Literatursoiree am 8. Februar 2017 im Literaturhaus Hamburg:Terézia Mora, die 2013 den Deutschen Buchpreis für ihren Roman »Das Ungeheuer« erhielt, berichtete von ihrer Arbeit und stellte ihren aktuellen Erzählband »Die Liebe unter Aliens« vor.
Inhalt (der Verlagsseite entnommen): Ein Ausflug ans Meer soll ein junges Paar zusammenführen. Ein Nachtportier fühlt sich heimlich zu seiner Halbschwester hingezogen. Eine Unidozentin flieht vor einer gescheiterten Beziehung und vor der Auseinandersetzung mit sich selbst. Ein japanischer Professor verliebt sich in eine Göttin.
Kunstvoll erzählt Terézia Mora in »Die Liebe unter Aliens« von Menschen, die sich verlieren, aber nicht aufgeben, die verloren sind, aber weiter hoffen. Wir begegnen Frauen und Männern, die sich merkwürdig fremd sind und zueinander finden wollen. Einzelgängern, die sich ihre wahren Gefühle nicht eingestehen. Träumern, die sich ihren Idealismus auf eigensinnige Weise bewahren. Mit präziser Nüchternheit spürt Mora in diesen zehn Erzählungen Empfindungen nach, für die es keinen Auslass zu geben scheint, und erforscht die bisweilen tragikomische Sehnsucht nach Freundschaft, Liebe und Glück.
Von Einsamkeit in all ihren vielen Facetten erzählt Terézia Mora in jeder ihrer zehn meisterlich konstruierten Geschichten: »Fisch schwimmt, Vogel fliegt«, »Die Liebe unter Aliens«,»Perpetuum mobile«, »Ella Lamb in Mulligar«, »Verliefen sich im Wald«, »Die portugiesische Pension«, »Selbstbildnis mit Geschirrtuch«, »À la recherche«, »Die Gepard-Frage« und »Das Geschenk oder: Die Göttin der Barmherzigkeit zieht um«. Von schrulligen Einzelgängern, komplexbehafteten und vom Schicksal geplagten Städtern und doch von Menschen, die wir kennen und in denen wir uns wiedererkennen.
»Er tut nichts Benennbares, dennoch ist klar, dass er ein Sonderling ist, und obwohl das kein offiziell anerkannter Grund für eine Frühverrentung ist, nehmen alle an, dass es etwas damit zu tun hatte.«
Fisch schwimmt, Vogel fliegt / Seite 5
DasBesondere an diesen Erzählungen aus der Feder der Preisträgerin des Deutschen Buchpreises 2013 ist allerdings die Erzählperspektive. Durch teilweise abrupte Wechsel zwischen Monolog, Dialog und erlebter Rede ist der Erzähler (der manchmal Ich- dann wieder allwissender Erzähler ist) oft nicht festzulegen und gerade dadurch entsteht eine eigenartige Nähe zum Leser, der hin und wieder sogar direkt angesprochen wird.
»So liegt in jeder Sprache eine eigenthümliche Weltansicht.«
zitierte Terézia Mora den deutschen Gelehrten Wilhelm Freiherr von Humboldt.
Ganz sicher lassen die einzelnen Erzählungen den Leser nachdenklich und manchmal auch ein wenig melancholisch zurück. Alle Milieus scheinen gut recherchiert und doch war ich erstaunt, in der Geschichte über einen alten Chinesen, der in Deutschland lebt und sich im Alter nach seiner Heimat zu sehnen beginnt, einen Satz zu finden, der mich ohne Vorwarnung aus der Geschichte katapultiert und mir klar gemacht hat, dass ich es hier nicht mit einem Chinesen aus Fleisch und Blut zu tun haben kann:
»Es war die Replik einer alten Ema-Tafel mit der Abbildung eines Affen, der ein Pferd leitet.«
»Das Geschenk oder: Die Göttin der Barmherzigkeit zieht um« / Seite 262
Wie wir spätestens seit Eva Lüdi Kongs genialer Übersetzung des wichtigsten chinesischen Buchklassikers »Die Reise in den Westen« wissen (für die sie verdientermaßen in diesem Jahr den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt), kann es sich bei dieser Abbildung nur um den Affenkönig Sun Wukong handeln, der auf dem weißen Pferd den buddhistischen Mönch Tripitaka führt. Jeder Chinese hätte diese Szene sofort erkannt und als solche gewürdigt.
Dieses Beispiel zeigt, wie schwierig die literarische Auseinandersetzung mit einer fremden Kultur ist und wie genau auf „Kleinigkeiten“ geachtet werden muss, um etwas authentisch wirken zu lassen. Auf diese Weise sensibilisiert, hat mich die auf den Bildwert reduzierte Beschreibung der Votivtafel aus der Geschichte gerissen, in die ich nicht mehr richtig hineinfinden konnte. Bis dahin hatte sie mich allerdings, so wie alle übrigen vorher, überzeugt und in ihren Bann gezogen.
Im Literaturhaus erzählte Terézia Mora, dass sie, die in Ungarn nahe der Grenze zu Österreich aufgewachsen ist, aufgrund der mangelnden Mobilität immer schon das Dorfleben verabscheut hat. Ihre Mehrsprachigkeit machte sie dann allerdings zu einer der renommiertesten Übersetzer aus dem Ungarischen und eröffnete auch beim literarischen Schreiben Wege, die anderen verschlossen bleiben:
Für ihren preisgekrönten Roman »Das Ungeheuer«, in dem ihr Protagonist der Leser der schriftlich festgehaltenen Gedanken seiner verstorbenen Frau Flora ist, habe sie zum Beispiel »Floras Teile erst komplett ungarisch geschrieben und dann ins Deutsche übersetzt«, um den richtigen Ton zu finden, erzählte Terézia Mora im Gespräch mit Lothar Müller.
Auch wenn sie manche Kapitel des Romans bis zu sechzehnmal schrieb, sagte Mora: »Ich lasse mich überhaupt nicht treiben, wenn ich so etwas schreibe. Das ist alles ganz genau ausgeknobelt.«
Fazit: Terézia Moras Erzählungen »Die Liebe unter Aliens« sind eine besondere Studie der menschlichen Natur. Die Schriftstellerin lässt ihre Figuren auf der Suche nach Liebe und Zugehörigkeit, nach einer Art von Heimat und Verständnis wie fremde Planeten umeinander kreisen, so dass sie in ihrer Einsamkeit zwischen allen anderen Menschen wie Aliens wirken. Auf jeden Fall lesenswert!
Terézia Moras »Die Liebe unter Aliens« ist im September 2016 für EUR 22,00 im Luchterhand Verlag erschienen – gebunden, 272 Seiten, ISBN 978-3630873190.
Über die Autorin: Terézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren. Sie lebt seit 1990 in Berlin und gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Autoren. Terézia Mora zählt außerdem zu den renommiertesten Übersetzern aus dem Ungarischen.
Für ihren Roman »Das Ungeheuer« erhielt sie 2013 den Deutschen Buchpreis. Bereits 1999 sorgte sie mit ihrem literarischen Debüt, dem Erzählband »Seltsame Materie«, für Furore. Für diese Erzählungen wurde sie u.a. mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Zuletzt erschien bei Luchterhand der Band »Nicht sterben« mit ihren Frankfurter Poetikvorlesungen.
Laila Mahfouz, 16. Mai 2017
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