In seinem Buch »Briefe an junge Autoren« / »Letters to a Young Writer« schafft Colum McCann genau das, was der Untertitel verspricht, nämlich Schreibanfängern praktische und philosophische Ratschläge an die Hand zu geben.
Verlagstext: Colum McCann gibt angehenden Schriftstellern Anregungen für den Schreibprozess: Wie muss die erste Zeile eines Buches aussehen? Wie stellt man sich der leeren weißen Seite? Wie erschafft man Figuren? Aber er gibt auch praktische Tipps, wie man einen Agenten findet, wie viele Schreibpausen man einlegen sollte und wie man am besten mit Kritikern umgeht. Er notiert Überlegungen zur Einstellung, die zum Schreiben nötig ist, und geht auf die mentalen und philosophischen Herausforderungen ein, die jedem Autor irgendwann begegnen. So entsteht ein zugleich empathischer wie pragmatischer Ratgeber für Schreibbegeisterte. Inspirierend, ermutigend, provokant!
Anleitungen für angehende Schriftsteller gibt es viele. Bücher zum Kreativen Schreiben füllen ganze Schrankwände, was also macht Colum McCann denn anders? Nun, ganz sicher verteilt er keine Dogmen. Seine Ratschläge sind – einmal verinnerlicht – tatsächlich umsetzbar. Sie haben nichts mit materiellen Mitteln zu tun und hängen auch nicht vom jeweiligen Stand der Erfahrung des Autors ab. Fast schon im Sinne des Buddhismus begrüsst McCann es, wenn der Autor durch den Prozess des Ausprobierens seinen eigenen Weg findet und somit die Aufgabe des Mentors beendet ist.
»Die erste Zeile sollte Ihnen den Brustkorb öffnen. Sie sollte hineingreifen und Ihnen das Herz im Leib umdrehen. Sie sollte zu erkennen geben, dass die Welt nie wieder so sein wird wie zuvor. […] Aber bleiben Sie dabei locker. Stopfen Sie nicht die ganze Welt in die erste Seite. Finden Sie eine Balance. Lassen Sie der Geschichte Zeit, sich zu entfalten. Stellen Sie sich den Anfang als Tür vor. Wenn Sie den Leser erst über die Schwelle haben, können Sie ihm den Rest des Hauses zeigen.«
Ihre erste Zeile. / Seite 24 + 25
Mit Beispielen wie diesen schafft Colum McCann Bilder, die nachvollziehbar sind. Auch lösen seine Aufforderungen den Drang aus, diese Tipps praktisch sofort auszuprobieren. Trotz aller Unsicherheiten oder gerade deswegen. So macht er es möglich, das weiße Blatt nicht zu fürchten, sondern sich darauf zu freuen, es mit Gedanken zu füllen, Eigenes mit der Welt zu teilen.
Mit Romanen wie «Der Tänzer», «Zoli» oder «Die große Welt», für die er vielfach ausgezeichnet wurde, ist Colum McCann bekannt geworden. Mit seinem Roman «Transatlantik» war er zuletzt 2014 auf Lesereise in Deutschland. In seinen Texten seziert er schnörkel- und schonungslos das Innenleben seiner Figuren, lässt seine Leser ganz nah heranrücken. Colum McCann geht unter die Haut. Wie macht er das nur?
Für »Briefe an junge Autoren« lässt der erfolgreiche Autor sich nun über die Schulter schauen und schöpft aus seinem eigenen Erfahrungsschatz stets Praktisches zutage. Und an mancher Stelle eben auch Philosophisches, wie dieses Beispiel zeigt:
»Ein junger Autor muss lesen. Lesen, lesen, lesen. Mit Lust auf Abenteuer. Gefräßig. Unermüdlich. Das klingt so einfach. Aber das ist es nicht. […] Ein junger Autor muss auch seine Zeitgenossen lesen. Mit Emphase und voller Eifersucht. […] Ein gutes Buch stellt Ihre Welt auf den Kopf. Es krempelt auch Ihre Art zu schreiben um. Die Prosaautoren sollten die Dichter lesen. Die Dichter sollten die Romanciers lesen. Die Dramatiker sollten die Philosophen lesen. Die Journalisten sollten die Kurzgeschichtenschreiber lesen. Die Philosophen sollten einfach alles lesen. Eigentlich sollten wir alle alles lesen. Keiner kommt allein voran.«
Lesen, lesen, lesen Sie. / Seite 105 – 108
In diesem Video zu »Briefe an junge Autoren« erzählt Colum McCann, wie es zu diesem Buch kam und was er jungen Autoren gern mit auf den Weg geben würde:
Colum McCann macht jungen Autoren Mut in über fünfzig Kurzkapiteln, die in selbsterklärenden Überschriften im dreiseitigen Inhaltsverzeichnis vorn aufgelistet sind. So ist es möglich, im Notfall schnell das passende Thema zu finden. Das Buch ist klein und leicht genug für die Handtasche und kann daher überall mit hingenommen werden. Es hilft dann genau in dem Moment, da den Schreibneuling vielleicht gerade die Hoffnung zu verlassen droht.
»Scheitern ist gut. Scheitern kündet von Ehrgeiz. Scheitern kündet von Kühnheit. Es erfordert Mut zu scheitern und noch mehr Mut zu wissen, dass Sie scheitern werden. Wachsen Sie über sich hinaus. Die wahre Kühnheit zeigt sich in der Fähigkeit, zum Briefkasten zu gehen, obwohl Sie wissen, dass ein weiterer Ablehnungsbrief darin liegen wird. Zerreißen Sie ihn nicht. Verbrennen Sie ihn nicht. Pinnen Sie ihn lieber an die Wand.«
Scheitern, scheitern, scheitern Sie. / Seite 102
Die Themen der Kurzkapitel reichen von der ersten Zeile über die Figurenerschaffung, die Notwendigkeit eines Notizbuches, den richtigen Umgang mit Googleinformationen, das Schreiben von Dialogen, den Umgang mit Lesern, der Suche nach einem Lektor, der psychologischen Verfassung des Autors und vielem mehr bis hin zur letzten Zeile. Der Ire fordert dazu auf, dorthin zu gehen, wo es weh tut. Wo es schwierig wird, fängt das Buch erst richtig an, Gestalt anzunehmen. Die Magie in allem – insbesondere im Prozess der Inspiration – nicht zu übersehen, etwas zu wagen und dorthin zu gehen, wo noch niemand zuvor war, dazu ruft Colum McCann auf:
»Genießen Sie die Schwierigkeiten. Geben Sie dem Geheimnisvollen Raum. Finden Sie das Universelle im Kleinen. Glauben Sie an die Sprache – dann folgen die Figuren von selbst, und irgendwann stellt sich auch die Handlung ein. […] Seien Sie ein Entdecker, kein Tourist. Gehen Sie dorthin, wo noch niemand war. […] Machen Sie Ihre Sprache einzigartig. Eine Geschichte beginnt lange vor dem ersten Wort. Sie endet lange nach dem letzten. Machen Sie das Gewöhnliche außergewöhnlich.«
Brief an einen jungen Autor. / Seite 19 + 20
Keine besonderen Techniken werden beschrieben und auch Werkzeuge preist Colum McCann hier nicht an. Sein Buch bietet jedoch, was ein künftiger Autor am meisten braucht: den Mut anzufangen, an sich und seine Geschichte zu glauben und in schlimmen Momenten der Resignation schenkt es wieder Durchhaltevermögen! McCann verschreibt keine Medikamente, er lässt uns an den Selbstheilungsprozess glauben und daran, dass wir dem Projekt Buch gewachsen sind und dass es nie zu spät ist, unseren Traum, unsere Idee umzusetzen.
Fazit: Colum McCanns Buch »Briefe an junge Autoren« ist eine Liebeserklärung an die hohe Kunst der Literatur und selbst reine Inspiration! Denn was ein junger Autor ist, hängt allein von seiner Erfahrung ab, so McCann. Sie können sich also auch mit fünfundsiebzig noch angesprochen fühlen. Dies ist ein Buch, das neugierig macht und mutig, sofort den Stift in die Hand zu nehmen oder die Finger auf der Tastatur herumwirbeln zu lassen! Zögern Sie nicht länger! Fangen Sie an, denn nach dem Scheitern folgt auch irgendwann das Gelingen!
Colum McCanns Buch »Briefe an junge Autoren – Mit praktischen und philosophischen Ratschlägen« (Originaltitel: »Letters to a Young Writer – Some Practical and Philosophical Advice«) ist in der Übersetzung von Thomas Überhoff im Juni 2017 für EUR 12,00 im Rowohlt Verlag erschienen – gebunden, 192 Seiten, ISBN 978-3499291401.
Wer in das Buch reinlesen möchte, findet hier eine Leseprobe.
Über den Autor: Colum McCann wurde 1965 in Dublin geboren. Er arbeitete als Journalist, Farmarbeiter und Lehrer und unternahm lange Reisen durch Asien, Europa und Amerika. Für seine Romane und Erzählungen erhielt McCann zahlreiche Literaturpreise, unter anderem den Hennessy Award und den Rooney Prize for Irish Literature. Zum internationalen Bestsellerautor wurde er mit den Romanen «Der Tänzer» und «Zoli». Für den Roman «Die große Welt» erhielt er 2009 den National Book Award. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in New York.
Laila Mahfouz, 23. Februar 2018
Links:
Informationen auf den Seiten des Rowohlt Verlages finden Sie hier.
Die Website von Colum McCann finden Sie hier.
Auszüge aus dem Buch finden Sie hier.
Weitere Informationen zu Colum McCann finden Sie hier.
Informationen zu Laila Mahfouz finden Sie hier.