Beginnend mit dem »Steckbrief Erde« zeigen uns die Autoren Professor Harald Lesch und Klaus Kamphausen in ihrem Buch »Die Menschheit schafft sich ab – Die Erde im Griff des Anthropozän« sehr anschaulich die zahllosen Facetten, Ursachen und Möglichkeiten des heutigen Zustandes unseres Planeten, über die eindringliche Warnung, diese Wahrheiten zu ignorieren, bis hin zu Lösungsmöglichkeiten, das Ruder sozusagen in letzter Minute herumzureißen. Bis heute verleugnen oder verharmlosen zu viele Verantwortliche in Wirtschaft und Politik diese Tatsachen und wollen nur schnellen Profit durch Raubbau an der Natur und den Ressourcen unserer Erde, ohne Rücksicht auf die Folgen für uns alle.
Verlagstext: Die Lebensbedingungen auf der Erde verändern sich. Viele Arten sterben aus – und auch der Lebensraum des Menschen ist zunehmend in Gefahr. Immer tiefere Spuren hinterlässt das Anthropozän, das Menschenzeitalter, in den letzten 2000 Jahren. Wissenschaft und Technik nehmen seit der Industrialisierung die Erde in den Griff. Sei es die Ausbeutung der Bodenschätze, Luft- und Wasserverschmutzung, die Klimaveränderung und Erderwärmung, Kernspaltung oder die Verschwendungssucht der Wohlstandgesellschaft – wir beuten unseren Planeten aus wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Energiehunger und globaler Konsum treiben einen zerstörerischen Kreislauf an.
Harald Lesch, Astrophysiker und Philosoph, ist aus den Weiten des Weltalls zurück. Es geht ihm jetzt um die Erde, die Heimat des Menschen, der in einer bisher nie gekannten Hybris den Ast, auf dem er sitzt, absägt.
Die Liste des Raubbaus des Menschen an der Natur ist lang und beginnt keineswegs in der heutigen industriellen Zeit, obwohl dieser in immer höherer Geschwindigkeit fortschreitet. Von der Abholzung großer Wälder bis zur Verödung ganzer Landstriche in der Antike für den Bau riesiger Flotten und Befestigungsanlagen hat sich bis heute bei einem Großteil der Menschen in den sogenannten „zivilisierten“ Ländern an der Haltung zur Ausbeutung der Natur und ihrer Schätze nichts geändert.
Das Buch ist in 41 Kapitel gegliedert mit teilweise mehreren Untertiteln, von denen ich einige nennen möchte, um ein wenig von dem breiten Spektrum des hier versammelten Wissens aufzuzeigen:
– Kapitel 2. Der Beginn alles Seins
– Kapitel 5. Erstes Leben
– Kapitel 8. Das Leben kommt an Land
– Kapitel 10. Kontinentaldrift
– Kapitel 13. Neolithische Revolution
– Kapitel 18. Von der Wissenschaft zur Technik und zur Ökonomie
– Kapitel 24. Eine Erde reicht nicht
– Kapitel 28. Energie und Rohstoffe
– Kapitel 29. Wunden der Erde*
– Kapitel 30. Der Klimawandel
– Kapitel 34. Empört Euch
– Kapitel 35. Ethik des Anthropozän
– Kapitel 39. Die Unbelehrbarkeit des Menschen
* ab Seite 332 zeigen schockierende Fotos, wie durch einige geldgierige, skrupellose Menschen riesige Gebiete unserer Erde zerstört und unbewohnbar für Mensch und Tier werden.
Dieses Buch soll uns bewusst machen: Unser Planet ist ein Wunder, vielleicht einzigartig im ganzen Universum. Die Natur, das Leben selbst ist ein Wunder, nur möglich durch ein fein abgestimmtes Instrumentarium kosmischer Kräfte und ewiger Naturgesetze. Daher ist es auch verletzlich und zerbrechlich, sobald dieses ausgewogene Gleichgewicht gestört wird, wie es ganz massiv vom Menschen in immer schlimmerer Form betrieben wird.
Zusammengefasst kann man sagen: Auf der jungen Erde war richtig was los. Eine Atmosphäre aus Kohlendioxyd, Wasserdampf, Methan und vielen anderen Gasen ausgespuckt von Vulkanen und großräumigen, glutflüssigen Gesteinsmassen. […]
Alle Zutaten stehen bereit, kann der Barmixer jetzt stolz verkünden. Nun muss nur noch alles in der richtigen Dosierung zusammengebracht werden, gerührt oder geschüttelt. Ganz wie’s beliebt. Der Cocktail des Lebens wartet auf seinen Einsatz. Cheers!
Kapitel 4 »Der Aperitif des Lebens« / Seite 54
Wohl die wesentlichste Eigenschaft, die uns Menschen einzigartig macht, ist unsere Neugier an allem und jedem und unser unstillbarer Wissensdurst. Alles muss der Mensch untersuchen, über Probleme nachdenken und er findet keine Ruhe, bevor er nicht die jede Problematik verstanden und Lösungen erdacht hat.
Nach unserem heutigen Wissensstand vergingen vom Beginn der Menschheit durch die Trennung der Gattungen der Hominini von den Schimpansen vor ca. sechs Millionen Jahren bis zu den modernen Homo sapiens vor etwa 150.000 bis 200.00 Jahren immerhin Millionen von Jahren. Es war das weiterentwickelte Großhirn des modernen Homo sapiens, das durch günstige Gene, bessere Ernährung und ständige Übung „der kleinen grauen Zellen“ gewachsen ist und leistungsfähiger wurde als das aller anderen bis dahin lebenden Menschenarten, die irgendwann ausstarben. Es befähigte ihn, sich den verschiedensten Klimazonen und auch schwierigsten Umweltbedingungen anzupassen und sich überall auf der Erde anzusiedeln.
Das größere und leistungsfähigere Gehirn, das zur Sprache fähig war, sich sozial verhalten konnte, entwickelte mit der Zeit auch eine enorme Abstraktionsfähigkeit. Der Mensch konnte Instrumente herstellen, wie zum Beispiel eine Flöte und daraus entstand Musik, zur Musik entwickelte sich der Tanz. Der Mensch begann, seine Umwelt und sich selbst abzubilden. Felsmalereien und die Bildhauerei durch Weiterentwicklung erster kleiner Schnitzarbeiten entstanden, durch Phantasie wurde Kreativität entwickelt, Visionen wurden möglich.
Genau das ist das Geheimnis des Erfolges der Spezies Mensch: die Fähigkeit, sich etwas vorstellen zu können, Zukunft zu simulieren. […] Dieses Nach-vorne-Denken in eine Zeit, die noch nicht da ist, das ist der Prometheus in uns. Immer weiter und weiter!
Aber es gibt auch seinen Bruder Epimetheus, der Zurückblickende. Er versucht, aus Fehlern zu lernen und seinen Bruder immer wieder zur Vorsicht zu mahnen: »Pass auf, wir haben da damals schon einen blöden Fehler gemacht. Bitte mach nicht so weiter, sonst geht alles den Bach runter«. Aber der gute Prometheus hört nicht gern auf solche Warnungen, er macht sich immer wieder zu neuen Zielen auf.
Kapitel 1 »Die Welt ist schon da« / Seite 17
Von der Neolithischen Revolution vor ca. 12.000 Jahren, als der Mensch begann, sesshaft zu werden, über den Beginn der Globalisierung Anfang des 17. Jahrhunderts bis zur Industriellen Revolution, beginnend in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hat der Mensch geforscht, entdeckt und erfunden – in immer schnellerem Tempo. Dies gipfelt in der Digitalen Revolution unserer Tage, deren Ende bzw. deren Folgen kein Mensch voraussehen kann.
In diesem Video erläutert Harald Lesch die Neolithische Revolution:
Die Industrielle und auch die Digitale Revolution hat den Menschen viel Nutzen gebracht, nur überrollte sie sozusagen durch die Geschwindigkeit der Veränderungen die Menschen. Sie konnten sittlich-moralisch mit dieser rasanten Entwicklung nicht Schritt halten, die Ethik blieb vielfach auf der Strecke und so wurde fast jede gute und eigentlich nützliche Erfindung in kürzester Zeit ins Gegenteil verkehrt und zum Schaden aller Wesen eingesetzt.
Die Menschen kennen in ihrem Tun keine Grenzen und immer mehr Forscher stellen entsetzt fest »was der Mensch tun kann, das tut er«, oftmals ohne Rücksicht auf die Folgen oder ohne die Folgen auch nur zu bedenken.
Die UNO hat in der Agenda 2030 einen Zukunftsvertrag für die Menschheit für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Leider sind ihre Ziele nicht verbindlich und nur Zielvorgaben, wie ihre Visionen in diesem Papier, zum Beispiel:
» […] Wir sehen eine Welt vor uns, die frei von Armut, Hunger, Krankheit und Not ist und in der alles Leben gedeihen kann. Eine Welt, die frei von Furcht und Gewalt ist. Eine Welt, in der alle Menschen lesen und schreiben können. […] Eine Welt, in der wir unser Bekenntnis zu dem Menschenrecht auf einwandfreies Trinkwasser […] bekräftigen. […] Wir sehen eine Welt vor uns, in der die Menschenrechte und die Menschenwürde, die Rechtsstaatlichkeit, die Gerechtigkeit, die Gleichheit und die Nichtdiskriminierung allgemein geachtet werden […].«
Kapitel 35 »Ethik des Anthropozän« – Auszug aus der UN-Agenda-2030 für nachhaltige Entwicklung – »Ein Zukunftsvertrag für die Menschheit« / Seite 419
Die trotz aller augenblicklichen Misere hoffnungsvolle Botschaft: Genau diese Vorstellungen können wir realisieren, es liegt allein an uns Menschen, welche Welt wir wollen, die der jetzigen, schlimmen Realität oder die der Vision der UNO.
Das Buch »Die Menschheit schafft sich ab« liest sich nicht leicht, denn es enthält Fakten, Fakten, Fakten. Und zwar Fakten, die teilweise erschrecken und deprimieren, denkt man an die Aussichten für spätere Generationen. Dieses Buch ist vielseitig informativ und auch für Nichtwissenschaftler oder Menschen, die sich mit den Problematiken bisher noch nicht auseinandergesetzt haben, gut verständlich geschrieben. Ich halte es für das hilfreichste Buch zu diesem Thema für alle Menschen, die in Diskussionen mit belegten Fakten argumentieren und so Zweifler überzeugen und zur Umkehr bewegen möchten.
Der Hinweis auf weiterführende Quellen auf den letzten Seiten erleichtert die Suche für diejenigen, die sich noch eingehender mit dem Thema beschäftigen und nach ihren Möglichkeiten bei der Lösung dieser Menschheitsaufgabe engagieren möchten.
Es ist gut, dass dieses Buch als Taschenbuch erschienen ist, damit es für viele Menschen erschwinglich ist. »Die Menschheit schafft sich ab« sollte von ganz vielen Menschen gelesen werden und mit diesem Buch sollte gearbeitet werden. Ich würde es mir als Pflichtlektüre an den Oberstufen der Schulen und auch in den Vorstands- und Aufsichtsratsetagen der Großkonzerne wünschen.
Als Taschenbuch hat es ein handliches Format, ist aber wegen der Papiersorte ein wenig schwer in der Hand und durch das glänzende Papier etwas anstrengend für die Augen. Sehr viele Tabellen, Skizzen und Fotos lockern den wissenschaftlichen Text auf und verdeutlichen die Fakten. Leider ist die Schrift in den Tabellen manchmal ziemlich klein ist und zarte graue Schrift auf grünem Untergrund ist auch keine so gute Idee.
Die Gliederung ist übersichtlich vom zeitlichen Ablauf der Erdgeschichte her geordnet und diverse namhafte Interviewpartner und Gastbeiträge verschiedener Fachleute ergänzen die Ausführungen der beiden Autoren. Besonders hervorheben möchte ich die Gastbeiträge von Landesbischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm (S. 148), Helga Einecke (S. 322), Dietmar Wischmeyer (S. 370), Herbert Lenz (S. 373), Prof. Ernst-Peter Fischer (S. 486) und Dr. Klaus Seitz (S. 465) sowie die Interviewbeiträge von Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald (S. 266), Johannes Heimrath (S. 266), Anton Hofreiter (S. 273), Prof. Dr. Mojib Latif (S. 344), Prof. Dr. Hartmut Rosa (S. 382), Yvonne Hofstetter (S. 392), Eberhard Brandes (S. 481), Klaus Milke (S. 471) und Prof. Dr. Ernst Ulrich Michael Freiherr von Weizsäcker (S. 441).
In diesem Video erklärt Harald Lesch selbst, worum es in »Die Menschheit schafft sich ab – Die Erde im Griff des Anthropozän« geht:
Fazit: Dieses Buch ist etwas ganz Besonderes, weil es alles Wissenswerte über die Entwicklung unseres Planeten und des Lebens auf der Erde vom Anbeginn bis heute zusammenfasst und – Professor Lesch begeistert mich damit immer wieder – in allgemein verständlicher Sprache mit leichter Hand Wissen vermittelt.
Francis Bacon hat um 1620 den bekannten Satz geprägt »Wissen ist Macht«. Leider gilt das heute für viele Wissenschaftler nicht, sie müssen sich fühlen wie einsame Rufer in der Wüste. Martin Zips von der Süddeutschen Zeitung fasst in seinem Gastbeitrag (Ein Teil seines Essays »Empört Euch!« – Der Titel bezieht sich auf die Streitschrift »Empört Euch!« des französischen Résistance-Kämpfers Stéphane Hessel) im Januar 2016 seine Fassungslosigkeit über das Phlegma und die Gleichgültigkeit angesichts der Gefahr für die ganze Menschheit so zusammen (gekürzt aus den Seiten 405 bis 411):
Eine Nachricht im Radiowecker nach einer Studie der Hilfsorganisation Oxfam, dass 62 Superreiche über ebenso viel Vermögen verfügen wie 3,7 Milliarden der ärmsten Menschen, ließ ihn „senkrecht im Bett stehen“. Diese zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit als Folge des Kapitalismus, egal ob es nun 59, 62 oder 224 Superreiche sind, worüber gestritten wurde – das macht doch keinen Unterschied –
aber – Kein Aufschrei – nein, „Und jetzt zum Wetter!“, hieß es als Übergang zum belanglosen Tagesgeschäft!
Seine fast verzweifelte Fassungslosigkeit über Reaktion bzw. Nichtreaktion der Menschen endet mit der Erkenntnis: Woran es uns dieser Tage am meisten fehlt, ist Sinn. Gemeinschaftssinn. Etwas, das man früher Moral genannt hätte.
Martin Zips kann ich nur aus vollem Herzen zustimmen – Empört Euch! Jetzt!
Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen – Wehrt Euch!
Wie lange wird die Menschheit noch tatenlos zusehen, wie eine kleine internationale Clique von Superreichen unsere Erde plündert, die doch allen Lebewesen gehört? Böden werden enteignet, Wälder zerstört, Flüsse vergiftet, Luft verpestet, Menschen in unsinnige Kriege getrieben, um die Rüstungsbosse zu mästen?
Es heißt, etwas muss ganz schlimm werden, bevor es besser werden kann. Nur wird sich unsere Erde an diese menschlichen Spielregeln nicht halten. Wenn es ganz schlimm wird, kann es dieses Mal nicht mehr besser werden, dann gibt’s die Natur zwar immer noch – Gott sei Dank – aber ohne uns Menschen.
Ich bewundere Professor Lesch und Klaus Kamphausen, dass sie trotz all der aufgeführten schlimmen Fakten noch den Mut zum Optimismus und Vertrauen in den Selbsterhaltungstrieb des Menschen haben, so dass doch noch alles gut werden kann.
»Die Menschheit schafft sich ab – Die Erde im Griff des Anthropozän« ist ein wichtiges Buch, dessen Lektüre ich uneingeschränkt jedem empfehlen möchte. Ich wünsche ihm ganz viele Leser und freue mich schon sehr auf das neue Buch der beiden Autoren »Wenn nicht jetzt, wann dann? Handeln für eine Welt, in der wir leben wollen«, erschienen im September 2018 im Penguin Verlag, das hoffentlich wieder Mut macht und Lösungs- beziehungsweise eigentlich Überlebensmöglichkeiten für die Menschheit aufzeigt.
Professor Harald Leschs und Klaus Kamphausens Buch »Die Menschheit schafft sich ab – Die Erde im Griff des Anthropozän« ist im März 2018 für EUR 14,99 im Knaur Verlag erschienen – Taschenbuch, 528 Seiten, ISBN 978-3426789407.
Über die Autoren:
Harald Lesch, geboren 1960 in Gießen, ist Professor für theoretische Astrophysik an der Universität München und lehrt Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie SJ.
Er ist Autor zahlreicher Bestseller und moderiert im ZDF die Sendung »Leschs Kosmos«. Für seine Wissensvermittlung wurde er vielfach ausgezeichnet, unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.
Klaus Kamphausen studierte Theaterwissenschaften, Psycholinguistik und Psychologie und lebt als Dokumentarfilmer und Autor in München.
G. Baschelke, 14. November 2018
Links:
Mehr zum Buch finden Sie auf der Seite des Knaur Verlages.
Das Profil von Prof. Dr. Harald Lesch auf der Seite der Universität München finden Sie hier.
Mehr Informationen zu Harald Lesch finden Sie hier.
Die Rechte an den Fotos liegen bei Julia Loschelder (Foto von Harald Lesch) und Mascha Glatzeder (Foto von Klaus Kamphausen).