Abbas Khider liest während der Leipziger Buchmesse am 18. März 2011 aus seinem zweiten Buch „Die Orangen des Präsidenten“. Eine Geschichte von Folter und Grausamkeiten, Tauben und Hoffnung.
Zum ersten Mal wurde ich durch Denis Schecks Sendung „Druckfrisch“ vom 28.02.2011 auf Abbas Khiders Buch „Die Orangen des Präsidenten“ aufmerksam. Fasziniert hat mich sofort Khiders poetische Sprache, seine ungeheure Intensität und seine Lebendigkeit, die wie eine Revolution gegenüber der erlebten Folter und Inhaftierung wirkt. Khider erzählt, wie ihm nach diversen Anläufen zur Aufarbeitung seiner Vergangenheit erst die deutsche Sprache den nötigen Abstand gab, den er zur Umsetzung des Romans benötigte. Tief bewegt hat mich, wie er schließlich sagt: „Die deutsche Sprache hat mir etwas Besonderes gegeben: Freiheit und Mut über alles zu schreiben.“ Als Denis Scheck mit den Worten „Ein bewegender Text – ein augenöffnendes Buch!“ die Sendung beendet, bin ich sofort entschlossen, mir die Lesung während der Leipziger Buchmesse nicht entgehen zu lassen!
Abbas Khider liest aus "Die Orangen des Präsidenten" ©Anders Balari.
Gespannt sitzen mein Mann, Anders Balari, und ich am 18. März dann auch in der ersten Reihe im Saal der Schaubühne Lindenfels und warten. Abbas Khider kommt, wird von seinem Verleger kaum vorgestellt, doch gewinnt uns sofort durch sein sympathisches Wesen und herzliches Lachen. Es wird klar, dass Khiders Humor ihm geholfen hat zu überleben. Als er beginnt zu lesen, verstummen alle anderen Geräusche. In seinem aktuellen Buch erzählt der irakische Schriftsteller die Geschichte seines Alter Egos Mahdi Muhsin oder auch Mahdi Hamama = Taube genannt. Wie der Autor selbst verbringt Mahdi zwei entsetzliche, niemals enden wollende Jahre während des Diktatur-Regimes Saddam Husseins in einem irakischen Gefängnis. Unschuldig und ohne Verhandlung oder Verurteilung wird er gefoltert und muss unter schlimmsten Bedingungen überleben. Zu Recht werden im Irak Gefängnisse „Hinter der Sonne“ genannt. In Verliesen vom Tageslicht abgeschottet sind die Gefangenen hier mit zwanzig Personen auf 16m² zusammengepfercht. Angst, Hunger und Verzweiflung bestimmen ihre Tage.
Nach einigen Auszügen aus seinem neuen Buch, beginnt Abbas Khider, uns zu erzählen, wie er selbst die Inhaftierung erlebt hat. Er versucht, zu beschreiben, wie schwierig der Weg der Aufarbeitung war und welche Absicht er mit seinem Buch verfolgte. Er wollte nicht einfach seine Geschichte erzählen, nicht bitter und traurig berichten, was ihm widerfahren ist. Er wollte in poetischer Sprache eine Geschichte erzählen.
Gestik - lebendige Sprache ©Anders Balari.
Seine Bemühungen haben sich gelohnt, denn trotz all der entsetzlichen Dinge, die im Buch passieren, huschte immer wieder ein Lächeln über mein Gesicht, während ich las. Es ist ein literarischer Kniff, die Kapitel über das Gefängnis und die Taubenzucht abzuwechseln. Die Taube als Symbol für die Freiheit und auch für die gefesselten Flügel der Gefangenen. Und doch: Die Gedanken waren nicht gefangen, ihre Flügel und ihr Wille nicht gebrochen. Die Welt im Gefängnis ließ Raum für viel Menschlichkeit, tiefe Gefühle und so spürt der Leser deutlich, wie die Phantasie der einzige Ausweg und doch ein grausamer Dolch sein kann. Eine Waffe, die in den Wahnsinn oder ins Glück führen kann. Im Interview mit Denis Scheck erklärt Abbas Khider, das Wichtigste als Gefangener ist, niemals daran zu denken, entlassen zu werden. Die Hoffnung zu haben oder sie zu verlieren, scheint in der hier erlebten Situation fast dasselbe zu sein.
Inhalt: Alles beginnt mit der Schilderung der Kindheit Mahdis in Babylon. Nachdem sein Vater und später auch seine Mutter sterben, zieht er zu seinem Onkel nach Nasrijah und freundet sich mit dem Taubenzüchter Sami an. Nach der Abiturabschlussarbeit aber wird Mahdi mit seinem Freund Ali verhaftet. Obwohl Mahdi sich als unschuldig herausstellt, wird er für zwei Jahre unter schlimmsten Bedingungen im Gefängnis im Nirgendwo bleiben.
Abbas Khider erzählt intensiv ©Anders Balari.
Mahdi erzählt vom Alltag der Gefangenschaft, den Grausamkeiten der Wärter, den Freundschaften mit den besonderen Menschen, die ihm im Gefängnis begegnet sind. Immer wieder zwischendurch erfährt der Leser, wie es Mahdi vorher mit Sami und der Familie seines Onkels ergangen ist. Wir lernen viel über Tauben und über das Leben im Irak vor dem Golfkrieg. Irgendwann erfahren die Gefangenen, dass Amerika Saddam Hussein bekämpfen will und von nun an beginnt die Hoffnung in ihren Herzen wieder zu glühen. Nach zwei Jahren wird Mahdi dann von irakischen Revolutionären befreit und findet seine Welt ebenso verändert vor, wie er selbst sich verändert hat. Die Drohung der Amerikaner ist Wahrheit geworden: Sie haben den Irak in die Steinzeit zurück gebombt. Eine wirklich mitreißende Geschichte.
„Die Orangen des Präsidenten“ verlegt im Edition Nautilus Verlag, Hamburg. Eine schöne gebundene Ausgabe, deren Titelbild sehr beeindruckend umsetzt, worum es im Buch geht – die Kontraste von Poesie und Taubenzüchtung gegenüber Diktatur und Folter.
Obwohl der sympathische Schriftsteller eine Zigarettenpause herbeisehnt, nimmt er sich gerne die Zeit, jedem eine persönliche Widmung in zwei Sprachen in die erstandenen Exemplare von „Die Orangen des Präsidenten“ und „Der falsche Inder“ zu schreiben. Das Ergebnis ist nicht nur leserlich sondern außerdem sehr malerisch.
Abbas Khider signiert mit Freude zweisprachig und erschafft kleine Kunstwerke ©Anders Balari.
Sprache wie Schrift sind im gesamten arabischen Sprachraum eine ganz eigene Kunstform, die Abbas Khider mit Leichtigkeit beherrscht. Mein Mann, Anders Balari, und ich denken an diesen Abend in der Schaubühne Lindenfels während der Leipziger Buchmesse gerne zurück, an dem wir Abbas Khider und seine Geschichte kennenlernen durften. Es bleibt eine sehr lebendige Erinnerung.
Zu Hause eingetroffen legte ich meine beiden Neuerwerbungen wie auch alle anderen Bücher, die ich auf der Buchmesse erstanden hatte, auf den großen Stapel der noch zu lesenden Bücher. Mich erschreckt die Höhe (ca. 300 Bücher) keineswegs. Die Anzahl erfüllt mich immer wieder mit großer Freude. Vorfreude auf alle Geschichten, die mir Zugang zu neuen Welten öffnen werden und Freude an diesem Augenblick.
Dann war es endlich soweit und das Buch „Die Orangen des Präsidenten“ hatte seinen großen Auftritt bei mir. Ich wurde nicht enttäuscht. Ich habe durch Khiders Augen auf Dinge schauen dürfen, die sich meinem Blick bisher verborgen hatten. Trauer, Wut und doch wieder Freude und Rührung brachten mich immer wieder nahe an die Hauptperson Mahdi heran. Ich habe mit ihm gelitten und mich mit ihm gefreut. Abbas Khiders Erzählstil, die geschickte Verknüpfung der glücklichen Zeit vor der Inhaftierung und der schrecklichen Jahre im Gefängnis schaffen einen ganz eigenen Rhythmus, der mich mitgerissen, in Welten geführt hat, die mir zuvor unbekannt gewesen waren. Das Buch ist eine große Empfehlung. Ich werde es sicher noch einmal lesen, denn es hat mich auch tief berührt. Ich freue mich, dass Abbas Khider den Mut gefunden hat, in seinem Buch seine Vergangenheit zu verarbeiten. Ich wünsche ihm weiterhin Mut, Erfolg und nur noch Glück auf seinem Lebensweg.
Abbas Khider „Die Orangen des Präsidenten“ erschienen im Edition Nautilus Verlag für EUR 16,00 unter ISBN 978-3-894017330.
Laila Mahfouz, 13. August 2011
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