert es!“ Dann bekomme ich von vielen Seiten immens hilfreiche Tipps, für die ich sehr dankbar bin: Man zeigt mir, was eben nicht funktioniert, wo Figuren schärfer gezeichnet werden können, Löcher im Plot gestopft werden müssen … Nach fünf, sechs oder mehr Überarbeitungsrunden ist an manchen Stellen nichts mehr von der Erstfassung vorhanden; und doch ist es immer noch – oder jetzt erst – genau der Roman, der es am Anfang werden sollte.
Kultumea: Werden wir im zweiten Roman „alte Bekannte“ wiedertreffen?
F. Friedrichs: Na klar, darauf ist die Reihe ja angelegt. Mein großer Wunsch ist, dass die Leser/innen irgendwann das Gefühl haben, nach Hause zu kommen und in lauter vertraute Gesichter zu blicken. Manche, auf die die Leser sich freuen können, andere, deren Anwesenheit sie mit genervtem Augenrollen hinnehmen werden – und die ihnen doch irgendwie sympathisch sind. Denn mal ehrlich: Was wäre Vertikow ohne die alte Treskow?
Kultumea: Herzlichen Dank und weiterhin viel Erfolg mit Vertikow!
Frank Friedrichs Roman »Erntedank in Vertikow« ist im November 2016 für EUR 9,99 im DichtFest Verlag erschienen – Taschenbuch, 295 Seiten, ISBN 978-3946937203.
Wer in den Roman reinlesen möchte, findet hier eine Leseprobe.
Über den Autor: Frank Friedrichs wurde 1969 in Hamburg geboren. Er veröffentlichte eine Kindergeschichten und lebt seit 2007 in West-Mecklenburg, woher schon seine Großmutter stammte. Diese Gegend hat ihn zu seinem ersten Kriminalroman »Erntedank in Vertikow« inspiriert, dem noch weitere folgen werden.
Laila Mahfouz, 23. Januar 2017
Links:
Alle Fotos von Anders Balari.
Hier ein Buchtrailer zu Frank Friedrichs‘ »Erntedank in Vertikow«:
Die Website zur Buchreihe Vertikow finden Sie hier.
Die Facebook-Seite zur Buchreihe Vertikow finden Sie hier.
Die Facebook-Seite von Frank Friedrichs finden Sie hier.
Informationen zu Laila Mahfouz finden Sie hier.