Lesung am 22. April 2018 im Spiegelsaal des Bezirksamtes Bergedorf / Hamburg: In seinem aktuellen Buch »Felix und Felka« erzählt der vielfach ausgezeichnete Autor Hans Joachim Schädlich in knappen Szenen die letzten elf Jahre des jüdischen Künstlerpaares Felix Nussbaum und Felka Platek nach, welches jahrelang vor dem Nazi-Regime durch ganz Europa fliehen musste.
Im wunderschönen Spiegelsaal des Bezirksamtes Bergedorf (Hamburg) las Hans Joachim Schädlich aus »Felix und Felka«.
Verlagstext: Rom, an einem Nachmittag im Mai 1933. Ein tätlicher Angriff des Malers Hanns Hubertus Graf von Merveldt zwingt den deutsch-jüdischen Maler Felix Nussbaum, die Villa Massimo zu verlassen. Die Rückkehr nach Deutschland ist ihm und seiner Lebensgefährtin, der polnisch-jüdischen Malerin Felka Platek, angesichts der nazistischen Judenverfolgung unmöglich. Nach Aufenthalten an der italienischen Riviera, in Paris und Ostende finden sie schließlich eine Bleibe in Brüssel. Dem dringlichen Rat eines Freundes, sich nach Palästina zu retten, folgen sie nicht. Obwohl die Bedrohung durch die deutschen Besatzungsbehörden zunimmt, bleiben sie in Brüssel, verstecken sich in einer Mansarde.
Im Rahmen der High Voltage Frühjahrslesetage veranstaltet vom Literaturhaus Hamburg und Stromnetz Hamburg stellte Hans Joachim Schädlich sein aktuelles Buch »Felix und Felka« vor, das im Januar 2018 im Rowohlt Verlag erschienen ist (ISBN: 978-3498064372).
Mit wenigen Worten viel zu sagen, gelingt kaum jemandem besser als Hans Joachim Schädlich. Seine Verdichtung aufs Wesentliche hat ihm von der Kritik den Beinamen „Meister der Reduktion“ eingebracht. Auch in seinem aktuellen Buch »Felix und Felka«, in dem er die letzten Jahre des jüdischen Malers Felix Nussbaum und seiner Lebensgefährtin, der polnisch-jüdischen Malerin Felka Platek, in knapper Sprache und kurzen Szenen schildert, blieb er seinem Stil treu.
Zum ersten Mal seit seinem Debüt wählte Hans Joachim Schädlich in »Felix und Felka« die Zeitform des Präsens, um das Künstlerpaar noch lebendiger auferstehen zu lassen. Der vielfach ausgezeichnete Autor unterstrich, dass es sich nicht um ein kunsthistorisches Buch handele. Vielmehr wollte Schädlich sich durch das Schreiben an dem Buch mit den letzten elf Jahren der beiden Künstler von 1933 – 1944 vertraut machen.
Ein Flüchtlingsroman: Die beiden Künstler sind immer wieder auf der Flucht. Von ihrem überstürzten Aufbruch aus der Villa Massimo in Rom ziehen sie auf der Suche nach Zuflucht quer durch Europa, doch stets müssen sie sich wieder auf den Weg machen, denn die Bedrohung durch die deutschen Besatzer lauert überall. Das Leben im Exil, wenn auch nicht auf gleich dramatische Weise, ist Hans Joachim Schädlich durchaus auch selbst vertraut, denn nachdem er sich in der DDR gegen die Ausweisung Wolf Biermanns aussprach, belegte ihn die Regierung mit Berufsverbot und zwang den gebürtigen Vogtländer, seine Heimat zu verlassen und in die BRD auszureisen.
»Felka, wenn wir schon Maler-Touristen sind-«, sagt Felix, »ich finde, du solltest auch die östliche Riviera sehen, die Riviera di Levante. Rapallo. Daran dachte ich schon nach dem Treffen mit meinen Eltern. Auf der Reise dorthin machen wir Station in Genua, gehen zum französischen Konsulat und besorgen uns Visa für Frankreich.«
(Seite 31)
Im Buch ist Felix eher sorglos und optimistisch und Felka sorgenvoll. Sie will Europa nicht verlassen. Beide glauben trotz aller Verzweiflung allzu lange daran, dass sich die Zeiten wieder ändern werden.
Anstoß für Schädlichs Beschäftigung mit Felix Nussbaum war eine Plakette, die auf Nussbaums Tötung in Auschwitz hinwies. Im Felix Nussbaum Haus in Osnabrück, wo der Maler 1904 geboren wurde, sah Hans Joachim Schädlich schließlich erstmals Nussbaums Bilder im Original. Das Museum, welches 2018 sein zwanzigjähriges Jubiläum feiert, kümmert sich darum, dass Nussbaums Wunsch erfüllt wird: »Wenn ich untergehe – lasst meine Bilder nicht sterben«.
»Es heißt, Karl Marx hat im Cygne am Kommunistischen Manifest gearbeitet.
Er musste aus Belgien fort, weil die preußische Regierung Belgien seinetwegen bedrängt hat.«
»Einstein hat Belgien verlassen, weil die Nazis …«, sagt Felka. »Und wann gehen wir?«
»Ich bin nicht Marx, und du bist nicht Einstein.«
(Seite 48)
»Felix und Felka« möchte Hans Joachim Schädlich als Anklage gegen das Nazi-Regime sowie gegen das Wiederaufleben des rechtsradikalen, rassistischen und antisemitischen Gedankenguts verstanden wissen. Seiner Meinung nach wird Rassismus in Deutschland nicht genug kontrolliert und strafrechtlich verfolgt. Dass sich heutige sogenannte Künstler auf eine Meinungs- und Kunstfreiheit berufen, empfindet Schädlich als einen zynischen Missbrauch dieser Begriffe, welcher strafrechtlich verfolgt gehörte, wie er sagte.
Das Thema in »Felix und Felka« sei daher das Unverhältnis zwischen den Ohnmächtigen und den Mächtigen wie auch zwischen den Menschen der Macht und denen des Geistes und der Kunst. Selten wurde das Leben eines jüdischen und daher von den Nazis verfolgten Künstlers auf so verdichtete Weise literarisch festgehalten. Die Lektüre des Buches entspricht fast dem Durchblättern eines privaten Fotoalbums, denn in intimen Momentaufnahmen werden die letzten Jahre des Künstlerpaares erzählt, wodurch die Angst vor der existentiellen Bedrohung besonders deutlich zum Vorschein kommt und für den Leser spürbar wird.
Der Rowohlt Verlag brachte das Buch in gebundener Form mit edlem Leineneinband heraus, auf dem der Buchtitel, der Name des Autors sowie hinten der Buchtext eingeprägt sind und bei welchem es sich farblich um einen Teil der Malerpalette von Nussbaums letztem vollendeten Werk »Triumph des Todes (Die Gerippe spielen zum Tanz)« von 1944 handeln könnte. Eine wirklich gelungene Umsetzung.
Fazit: Hans Joachim Schädlichs »Felix und Felka« ist ein Zeitdokument der besonderen Art, gerade weil sich das Buch nicht allein an kunsthistorische Fakten hält. Seine Mischung aus Dokumentation historischer Fakten und fiktiver Erzählung fängt mit einer Ohrfeige für Felix Nussbaum an, mit der sein Schicksal – das Leben auf der Flucht – seinen Lauf nimmt. Doch solange die Kunst in ihrem Leben existiert, weigern sich Felix und Felka ans Schrecklichste zu denken oder zu glauben. Eindringlich erzählt Hans Joachim Schädlich von diesem europäischen Schicksal und von zwei Liebenden, die sich in Verzweiflung und Bedrohung immer wieder an eine aussichtslose Hoffnung klammern. Mit seiner knappen, verdichteten Erzählweise möchte der Autor seinen Lesern einen Freiraum des Denkens schaffen, in dem sich die Gedanken verselbstständigen. »Felix und Felka« gibt viele Gedankenanstösse und ist ein bemerkenswertes Alterswerk – nicht nur für Kunstliebhaber.
Hans Joachim Schädlichs »Felix und Felka« ist im Januar 2018 für EUR 19,95 im Rowohlt Verlag erschienen – gebunden, 208 Seiten, ISBN 978-3498064372.
Wer mehr lesen möchte, findet hier eine Leseprobe.
Über den Autor: Hans Joachim Schädlich, 1935 in Reichenbach im Vogtland geboren, arbeitete an der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin, bevor er 1977 in die Bundesrepublik übersiedelte. Für sein Werk bekam er viele Auszeichnungen, u. a. den Heinrich-Böll-Preis, Hans-Sahl-Preis, Kleist-Preis, Schiller-Gedächtnispreis, Lessing-Preis, Bremer Literaturpreis, Berliner Literaturpreis und Joseph-Breitbach-Preis. 2014 erhielt er für seine schriftstellerische Leistung und sein politisches Engagement das Bundesverdienstkreuz. Hans Joachim Schädlich lebt in Berlin.
Laila Mahfouz, 13. Juni 2018
Links:
Die Fotostrecke zur Lesung finden Sie hier. Die Rechte der Fotos liegen bei Laila Mahfouz.
Mehr zu Hans Joachim Schädlich auf der Seite des Rowohlt Verlages.
Weitere Informationen zu Hans Joachim Schädlich finden Sie hier.
Informationen zu Laila Mahfouz