Im September 2016 zeigte die Harburger Theatergruppe ‚ungeschminkt‘ nochmals ihr Stück »verbunden« als zweiten Teil der »Trilogie des Todes«. Haiko Schröder (Buch, Konzept und Regie) führt dem Zuschauer all die Schattenseiten der Droge Internet vor Augen.
Handlung (Text des Theaters): UNGESCHMINKT erzählt in „verbunden – Zweiter Teil der Trilogie des Todes“ unter anderem die wahre, traurige Geschichte von Amanda Todd. Das Internet und die damit verbundenen Gefahren beherrschten ihr Leben, ihr Lebenswille war nach mehreren schrecklichen Erlebnissen einer völligen Leere und Todessehnsucht gewichen. Die fünfzehnjährige Amanda Todd beging nach einem fast zweijährigen Leidensweg Suizid.
Was birgt das Internet für Gefahren? Inwieweit verbinden wir uns wirklich miteinander, welchen Preis sind wir bereit zu tragen, um uns überall, jederzeit miteinander zu verbinden. Gibt es eine Verbindung zwischen Gefühlen und digitaler Welt? Wie süchtig sind wir nach Verbindungen, wie süchtig andere nach unseren Daten und inwieweit geben wir für unsere „Freiheit“ die selbige auf? Beherrschen wir die Verbindung – oder die Verbindung uns?
Im Vordergrund des Theaterstücks steht das Cybermobbing in all seinen Formen. Gezeigt wird dies am realen Leidensweg von Amanda Todd, die sich im Alter von nur 15 Jahren 2012 das Leben nahm. Teilweise ist die Qual des Mädchens kaum zu ertragen. Dabei taucht im Kopf des Zuschauers sicher dieselbe Frage auf, die sich auch Amanda immer wieder gestellt hat:
WARUM?
Der Conferencier (Linus Bahlmann) beobachtete ohne Schadenfreude, aber mit einem wissenden Lächeln ob der Einfältigkeit und Zügellosigkeit der Menschen das Geschehen. Für Amanda Todd (Frederike Meyer) stand er mehrmals bereit. Zweimal konnte sie seinem Todeskuss entkommen, bis sie schließlich keinen anderen Ausweg mehr sah. Amandas Mutter (Mel Fürstenberg) und Vater (Karsten Sohn) versuchten zwar, ihrer Tochter mit Umzügen und Klinikaufenthalten zu helfen, aber standen der Unendlichkeit des Internets und seiner Macht letztlich hilflos gegenüber. Ich hoffe, dass viele junge Menschen dieses Theaterstück sehen und sich der Gefahren des Internets und ihrer eigenen Verantwortung bewusster werden.
(Am Ende des Artikels finden Sie das Video, welches Amanda Todd vor ihrem Suizid veröffentlicht hat.)
Außerdem sprudelt »verbunden« so vielfältig Themen hervor, wie sie wohl nur das Internet erschaffen kann. Neben Facebook und dem Sammeln unbekannter Freunde, permanenter Erreichbarkeit, Internet- und Pornosucht, falschen Identitäten, erlogenen Partnerprofilen und der Aufgabe der wahren Freiheit für die vermeintliche Freiheit des Internets steht vor allem die Einsamkeit, die aus all diesen Schein-Verbindungen entsteht, im Vordergrund. Die Einsamkeit scheint in unserer Gesellschaft das am stärksten wachsende Gefühl zu sein. Einsame Menschen sind zu vielem bereit und fähig. Die Einsamkeit aller zu bekämpfen müsste daher Ziel jedes Einzelnen sein.
Das Theater ist ein Ort der Begegnung, ein Ort, an dem das Smartphone ausgeschaltet bleibt. Das ist doch schon ein Anfang!
Gerade weil es sich bei der Harburger Theatergruppe ‚ungeschminkt‘ um ein Laientheater handelt, fällt die besonders fantasievolle Inszenierung von Haiko Schröder auf. Er nutzt die Besonderheit des Raums im Rieckhof, um den Zuschauer mitten hinein zu holen in diese vertraute, fremde Welt und erschafft unvergessliche Bilder. Beeindruckend war vor allem die Anfangssequenz, der wie in Trance umherwandernden Smartphone-Niederstarrer. Ebenso faszinierend war, wie leicht wir uns vom Netz einspinnen, ja fesseln lassen. Diese Szenen allein wären es schon wert, »verbunden« auf großen Theaterbühnen zu zeigen!
Auch wenn die Komplexität der Zusammenhänge nicht immer in vollem Umfang durchschaut wurden, sind alle wichtigen Themen aufgegriffen und großartig umgesetzt worden. Bei manchem Thema hätte ich mir für Internet-Unerfahrene ein wenig mehr Hintergrundwissen gewünscht. Insbesondere für Szenen im zweiten Teil, die ich aufgrund von Spoiler-Gefahr nicht näher erläutern möchte, wäre dies sinnvoll gewesen, denn obwohl die Schauspieler nach dem Stück für Fragen zur Verfügung standen, nehme ich an, dass sich doch viele scheuen, diese zu stellen. Gerade Eltern bräuchten hier noch ein wenig mehr Aufklärung.
Nicht akzeptieren möchte ich die Aussage, dass es neben dem Abschalten keine Lösung für all die Probleme gibt, die das Internet verursacht. Bei all seinen Fehlern halte ich es für ein Geschenk: nie waren den Menschen mehr Informationen zugänglich, die sie mit anderen teilen können, nie war es für die Mächtigen schwieriger, üble Machenschaften zu verheimlichen.
Eine umfassende Reform des Erziehungswesens ist allerdings mehr als überfällig! Die Eltern müssen ebenso geschult werden wie die Lehrer. Der richtige Umgang mit dem Internet muss erlernt, vorgelebt und unterrichtet werden. Nur so werden sich auch Kinder und Jugendliche der nächsten Generationen im Internet verantwortungsbewusst verhalten. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir auch in diesem Fall lernfähig sind. Genug Kinder sind ja schon in den „Brunnen“ und dem Internet zum Opfer gefallen, nun ist es an der Zeit für die Eltern, sich über all die Möglichkeiten zu informieren und als gutes Vorbild ein Leben vorzuleben, in dem es Zeit mit und Zeit ohne das Internet gibt.
Fazit: Auf feinfühlige Weise näherte sich die Theatergruppe und insbesondere Schreiber und Regisseur Haiko Schröder dem Thema Cybermobbing und seinem Opfer Amanda Todd. Diese Umsetzung war berührend und machte, wie auch der Rest des Stückes, sehr nachdenklich.
»verbunden« wirft unzählige Fragen auf, die sich der Zuschauer sofort auch selbst stellt: Wie viele Stunden verbringe ich täglich im Internet? Wie viele meiner Facebook-Freunde sind wirklich Freunde? Welcher Internetseite, welchen Nachrichtenmeldungen, welchem Partnerprofil, welcher Kontaktanfrage kann ich trauen? Wie verantwortungsbewusst gehe ich mit meinen Daten um?
»verbunden« ist ein Stück mitten aus unserem Leben und dafür allein lohnt sich schon der Theaterbesuch! Meine Empfehlung: Anschauen! Live – nicht virtuell!
Laila Mahfouz, 5. Oktober 2016
Links:
Die Fotostrecke zu dieser Veranstaltung finden Sie hier. Alle Fotos von Laila Mahfouz.
Die Website der Theatergruppe ungeschminkt finden Sie hier.
Hier ist das Original-Video (mit deutschen Untertiteln),
das Amanda Todd vor ihrem Selbstmord veröffentlicht hat:
Informationen zu Laila Mahfouz finden Sie hier.