5. Oktober 2015: Peter Høeg stellte seinen aktuellen Roman »Der Susan-Effekt« im Literaturhaus Hamburg vor und ließ viele Zuhörer staunend zurück. Moderiert wurde der erinnerungswürdige Abend von Høegs Übersetzer Peter Urban-Halle und einzelne Passagen wurden von der Hamburger Schauspielerin Marta Dittrich vorgelesen.
Text vom Buchumschlag: Susan ist Experimentalphysikerin, hantiert gern mit dem Brecheisen und bäckt nachts um drei Croissants für ihre Familie. Und sie hat eine außergewöhnliche Gabe: Jeder, der mit ihr spricht, wird absolut aufrichtig. Jetzt soll sie einem hochrangigen Justizbeamten ein geheimes Protokoll beschaffen: Ein Gremium hochkarätiger Wissenschaftler erforscht die Gefahren der Zukunft. Doch plötzlich kommt ein Mitglied nach dem anderen auf grausame Weise um. Mit irrwitzigen Einfällen, technischem Know-How und ihrem einzigartigen Effekt kämpft Susan darum, dass die Wahrheit ans Licht kommt.
Als Peter Høeg die erste Frage von Peter Urban-Halle beantworten sollte, erklärte Høeg: »Um Respekt und Liebe zu der deutschen Sprache zu demonstrieren, werde ich versuchen, deutsch zu sprechen.« Diese Aussicht wurde begeistert aufgenommen und der Däne demonstrierte im Laufe des Abends seine gute Aussprache sowie sein reiches Vokabular auf beeindruckende Weise.
In Høegs nunmehr siebten Roman »Der Susan-Effekt« steht wieder eine starke Frauenfigur im Mittelpunkt. Der dänische Meister-Fabulierer nimmt hier die weibliche Ich-Perspektive ein und hatte, wie er sagte, große Freude daran. Da ist es besonders schön, dass die Hauptfigur Susan, mit ihrer naturwissenschaftlichen Besessenheit eher männlich wirkt, wohingegen ihr Ehemann, der Komponist Laban, mit seiner kreativen und spirituell veranlagten Ader weibliche Aspekte abdeckt. Wir sind nun einmal keine eindimensionalen Wesen, nicht schwarz oder weiß, nicht richtig oder falsch. Høeg selbst besitzt viele nach alten Dogmen weiblich genannten Eigenschaften, die ich als Leserin seiner Bücher schätze und die ihn mir als Mensch besonders interessant machen.
»Mir und vielen Männern geht es darum, dem Weiblichen
näher zu kommen, das Weibliche in sich zu finden.
Es macht Spaß, sich als Mann sprachlich als Frau zu verkleiden.«
Was ist nun dieser Susan-Effekt? Ich denke, fast jeder kennt Menschen, denen ständig jemand sein Herz ausschüttet. Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich sage, es ist unerklärbar, aber es gibt diese Veranlagung. Ob sie wie in Høegs Buch spionagetechnisch genutzt werden kann, möchte ich nicht ausschließen. Der Hanser Verlag hat eine Website erstellt, um den Effekt zu demonstrieren. Diese Seite finden Sie hier.
Hier ein Interview mit Peter Høeg aus LeseZeichen vom 02.11.2015:
Wieder ist dieser neue Roman aber auch Gesellschaftskritik. Høeg verweist mit ernster Stimme auf die Dramatik der Weltlage, wenn er seinen Plot um die Prognose zur Zustörung der Erde spinnt. Auf Missstände aufmerksam und die Welt besser zu machen, sind sicher Ziele von Peter Høeg, denen er sich mit all seinen Aktivitäten annähert. „Oh nein“, höre ich schon einige Stimmen, „der Autor mit dem Zeigefinger!“ Peter Høeg hat ein hohes Sendungsbewusstsein und sicher ist er auch ein Missionar des Guten, aber was kann daran falsch sein? Vielleicht ist dies nicht die Hochliteratur, die manch einer erwartet, vielleicht verstecken sich überall Botschaften, die bewusst oder unbewusst aufgenommen werden und vielleicht geht von Høegs Weltsicht, Gelassenheit und spiritueller Offenheit etwas auf den Leser über, während er die als Thriller maskierten Romane liest, aber was ist daran bedenklich oder verwerflich? In ZEIT ONLINE erklärt Høeg so auch, er wollte „nicht nur den Kopf unterhalten, Lust ist Teil des ganzen Menschen. In der Schule hat man mir erzählt, dass Humor und Spannung gering zu schätzen seien. Ich glaube das nicht. Ich sehe keine Grenze zwischen Populärliteratur und sogenannter hoher Literatur. So eine künstliche Grenze hemmt die Freiheit des Spiels. Man schreibt ja in einem Strom, einem Flow von Kreativität. Ein Buch ist wie ein Rodeopferd. Ich bin 58 Jahre alt, aber ich bin auch noch ein Kind.“ Den ganzen lesenswerten Artikel finden Sie hier.
»Schriftsteller sind auch nur Orte, wo Bücher passieren.
Sie sind nicht hundertprozentig verantwortlich.«
Selten habe ich mir bei einer Lesung mehr notiert und doch weniger verfügbar, das ich hier schriftlich (mit-)teilen könnte. Peter Høeg hat seine Zuhörer mit seiner authentischen Art sofort in den Bann gezogen. Der emotionale Däne stand stets auf und lief herum, wenn er dem Publikum eine seiner wundervollen Erlebnisse detailreich darbot. Ob er von seiner Kindheit, seiner Großmutter oder einem spirituellen Erlebnis erzählte, im großen Saal des Literaturhauses war es mucksmäuschenstill, alles lauschte, hielt den Atem an, denn eine solche Offenheit ist selten, ist ein Geschenk, das einige nur mit Mühe anzunehmen in der Lage waren.
Peter Høeg hat in der Meditation, die ihm weit wichtiger als die Literatur ist, den Höhepunkt seines jeden Tages gefunden. Der 58-jährige dänische Erfolgsautor, der mit seiner Familie ohne Telefon und Fernsehgerät in einem jütländischen Dorf lebt, nutzt die Spiritualität, um das innere Gleichgewicht zu schaffen, das für alle Anwesenden im Literaturhaus zu spüren war. In dieser Zurückgezogenheit finden ihn dann auch stets neue Romanideen und er die Ruhe, diese per Hand umzusetzen.
Wie der MDR Figaro, der »Der Susan-Effekt« im Juli zum Buch der Woche kürte, schrieb, lohnt sich die Lektüre des Romans schon aufgrund der Passagen über die fast vergessenen Genies der Naturwissenschaften. Da ich bisher nur kenne, was von Marta Dittrich auf beeindruckende Weise vorgelesen wurde, kann ich dies nur als Anregung mitgeben. Ich bin vom Anfang des Buches gefesselt und freue mich schon auf die Lektüre.
»Der zunehmend kleiner werdende Teil der dänischen Bevölkerung, der noch nie gesessen hat,
hält Gefängnisse für stille Orte, niedergedrückt von Reue und Selbstprüfung. Das ist ein Irrrum.
In Gefängnissen herrscht ein Lärm wie in Raubtierkäfigen zur Fütterungszeit.
Aber im Besuchszimmer sind die Wände massiv, sie halten Hochfrequenzschwingungen auf.
Hier drinnen ist der Krach eher eine Vibration als ein Geräusch.« (Auszug als Kapitel 1)
Peter Høeg war begeistert von der lauschenden Stille und der Geduld seiner Zuhörer im Literaturhaus und bemerkte, dass er noch nie eine so lange Lesung in einer solchen Atmosphäre der Aufmerksamkeit erlebt habe. In Dänemark, so Høeg, würden die Besucher einer Lesung nie länger als zehn oder fünfzehn Minuten zuhören.
Fazit: »Der Susan-Effekt« ist ganz sicher ein äußerst interessanter Roman, dessen Thematik viel verspricht. Die Begegnung mit Peter Høeg war eine Bereicherung und der Abend ein unsagbarer Genuss. Herzlichen Dank an das Literaturhaus Hamburg, das uns diesen wunderbaren Autor in die Stadt geholt hat.
Peter Høegs Roman »Der Susan-Effekt« ist im Juli 2015 im Hanser Verlag erschienen – gebunden, 400 Seiten, EUR 21,90, ISBN 978-3446249042, übersetzt von Peter Urban-Halle.
Über den Autor: Peter Høeg, 1957 in Kopenhagen geboren, ist mit dem Roman »Fräulein Smillas Gespür für Schnee« (Hanser 1994) zum internationalen Bestsellerautor geworden. Bei Hanser liegen außerdem vor: »Vorstellung vom zwanzigsten Jahrhundert« (Roman, 1992), »Der Plan von der Abschaffung des Dunkels« (Roman, 1995), »Die Liebe und ihre Bedingungen in der Nacht des 19. März 1929« (Erzählungen, 1996), »Die Frau und der Affe« (Roman, 1997), »Das stille Mädchen« (Roman, 2007), »Die Kinder der Elefantenhüter« (Roman, 2010) und »Der Susan-Effekt« (Roman, 2015). Peter Høeg lebt in der Nähe von Kopenhagen.
2007 gründete er die Gesellschaft zur Förderung der Lebensklugheit bei Kindern, in der er mit Schülern meditiert. Er möchte die Kinder in unserer Zeit konstanter Ablenkung mit sich selbst vertraut machen, ihre Kreativität anregen und hofft, dass sie auf diese Weise zu empathischen Menschen werden.
Laila Mahfouz, 8. Dezember 2015
Links:
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