4. Oktober 2014 im Theater „Das Zimmer“: Nach 15 Jahren hat Angelika Landwehr ihr „Theater in der Washingtonallee“ an neue Besitzer übergeben. Wir werden jeden der intensiven Theaterbesuche bei ihr in guter Erinnerung behalten. Mit Lars Ceglecki, Sandra Kiefer und Jan Holtappels hat sie im Sommer würdige Nachfolger gefunden, die nach Umbau und viel harter Arbeit mit dem Drama „Tagträumer“ von William Mastrosimone die Spielzeit im neuen Theater „Das Zimmer“ beginnen.
Der Inhalt von „Tagträumer“ lässt sich nicht leicht zusammenfassen. Ein Mann und eine Frau begegnen sich. Er scheint mit beiden Beinen fest im Boden verankert und ist doch verloren, weiß nicht, wo er hingehört. Sie lebt in einer Traumwelt aus Geschichten, Alpträumen und romantischen Phantasien. Beiden gemein ist eine Einsamkeit, die mit ihrer Melancholie direkt ins Herz trifft. Die Frage, ob diese beiden zueinander finden können, ist schon allein wert, sie auf dieser Achterbahn der Gefühle zu begleiten. Mehr aber noch sind es die teilweise philosophischen Fragen, die aufgeworfen und losgelassen werden, um dann schließlich unbeantwortet im Raum herum zu schwirren und sich so manchem Zuschauer wie ein Floh ins Ohr zu setzen. Die Namenlosigkeit der Personen irritiert und verstört ebenso wie das Spiel mit Nähe und Abweisung, Vertrautheit und Fremde, von Angst, Wut, Liebe und Hass. Dem Regisseur Lars Ceglecki gelang es, die beiden Darsteller zu einem Spiel zu führen, in dem das Intensitätspotenzial eines Zimmertheaters voll genutzt wird. Die auf einer größeren Bühne häufig notwendige Theatralik braucht es nicht, wenn das Geschehen in Atemreichweite des Publikums stattfindet. Das Spiel kann natürlicher sein, was die Authentizität zunehmend erhöht und es immer weniger zu einem Schauspiel werden lässt, sondern zu einem Erleben, das real genug wird, um die Spiegelneuronen der Theaterbesucher vehement zu befeuern – wenn der Regisseur diesen Weg so weit gehen will und seine Darsteller ihn gehen können. Ceglecki wollte, Kiefer und Holtappels konnten. Sandra Kiefer fand mit ihrem eindringlichen Spiel genau die richtige Balance zwischen traumatisierter Psyche, Einsamkeit und Verrücktheit, löste sofort einen Beschützerinstinkt aus und hinterließ am Ende doch eine Leere, die sich nicht füllen lässt. Jan Holtappels war vielleicht nie besser als in diesem Stück. Seine sensible Darstellung des Verlorenen, der so gern ein Zuhause hätte, gelang brillant. Mit Leichtigkeit, Schwere, Verzweiflung, Wut und auch Bedrohlichkeit überzeugte er ebenso wie mit der Anziehungskraft, die die Frau bei ihm auslöste. Gekonnt setzte er auch seine Stimme ein: mal flüsterte er einschmeichelnd, gar zärtlich, dann wieder brach eine ungeahnte Wut aus ihm heraus. Die Darstellung beider Schauspieler war stets authentisch und löste eine zweistündige Gänsehaut aus.Das Bühnenbild von Nicole Bettinger ist nicht mehr und nicht weniger als ein handfester Geniestreich. Größenverhältnisse und Deplatziertheit wirken mit überraschender Heftigkeit schon beim Betreten des Zimmers, erzeugen sofort ein unerwartetes Stück Surrealität, das sich mitten in die Realität des Theaterbesuchers wuchtet und dort erst mal eine Zeit lang bleibt, nur langsam ausschwingend. Es nutzt dabei nicht nur die besonderen räumlichen Gegebenheiten des Zimmertheaters auf überaus kluge Weise, sondern unterstützt nach Beginn der Aufführung das Spannungsfeld, in dem sich Mastrosimones Stück bewegt. Fazit: Wir sind überzeugt: Angelika Landwehr wäre mehr als zufrieden, denn die Intensität des Zimmertheater lebt weiter, die Auswahl der Stücke ist sensibel und schonungslos zugleich und die Darsteller verstehen ihr Handwerk. Nach dieser fulminanten Premiere im Theater „Das Zimmer“ wollen wir keine Aufführung verpassen und freuen uns jetzt noch mehr auf die heutige Premiere (Infos unter „Links“). Alle theaterinteressierten Hamburger sollten die Aufführungen dieses Theaters ebenfalls nicht verpassen.Laila Mahfouz & Anders Balari, 16. Oktober 2014
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„Tagträumer“ wird im Theater „Das Zimmer“ noch bis 21. Dezember gezeigt. Ab heute bis 14. November zeigt das Theater außerdem Jan Holtappels in dem preisgekrönten Solostück „HeimWeh“ von Thomas B. Hoffmann unter der Regie von Lars Ceglecki. Nähere Informationen finden Sie auf der Seite des Theaters „Das Zimmer“.
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