29. September 2015: Etwa 500 Menschen lauschten erwartungsvoll und andächtig, als Karl Ove Knausgård die Fragen von Uwe Englert zu seiner Autobiographie beantwortete und Helmut Mooshammer aus dem neuesten Band »Träumen« vorlas.
Text vom Buchumschlag: Die vierzehn Jahre, die ich in Bergen lebte, sind längst vorbei. Ich führte ein Tagebuch, das habe ich verbrannt. Ich knipste ein paar Bilder, von denen besitze ich noch zwölf. Ich wusste so wenig, wollte so viel, brachte nichts zustande. Aber in welch einer Stimmung ich war, als ich dort ankam!
»Ich wusste so wenig, wollte so viel, brachte nichts zustande.«
Verlagstext: 14 Jahre verbrachte Knausgård in Bergen, bevor er aus der norwegischen Küstenstadt regelrecht nach Stockholm floh, als ginge es ins Exil. Es waren Jahre, in denen er so unermüdlich wie erfolglos versuchte, Schriftsteller zu werden, in denen schließlich seine erste Ehe scheiterte, in denen sich Momente kurzer Glückgefühle mit jenen tiefster Selbstverachtung die Hand gaben, in denen sich Demütigungen und Höhenräusche ebenso schnell abwechselten wie selbstzerstörerische Alkoholexzesse und erste künstlerische Erfolge. Dabei hatte es am Anfang so gut ausgesehen, dieses Leben in Bergen. Dem jungen Knausgård schien die Welt offenzustehen, all seine Träume schienen sich zu erfüllen. Er hatte einen Studienplatz an der Akademie für Schreibkunst bekommen, endlich eine Freundin gefunden …
Noch nie hatte ich vorher erlebt, dass mich am Eingang zu einer Lesung Menschen ohne Ticket geradezu um meine Eintrittskarte angebettelt haben. Die Beliebtheit des Autors wurde mir erst in diesem Moment wirklich bewusst und ich war froh, die Lesung frühzeitig entdeckt zu haben. Knausgårds öffentliche Auftritte sind rar und daher sehr gefragt – so war der Autor im September auf Lesereise, die ihn am Tag zuvor nach London und von Hamburg nach Wien führte. Da ich Karl Ove Knausgårds Bücher »Alles hat seine Zeit« und den in Deutschland ersten Band seiner Autobiographie »Sterben« schon länger besitze, aber noch nicht dazu kam, sie zu lesen, war ich nun um so gespannter, dem Autor zu begegnen und einen Auszug aus dem neuesten (und angeblich letzten) Band dieser Reihe »Träumen« zu hören.
Der inzwischen 46-Jährige hat in den vergangenen Jahren in dem radikal autobiografischen Zyklus »Min kamp« / »Mein Kampf« sein Leben aufgeschrieben. Im Original umfasst diese Autobiographie fast 3.600 Seiten, denn der Autor wollte, wie er sagte, so genau wie möglich schreiben, um herauszufinden, wer er sei. Knausgård erzählte, dass er sich immer als Passagier in seinem Leben empfunden habe und nie als Hauptperson. Der schüchtern und unsicher wirkende Autor, der nie mit dem Erfolg seiner Bücher gerechnet hatte, wurde vor ein paar Jahren von der norwegischen Ausgabe der Zeitschrift »Elle« zum „Sexiest Man“ Norwegens gekürt. So muss die Welt dem Mann, der sich immer als Verlierer betrachtet und nun Weltruhm erlangt hat, doch verrückt und absolut unberechenbar erscheinen. Nach seinem vor allem für ihn selbst überraschenden Erfolg zog der Autor mit seiner Familie nach Südschweden. Er hatte mit seiner Autobiographie seine Familie ebenso wie sich selbst vor der Welt entblößt, da er gedacht hatte, nur für sich und halbwegs aus therapeutischen Zwecken zu schreiben. Nun bereut er seinen schonungslosen Umgang mit den Leben anderer ein wenig. Sein neuer Band, der den Tod des Vaters erneut aufgreift, der in »Sterben« ausführlich niedergeschrieben wurde, kommt daher auch etwas milder und bedachter daher.
Von den nie endenden Selbstzweifeln des jungen, ambitionierten und doch erfolglosen Autors handelt »Träumen«, von der ersten Liebe, dem riesigen Schmerz des Verlustes und von seinem Leben in der zweitgrößten Stadt Norwegens. Mit 248 Regentagen im Jahr (Stand: 2005) gilt Bergen als regenreichste Großstadt Europas und doch wirkte Knausgårds Bergen auf mich in dem Kapitel, das Helmut Mooshammer so großartig vorgetragen hat, nicht trist und grau. In schöner Sprache erzählt der Autor im Gegenteil von der Farbenvielfalt, den Regenvariationen und gewährt in seinem Werk so nicht nur Einblicke in sein Seelenleben sondern auch Ausblicke aus seinen Augen.
Felicitas von Lovenberg hat den Autobiographie-Zyklus in der FAZ rezensiert und ich möchte den Lesern dieses Artikels diese schöne Zusammenfassung nicht vorenthalten. Daher finden Sie den Artikel hier. Von Lovenberg beschreibt die Lektüre wie folgt:
»Knausgårds Bücher sind keine Romane für Menschen, die alle zwanzig Seiten auf ihr Smartphone schauen. Sie fordern Hingabe vom Leser, und wie ihr internationaler Erfolg zeigt, wird das nicht als Zumutung, sondern als Einladung empfunden.«
Ich freue mich schon darauf, diese Einladung anzunehmen, denn die Lektüre des autobiographischen Zyklus verspricht ein Eintauchen in ein Leben, eine Sprache, eine Landschaft, das mich schon während der kurzen Lesung berauscht hat. Mein Glück ist, dass dieses großartige Leseerlebnis noch vor mir liegt.
Hier noch ein ganz besonderes Interview mit Karl Ove Knausgård
von «Kulturplatz»-Redakteurin Sibilla Semadeni:
Fazit: Was für eine Lesung! Die erwartungsvolle Stimmung, die Andächtigkeit, mit der all diese Menschen gelauscht und den Atem angehalten haben, werden mir lang im Gedächtnis bleiben. Ich danke dem Literaturhaus Hamburg für diesen besonderen Abend und empfehle die Lektüre des Buches »Träumen« und der anderen Teile des autobiographischen Zyklus allen, die sich dafür die Zeit gönnen wollen.
Karl Ove Knausgårds Buch »Träumen« ist im September 2015 im Luchterhand Verlag erschienen – gebunden, 800 Seiten, EUR 24,99, ISBN 978-3630874142, übersetzt von Paul Berf.
Über den Autor: Karl Ove Knausgård wurde 1968 geboren und gilt als wichtigster norwegischer Autor der Gegenwart. Die Romane seines sechsbändigen, autobiographischen Projektes „Min kamp“ wurden in Norwegen zur Sensation und sorgen nun auch international für Furore. Sie sind in über 30 Sprachen übersetzt und vielfach preisgekrönt. Karl Ove Knausgård lebt mit seiner Familie an der schwedischen Südküste.
Laila Mahfouz, 7. Dezember 2015
Links:
Die Fotostrecke zu dieser Veranstaltung finden Sie hier. Alle Fotos von Laila Mahfouz.
Ein kurzes Video von 3sat finden Sie hier. Eine Fortsetzung finden Sie hier
Ein Interview des Autors mit dem Hamburger Abendblatt finden Sie hier.
Informationen zu Autor und Buch auf den Seiten des Luchterhand Verlages finden Sie hier.
Weitere Informationen zu Karl Ove Knausgård finden Sie hier.
Informationen zu Laila Mahfouz finden Sie hier.