Das neue Buch von Wladimir Kaminer »Das Leben ist (k)eine Kunst – Geschichten von Künstlerpech und Lebenskünstlern« umfasst kurze Texte rund um das Thema Kunst. Von luftig leicht bis melancholisch schwer, von politisch bis vergnüglich, von Russland bis Deutschland – all diese Texte haben eines gemeinsam: einen unterhaltsamen Erzähler, der verschmitzt auf die Welt und die letzten Jahrzehnte blickt.
Inhalt (dem Verlagstext entnommen): Was verbindet eine Putzfrau mit einem abgehalfterten Superstar, einem Kneipenwirt, einem Regenmacher, einem Maler oder Wladimir Kaminers Mutter? Wie all die anderen unvergesslichen Menschen in diesem Buch zeigen sie, wie sich das Leben und die Kunst zu hinreißenden Geschichten verbinden. Geschichten von höchster Komik, aber auch von grandiosem Scheitern. Was übrigens die Putzfrau betrifft: Ihr Fazit einer Don-Carlos-Premiere an der Berliner Staatsoper ist so unvergesslich wie die Oper selbst: „Eine schöne Aufführung, wenn auch unaufgeräumt, die Kostüme der Sänger ungebügelt, die Dekoration staubig und das Theater im Ganzen schlecht geputzt …“
Das Besondere an diesen Geschichten ist, dass es fast scheint, als erzähle Wladimir Kaminer sie dem Leser direkt. Als sitze der Leser neben dem Autor in der Kneipe und bitte darum, immer noch eine weitere Geschichte zu hören. Dabei wechselt Kaminer mühelos zwischen Humor und Ernsthaftigkeit. Leicht wirkt der Erzählstil, doch gerade, wenn der Leser Humor erwartet, trifft die russische Melancholie besonders hart. Ein wunderbares Beispiel ist die Geschichte „Die Schlüssel zur Wahrheit“, in welcher der Autor seine Künstlerfreunde fragt, ob sie ihre Kunst noch schätzen oder brauchen würden.
Ich finde, es sieht komisch aus, wenn Menschen einander gegenübersitzen und sich auf die Hände schauen. Aber es ist die Realität des neuen Jahrhunderts, deswegen spielt der Wirt auch keine Musik mehr, um seine Clubgäste nicht zu stören. Denn jeder hat längst seine Musik mit.
(Die Schlüssel zur Wahrheit, Seite 31)
Unter anderem klärt das Buch die Fragen, warum Modern Talking in Russland so lange beliebt war und warum der Rapper 50 Cents wohl nie mehr nach Sachsen kommen wird. Ein zutiefst trauriger Clown, ein Beamter, der über der Bearbeitung einer Bühnenfassung der Odyssee den Verstand verliert, ein Verlagsmitarbeiter, der die fantasievollsten Absagen verfassen will, eine Frau, die ihr Leben lang nur ein Klavierstück spielt und ein Buch liest und viele andere müssen erkennen, wie wahr der Satz von John Lennon ist: „Life is what happens while you are busy making other plans.“
Sie [die göttliche Schöpfung] war ursprünglich mal ein toller Witz gewesen, dessen Sinn dem Schöpfer im Laufe der Zeit abhanden gekommen ist. Und unsere ehrenamtliche Aufgabe ist es nun, den Sinn dieses Witzes zu verstehen. […] Gleichzeitig dachten wir über den Witz nach, in dem wir alle steckten, das ganze Land, die Welt, das Sonnensystem.
(Der traurige Clown Kowalew, Seite 119/120 + 125)
Das gesamte Buch kommt trotz des typischen Humors wesentlich nachdenklicher, ja philosophischer als gewohnt daher. „Es geht darum, was passiert, wenn Lebenskünstler mit ihren unterschiedlichen Weltanschauungen mit der Realität zusammenprallen“, sagt Wladimir Kaminer. Vielleicht entscheidet unser Umgang mit dem Leben über Erfolg oder Niederlage.
Fast alle Texte scheinen direkt mit Wladimir Kaminer und seinem Leben verbunden. Ein paar Texte sind auch wie eigenständige Kurzgeschichten verfasst, aber meistens sind es Kaminers Nachbarn, seine Familie, Freunde und Bekannte über die wir lesen. All die Figuren des Buches sind mehr oder weniger mit der Person Wladimir Kaminer verwoben. Das macht die Texte besonders, aber zeigt auch den klaren Kolumnencharakter.
Immer wieder begeisterte mich, wie geschickt Wladimir Kaminer Szenen, Bilder, Momente in Worte zu fassen versteht. Aus seinem Tuschkasten voll bunter Worte wählt er mit wenigen Pinselstrichen genau die Worte aus, die Bilder wie die folgenden zaubern, um lange im Gedächtnis zu bleiben:
Wie ein wandelnder Regenbogen huscht sie die Treppen hoch und runter, immer übertrieben nett und fröhlich, als hätte sie ihre ganze Kindheit in einem Schwarz-Weiß-Film verbracht, aber wie durch ein Wunder ein kleines Loch im Film gefunden, durch das sie in die Farbenwelt fliegen konnte. […] Die meisten [Berliner] machten es Wildtieren nach, sie wollen nicht auffallen und tarnen sich in den Farben der Umgebung. Ihre Lieblingsfarbe ist die von nassem Asphalt.
(Für Elise, Seite 102)
In seinen 35 Kurztexten schlägt Wladimir Kaminer mal humorvolle, mal melancholische, mal philosophische, mal nostalgische oder auch politische Töne an. Insgesamt spiegeln die Texte dieses Buches gut das Leben mit allen Höhen und Tiefen wider, mit all seiner Ironie des Schicksals und seinen kleinen Freuden, die die Welt bedeuten können. Wer laut lachen möchte, sollte eventuell eines der anderen Bücher des Autors lesen, denn in »Das Leben ist (k)eine Kunst – Geschichten von Künstlerpech und Lebenskünstlern« geht es doch etwas nachdenklicher zu, auch wenn manche Geschichte auf jeden Fall zum Schmunzeln bringt.
Die meisten Erinnerungen werden jenseits der bunten Welt an stillen Ecken aufbewahrt […]. Ach, wenn ich das Sagen hätte, würde ich überhaupt die Friedhöfe, Universitäten und Museen zusammenlegen, damit die Studierenden nicht in klinisch sauberen Auditorien, sondern auf den Grabsteinen von ihren Vorfahren lernen. […] Auf diese Weise würde jedes Studium zu einer Wiederauferstehung führen und die Kunst größeres Ansehen in der Gesellschaft bekommen. Künstler könnten […] statt der Politiker Politik machen, sie könnten sich um Solidarität und Kooperation sorgen, sie könnten in letzter Konsequenz Widerstand gegen die Staatsgewalt initiieren.
(Die Opfer der Kunst, Seite 227)
Fazit: Wladimir Kaminers Buch »Das Leben ist (k)eine Kunst – Geschichten von Künstlerpech und Lebenskünstlern« lotet die Untiefen des Lebens geschickt aus. Er ist ein großer Beobachter, der aus kleinen Begebenheiten große Geschichten machen kann. Er mischt fiktive Handlungen mit realen Personen, wahre Erlebnisse mit Humor und dem Blick fürs Detail. So regt scheinbar Belangloses zum Nachdenken an. Sein humorvoller Umgang mit dem Alltag paart sich in »Das Leben ist (k)eine Kunst – Geschichten von Künstlerpech und Lebenskünstlern« mit philosophischen Betrachtungen, in denen ich ihm gern folge, um meine eigenen Schlüsse zu ziehen.
Fans von Wladimir Kaminer können sich übrigens jetzt schon freuen, denn am 22. August erscheint bereits sein nächstes Buch »Meine Mutter, ihre Katze und der Staubsauger – Ein Unruhestand in 33 Geschichten« – dem Einfallsreichtum des Autors sind vermutlich keine Grenzen gesetzt.
Wladimir Kaminers Buch »Das Leben ist (k)eine Kunst – Geschichten von Künstlerpech und Lebenskünstlern« ist im September 2015 im Manhattan Verlag erschienen – gebunden, 256 Seiten, EUR 17,99, ISBN 978-3442547302 .
Random House Audio brachte ebenfalls im September die Hörbuchausgabe von »Das Leben ist (k)eine Kunst – Geschichten von Künstlerpech und Lebenskünstlern« heraus. Gelesen wird das Buch wie immer von Wladimir Kaminer selbst.
Sie finden es hier. Eine Hörprobe finden Sie ebenfalls dort oder mit Klick aufs Bild.
Das ganze Buch ist auf 2 CD’s verteilt und hat eine Laufzeit von ca. 146 Minuten, ISBN: 978-3-8371-3156-7, EUR 14,99.
Über den Autor: Wladimir Kaminer wurde 1967 in Moskau geboren. Er absolvierte eine Ausbildung zum Toningenieur für Theater und Rundfunk und studierte anschließend Dramaturgie am Moskauer Theaterinstitut. Seit 1990 lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin. Er veröffentlicht regelmäßig Texte in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften und organisiert Veranstaltungen wie seine mittlerweile international berühmte „Russendisko“. Mit der gleichnamigen Erzählsammlung sowie zahlreichen weiteren Büchern avancierte er zu einem der beliebtesten und gefragtesten Autoren Deutschlands. Alle seine Bücher gibt es als Hörbuch, von ihm selbst gelesen.
Laila Mahfouz, 13. Juni 2016
Links:
Informationen zu Wladimir Kaminer auf der Seite des Manhattan Verlages. Hier finden Sie auch die anstehenden Lesungstermine.
Wer mehr lesen möchte und sich dennoch bisher nicht zu einem Kauf entschließen konnte, findet hier eine Leseprobe.
Die Website von Wladimir Kaminer finden Sie hier.
Die Facebook-Seite von Wladimir Kaminer finden Sie hier.
Hier eine Vorstellung des Buches »Das Leben ist (k)eine Kunst – Geschichten von Künstlerpech und Lebenskünstlern« durch Wladimir Kaminer selbst:
Die Website zu Wladimir Kaminers Russendisko finden Sie hier.
Mehr Informationen zu Wladimir Kaminer finden Sie hier.
Informationen zu Laila Mahfouz finden Sie hier.