Kinopremiere am 28. September 2016 im Hamburger Passage-Kino: Kai Wessels Film basiert auf Robert Domes‘ gleichnamigem Roman und dieser auf der wahren Lebensgeschichte von Ernst Lossa, der 1944 im Alter von vierzehn Jahren Opfer der systematischen Euthanasie der Nazis wurde. »Nebel im August« ist ein bewegendes, aufrüttelndes, aber auch hoffnungsvolles Filmdrama, grandios besetzt mit Ivo Pietzcker, Sebastian Koch und Fritzi Haberlandt in den Hauptrollen.
Handlung (übernommen aus der Ankündigung des Films und der Beschreibung des Buches): Nach einer wahren Begebenheit – Süddeutschland, Anfang der 1940er-Jahre. Der 13- jährige Ernst Lossa (Ivo Pietzcker), Sohn fahrender Händler und Halbwaise, stammt aus einer Familie von Jenischen und ist ein aufgeweckter aber unangepasster Junge. Die Kinder- und Erziehungsheime, in denen er bisher lebte, haben ihn als „nicht erziehbar“ eingestuft und schieben ihn schließlich wegen seiner rebellischen Art in eine Nervenheilanstalt ab. Nach kurzer Zeit bemerkt er, dass unter der Klinikleitung von Dr. Veithausen (Sebastian Koch) Insassen getötet werden. Er setzt sich zur Wehr und versucht, den behinderten Patienten und Mitgefangenen zu helfen. Schließlich plant er die Flucht, gemeinsam mit Nandl, seiner ersten Liebe. Doch Ernst befindet sich in großer Gefahr, denn Klinikleitung und Personal entscheiden über Leben und Tod der Kinder…
Den Machern von »Nebel im August« ist es gelungen, trotz des grausamen Themas auf alles Reißerische sowie Kitschige zu verzichten. Der Film besticht durch die Wahl großartiger und engagierter Schauspieler und die leisen Töne, die authentischen Bilder und die Ernsthaftigkeit, mit der den Opfern der Euthanasie auf diese Weise ein würdiges Denkmal gesetzt wurde. Dem Euthanasie-Programm der Nazis fielen zwischen 1939 und 1944 mehr als 200.000 Menschen in den deutschen Nervenkliniken zum Opfer.
»Es muss wieder mehr gestorben werden!«
Die christliche Schwester Sophia, die als Nonne in der Nervenklinik arbeitet, pflegt die Kinder mit Liebe und Geduld. Dr. Veithausen, Leiter der Nervenklinik, weiß daher, dass er sie niemals in das Euthanasie-Programm einbinden kann. Die eigens zur Tötung angestellte Krankenschwester Edith Kiefer scheint Freude und Befriedigung in ihrer Tätigkeit zu finden und in verstörender Weise in ihrer Aufgabe aufzugehen. Dr. Veithausen wird im Film als besonders ambivalenter Charakter dargestellt. Natürlich wäre es noch schrecklicher, wenn er Freude am Töten der Kinder gehabt hätte, dass er aber mit voller Überzeugung hinter dem Euthanasie-Programm steht und an dessen Richtigkeit nicht zweifelt, wirkt besonders perfide, wenn er sanft und sogar liebevoll mit den Kindern umgeht, die seiner Obhut anvertraut wurden.
Der Spielfilm unter der Regie von Kai Wessel wurde von Ulrich Limmer produziert. Produktionsländer waren Deutschland und Österreich. Das Drehbuch schrieb Holger Karsten Schmidt und die Musik Martin Todsharow. Für Kamera und Schnitt waren Hagen Bogdanski und Tina Freitag verantwortlich. Der Film hat eine Länge von 126 Minuten und eine Altersfreigabe ab 12 Jahren.
Erfahrene Schauspieler wie Sebastian Koch, Fritzi Haberlandt, Henriette Confurius in den Hauptrollen sowie besonders erwähnenswert der hervorragende Karl Markovics in der Nebenrolle als Ernst Lossas Vater verleihen dem Film ebenso viel Tiefe wie die bestens besetzten Neueinsteiger Jule Hermann als Nandl und allen voran natürlich Ivo Pietzcker als Ernst Lossa.
Obwohl ich das Buch nicht gelesen habe, möchte ich darauf hinweisen, dass es von allen Seiten, auch vom Autor selbst, heißt, der Film setze es in sehr passender Weise um. Auf diesem Buchtitel sehen Sie das Foto des wahren Ernst Lossa.
Fast noch erschreckender als die Euthanasie und die Menschen, die an dieses Programm glaubten, sind dann allerdings folgende Tatsachen: Das Euthanasie-Programm wurde noch sechsundfünfzig Tage nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands fortgesetzt. Der Leiter der Nervenklinik wurde zu 3 Jahren Haft verurteilt, musste aber nicht einen Tag davon absitzen. Der Krankenpfleger wurde zu einem Jahr Haft verurteilt und die Krankenschwester, die den Kinden mit einem Lächeln den vergifteten Himbeersaft einflößte, wurde zu vier Jahren Haft verurteilt und war danach wieder in der Kinderkrankenpflege tätig!
Fazit: In unaufdringlichen Bildern setzt Kai Wessel dieses schwierige Thema um und schafft einen Film, der auf den ersten Blick unspektakulär erscheint, aber eine starke Sogwirkung entfaltet und den Zuschauer lange nicht loslässt. Ein Plädoyer für Mitgefühl, Menschlichkeit, Toleranz und Akzeptanz von Andersartigkeit – ein Meisterwerk der leisen Töne! Ich empfehle unbedingt, diesen Film an Schulen zu zeigen, möchte aber auch Eltern raten, den Film mit ihren Kindern zu schauen.
Der Film erscheint voraussichtlich am 6. April 2017 als DVD und wird sehr zurecht Teil der ArtHaus Kollektion sein.
Hier der Trailer zu »Nebel im August«:
Über den Regisseur: Kai Wessel, geboren 1961 in Hamburg, ist ein deutscher Film- und Fernsehregisseur. Mit dem Spielfilm »Martha Jellnek«, der 1988 für den Bundesfilmpreis nominiert worden war, wurde Kai Wessel einem breiteren Publikum bekannt. 2006 drehte Wessel den Zweiteiler »Die Flucht« für die ARD. Auf dem Sender arte ausgestrahlt, stellte der Film mit 2,4 Millionen Zuschauer einen Quotenrekord des Kulturkanals auf. Mit Schauspielerin Heike Makatsch in der Hauptrolle nahm sich Kai Wessel der Verfilmung von Hildegard Knefs Autobiografie »Der geschenkte Gaul« an, die 2009 unter dem Titel »Hilde« in den Kinos startete. Für die Serie »Zeit der Helden« erhielt er den Grimme-Preis 2014. Mehrfach ausgezeichnet wurde der Fernsehfilm »Mörderische Hitze« aus der Reihe »Spreewaldkrimi«. Für »Nebel im August« erhielt er 2015 den Bayerischen Filmpreis in der Kategorie Regie und 2016 den Friedenspreis des Deutschen Films – Die Brücke (Hauptpreis national).
Robert Domes‘ Roman »Nebel im August« ist im September 2016 im cbj Verlag als Filmbuch in ungekürzter Textausgabe mit zahlreichen farbigen Filmfotos neu aufgelegt worden. Erhältlich als Taschenbuch für 9,99 Euro, 352 Seiten, ISBN 978-3570403280.
Wer in den Roman reinlesen möchte, findet hier eine Leseprobe.
Über den Autor: Robert Domes, geboren 1961 im bayerischen Ichenhausen, studierte Politik und Kommunikationswissenschaften in München. Er arbeitete jahrelang als Redakteur bei der Allgäuer Zeitung, zuletzt als Leiter der Lokalredaktion in Kaufbeuren, bevor er sich 2002 als Journalist und Autor selbstständig machte. Für das vorliegende Buch hat er fünf Jahre lang recherchiert.
Laila Mahfouz, 20. Oktober 2016
Links:
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Die Website von Robert Domes finden Sie hier.
Die Facebook-Seite zum Buch finden Sie hier.
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Ein sehenswerter Beitrag der SWR-Sendung Kunscht! finden Sie hier.
Max Moors Reportage für ttt finden Sie hier.
Informationen zu Laila Mahfouz finden Sie hier.