8. Juni 2015 im Ernst-Deutsch-Theater: Zum ersten Mal besuchte ich eine Vorstellung der Serie HörTRaum und merkte schnell, dass der Name Programm ist. „Madame Londe“ – Das dritte Kapitel aus Julien Greens Roman „Leviathan“ wurde untermalt und begleitet von Geige und Klavier mit wunderbaren, passend zum Inhalt abgestimmten klassischen Melodien.
Handlung des Romans (dem Programm entnommen): Der Roman „Leviathan“ ist ein Psychodrama und spielt in einem französischen Provinznest. Der verheiratete Hauslehrer Paul Guéret ist vernarrt in die junge Büglerin Angèle, aber zu schüchtern, sie anzufassen. Die junge Frau lebt bei ihrer Tante, Madame Londe, die in ihrem Gasthaus durchweg Männer bewirtet. Deren ganzes Streben und erfüllender Lebensinhalt ist das genaue Wissen über jeden einzelnen ihrer Gäste und damit einhergehend ihre Macht, diese abhängig zu machen, zu beherrschen, zu manipulieren. Der Roman erzählt im weiteren von Besessenheit, Totschlag, Liebe und Verzweiflung.
Und was ist denn nun eigentlich ein HörTRaum? Diese großartige Mischung möchte ich gern eingehender beschreiben: Die wunderbare Schauspielerin und Sprechvirtuosin Ingrid Sanne sucht für jede Veranstaltung einen literarischen Text aus, den sie mit ihrer einzigartig ausdrucksstarken Stimme und Mimik vorträgt. Dazu hat sie sich mit der Geigerin Berit Behr und der Pianistin Makiko Eguchi für ein besonders vielfältiges Musikprogramm entschieden.
Bevor Madame Londe ihre tägliche „Bühne“ in ihrer Gaststube betrat, durften wir gleich zu Beginn die lieblichen und doch melancholischen Klänge von Elgars „Chanson du matin“ genießen. Ingrid Sanne zog ihre Zuhörer sofort in ihren Bann und brachte den Text von Julien Green mit einer solchen Intensität und Humor dar, dass sich beim Zuhören Gänsehaut und Lachen abwechselten. Sie wusste Madame Londe, die mit den Männern spielt wie eine Katze mit einer Maus, auf eine unheimliche Weise Leben einzuhauchen. So fällt sie auch während der Musikstücke nicht einmal aus der gerade vorherrschenden Stimmung Madame Londes und blickt mit einem ebenso durchdringenden Blick über die Zuschauer wie die Wirtin über ihre abhängigen Gäste. Berit Behr und Makiko Eguchi ließen die Musikstücke perlen und beben. Sie spielten mit sehr viel Gefühl und Leidenschaft. Mit zauberhaften Melodien von Goldmark, Debussy, Moustaki, Gade, Chopin und Ferrari begleiteten die beiden Musikerinnen Madame Londe durch alle Höhen und Tiefen ihres Abends, den das Publikum auf diese Weise ganz besonders farbenfroh miterleben konnte.
»Mit ihrer verschlossenen Miene glich sie einem Tyrannen, der über sein Zerstörungswerk blickt.«
Die neunzig Minuten waren so unmerklich vergangen, dass ich es kaum glauben wollte. Ein wenig war es dann wirklich, als erwachte ich aus einem Traum, was den zweiten großen Buchstaben im HörTRaum erklärt. Der dritte ist mir allerdings nun auch mehr als klar, denn ich saß ja gerade noch in einer französischen Gaststube und beobachtete die in ihrer Dominanz eigentlich geradezu lächerlich groteske Madame Londe beim Pläneschmieden. So bringen die drei Frauen uns mit ihrem Programm überall hin, öffnen Räume und erfüllen Träume. Was für ein Abend!
Fazit: Die Ohren weit! Die Sinne eingeschaltet! Dann strömt es auf uns nieder und auch die unter uns, die eben noch von einem gestressten Arbeitstag kamen, konnten für neunzig Minuten alles um sich herum vergessen! Wir sagen DANKE und hoffen, dass weitere HörTRäume ganz bald folgen werden!
Laila Mahfouz, 10. Juni 2015
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Nähere Informationen finden Sie auf der Seite des Theaters.
Alle Fotos wurden aufgenommen von C. Hradsky.
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