13. September 2012: Mit Frank Schulz, einem der Nominierten auf der Longlist des diesjährigen Deutschen Buchpreises, ist es dem Literatursalon Paschen wieder gelungen, eine hervorragende Lesung zu organisieren. Mit viel Liebe zum Detail und gerolltem „R“ las der Autor aus „Onno Viets und der Irre vom Kiez“ und begeisterte so, dass am Ende leergekaufte Büchertische übrig blieben.
Wieder einmal erwies sich der Familienbetrieb Paschen als großartiger Gastgeber: Während sich die zahlreichen Gäste an den biologischen Schnittchen und dem guten Wein labten, strahlte alles eine Atmosphäre der Gemütlichkeit aus. Die Besucher ließen sich in die tiefen Sessel fallen und warteten gespannt auf den Autor des Abends. Der Literatursalon Paschen ist eine noch junge Veranstaltungsreihe, die von Anfang an etwas Besonderes war. Dass kein Konkurrenzdenken zu anderen Einrichtungen der Stadt vorherrscht, wurde auch dadurch deutlich, dass Rainer Moritz, Leiter des Hamburger Literaturhauses, als Moderator lebhaft durch diesen Abend führte.
Nachdem Autor und Moderator ihre Plätze eingenommen hatten, der Raum etwas abgedunkelt und die Geräuschkulisse des Fischmarkts ausgesperrt worden war, sprang der Zauber der Begeisterung von Rainer Moritz über Frank Schulz (bekanntgeworden durch seine „Hagener Trilogie“) und seinen aktuellen Roman „Onno Viets und der Irre von Kiez“ auf die Zuhörer über und als Frank Schulz Kostproben aus seinem Buch vorlas, staunte das Publikum und gluckste vor Entzücken.
Was hat er da für einen Roman abgeliefert? Ist es ein Krimi, ein Drama, ein Lustspiel? Frank Schulz‘ Thriller hat von allem etwas. Es ist ihm hervorragend gelungen, das Leben des kleinen Mannes, seine Sorgen und Nöte darzustellen und einen Helden zu erschaffen, der trotz seiner Tüffeligkeit nicht zum Anti-Helden wird. Onno Viets ist sympathisch, er kann über sich selbst lachen und scheint sogar nichts lieber zu tun als das. Durch seine drei Superkräfte, die ihm von seinen Tischtennisfreunden attestiert werden – eminente Reflexe, Sitzfleisch und vor allem sein „Charisma für Arme“ – ist er einfach unschlagbar, nicht nur im Tischtennis. Die Herzen des Lesers erobert der Halbostfriese ebenso leicht wie die seiner Mitfiguren, wenn er sein rollendes „R“ erklingen lässt.
„Vervielfältigte man dieses R zu einer Endloschleife, klänge es wie das Schurren eines Katers.“
Stilistisch habe er eine Mischung aus „Twin Peaks“ und „Fargo“ (Coen Bros.) schaffen wollen, erklärt Frank Schulz, „…nur auf Hamburg gemünzt. So hatte ich mir das vorgestellt.“ Ich empfehle jedem, sich selbst ein Bild davon zu machen, wie gut ihm sein Vorhaben geglückt ist. Die Komik von „Onno Viets und der Irre vom Kiez“ lässt sich schwerlich erklären und kann leicht zerredet werden.
Die Meinung, glaubwürdige Dialoge zu schreiben, sei besonders schwierig, teilt Frank Schulz mit vielen Autoren. Um seine Figuren besonders lebendig zu gestalten, ist der Autor natürlich mit wachem Blick durch Hamburgs Straßen, U-Bahnen und Busse gewandelt und las sich selbst seine Texte am Ende laut vor, um Schwachstellen auszumerzen. Auf die Frage nach seinem unnachahmlichen Stil/Sound antwortete Frank Schulz, dass sich dieser nach und nach entwickelt hätte und es ein längerer Prozess gewesen sei. Schon im Alter von 14 Jahren hatte er mehr als die Hälfte aller Agatha Christie Kriminalromane gelesen und fertigte in dieser Zeit einige „Urhagener“ Krimis an, die er aber doch lieber in keiner Werksausgabe von sich wissen will.
„Wenn ich an einem Roman arbeite, bin ich wie ein Magnet, auf alles gepolt.“
Frank Schulz lauscht dem Schwärmen Rainer Moritz‘ für „Onno Viets und der Irre vom Kiez“. Foto: Anders Balari
Frank Schulz, der Spezialist für Randfiguren und Außenseiter, schuf mit Onno Viets einen echten Lebenskünstler, der über alltagstaugliche Superkräfte, viel Humor, eine Hahnenkopfphobie und einen eigenwilligen, ja geradezu „sittenwidrigen“ Tischtennisstil sowie weitere onnomanische Eigenschaften verfügt und in dem sich der Leser spiegeln kann. Onno Viets ist ein Held von der Straße, dem alle Herzen zufliegen und der herrlich tapsig in die komischsten Situationen gerät. Der grundsätzliche Plot stand schon von A – Z fest, als Frank Schulz zu schreiben begann, erzählte der Autor. Mit einer etwa 20seitigen Leseprobe habe er sich am Anfang noch Ratschläge und die Meinung seines Lektors eingeholt, um sich dann allein bis zum Ende durchzukämpfen. Wie üblich durfte auch seine Frau erst das fertige Werk in Augenschein nehmen, damit er nicht von täglichen Meinungen zu seinem Unterfangen abgelenkt werden konnte. Für die Arbeit an seinem Roman mietete er sich sogar eine ruhige Wohnung an, in der er ungestört arbeiten konnte. Wie Rainer Moritz seinem Gegenüber entlockte, nutzte der vielfach ausgezeichnete Autor alle Möglichkeiten des technischen Fortschritts wie Laptop, Diktiergerät und Handy-Notizen für seine Arbeit am Roman.
Zum Inhalt des Romas: Dem Hartz-IV-Empfänger Onno Viets droht eine Klage vom Finanzamt, wenn er nicht in der Lage ist, bis Ultimo eine erste Rate abzuzahlen, außerdem steht der 50. Geburtstag seiner geliebten Frau Edda praktisch schon vor der Tür. Statt eines neuen Fahrrads könnte er ihr nur etwas Gebasteltes schenken, wenn sich seine Finanzen nicht drastisch ändern. In dieser Notlage hat Onno „Noppe“ Viets eine „geniale“ Idee, die er seinen Kumpels, dem schönen Raimund, E.P. (Ulli alias Elefantenpeitsche) und dem Erzähler des Buches, Rechtsanwalt Christopher, nach allwöchentlicher Tischtennisrunde folgendermaßen darlegt:
„So Sportsfreunde. Achtung. Achtung. Ich glaub‘, ich werd‘ Privatdetektiv. Öff, öff.“
Obwohl die Runde wenig enthusiatisch reagiert und nicht im Entferntesten mit der Durchsetzung oder dem Erfolg von Onnos Plan rechnet, verschafft ihm Christopher aus Mitleid gleich den ersten Auftrag, denn sein Mandant, der medial omnipräsente Popstar Nick Dolan (alias Harald Herbert Queckenborn), der auch Jurymitglied der Sendung „Vote Germany’s International Red Light Stars“ (kurz „V-GIRLS“) ist, vermutet, dass seine Geliebte, der V-Girl-Star Fiona Popo, ihn betrügt. Der unerfahrene aber ausdauernde Onno stolpert von einer Observationsfalle in die nächste und muss sehr rasch feststellen, dass Privatdetektiv mitnichten ein leichter Beruf ist. Der Geliebte von ZP (Zielperson) Fiona Popo erweist sich als hünenhafter und schlaggewaltiger Kiezkönig („Germany’s next Toploddel“), doch wie soll Onno den Auftrag zurückgeben und dennoch den Fiskus und seine Frau zufriedenstellen? Der stoische Held des Romans fügt sich schließlich in sein Schicksal und löst damit eine Kettenreaktion aus, die er noch schwer bereuen wird und viele Menschen nie vergessen werden.
Ein kluger Rat befindet sich gleich auf Seite 4 des Buches:
„Handlungen und Figuren sind erfunden. Wer sich wiedererkennt, ist selber schuld.“
Nun, Spiegelbilder von Nick Dolan und Fiona Popo in unserer Welt zu entdecken, dürfte auch dem weltabgewandtesten Leser nicht schwerfallen!
Der Buchtrailer zu „Onno Viets und der Irre von Kiez:
Was mich persönlich an „Onno Viets und der Irre vom Kiez“ begeistert hat, sind die trotz ihrer überspitzt dargestellten Eigenschaften stets authentisch wirkenden Figuren, der großartige Umgang mit Sprache und Hamburger Mundart sowie die Aufteilung des Buches, die einen Spannungsbogen schafft, der kunstvoll von Meisterhand gezogen wurde, doch dabei nie künstlich wirkt.
Offensichtlich war unsere ZP Onno Viets unbemerkt bei der Lesung seines Erschaffers zu Gast. Foto: Anders Balari
Beim Verlassen des Stilwerks stellten wir überrascht fest, dass unsere ZP Onno Viets ganz offenbar unbemerkt ebenfalls Besucher der Lesung gewesen war. Vielleicht hatte seine Anwesenheit schon mit seinem nächsten Auftrag zu tun? Denn dass es eine Fortsetzung geben wird, steht laut Frank Schulz außer Frage. Der Ford „Guano“ mit Dachgepäckträger, der direkt in die winzige Parklücke hinter unserem Wagen gezwängt worden war, ließ jedenfalls klar erkennen, dass er dem Balkan Export noch nicht als Dosenpfand in die Hände gefallen ist.
Fazit: Ein durch und durch gelungener Abend, ein Autor, der es zwar nicht auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat, aber im November den Kranichsteiner Literaturpreis verliehen bekommt sowie ein Buch, das eine große Empfehlung verdient. „Onno Viets und der Irre vom Kiez“ ist ein humorvoller Thriller mit einer gehörigen Portion Psycho- und Milieustudie und wird sicher noch viele Leser begeistern.
Frank Schulz „Onno Viets und der Irre vom Kiez“, Gebunden, 366 Seiten, erschienen beim Galiani Verlag Berlin (Verlagsimprint von Kiepenheuer & Witsch) für EUR 19,99 unter ISBN 978-3869710389.
Laila Mahfouz, 15. September 2012
Links:
Homepage von Frank Schulz
Informationen zu „Onno Viets und der Irre vom Kiez“ auf den Seiten des Galiani Verlags Berlin (inkl. Clips, Interviews und Pressestimmen)
Informationen zum Literatursalon Paschen
Eine Fotostrecke der Veranstaltung finden Sie hier.
Einen Videomitschnitt der gesamten Lesung finden Sie hier.
Der Buchtrailer des Verlags
Ein Interview mit Frank Schulz über „Onno Viets und der Irre vom Kiez“, geführt von Belletristik-Couch-Chefredakteur Wolfgang Franßen, finden Sie hier.
Informationen zum Fotografen Anders Balari
Informationen zu Laila Mahfouz