Theater in der Washingtonallee, Hamburg Horn, 3. Mai 2013: Bei der Wiederaufnahme des intelligenten, bissigen und hochnotwendigen Stücks „Marx in Soho“ von Howard Zinn überzeugte die Schauspielerin und Regisseurin Angelika Landwehr in allen Belangen. Eine gute Gelegenheit für ein Hoch auf die Zivilcourage, die so oft auf erhellende Weise künstlerisch aufbereitet in diesem Hause zu Gast ist und Verwunderung über eine Kulturbehörde, die gerade Bühnen wie dieser den Geldhahn abzudrehen droht.
Karl Marx in Hamburg Horn. Und als Frau. Beides verwirrt nur kurz. Foto: Anders Balari.
Bei hellem Lichte betrachtet, muss jedes einigermaßen helle Licht – eine eigenständige Auseinandersetzung mit den Gedanken von Karl Marx vorausgesetzt – zu dem Schluss gelangen, eben dieser Karl Marx müsse sich in seinem Grabe bereits so häufig umgedreht haben, dass selbst ambitionierte Erbsenzähler schon längst keinen belastbaren Wert mehr für die Marxsche Six-Feet-Under-Drehzahl liefern könnten.
Viele von autoritärem Wahnsinn betrunkene Jahrzehnte ließen „Marx“ und mit ihm assoziierte Begriffe wie etwa den „Kommunismus“ gleichsam zu Un- und Reizwörtern werden, in einem Maße, dass sich heute praktisch jeder Hans und jede Franzi berufen fühlen, über ihnen letztlich Unbekanntes ebenso vorschnell wie hart zu urteilen. Eine Situation, in der die zum Verständnis unabdingbare eigene Auseinandersetzung mit den Marxschen Gedanken unwahrscheinlicher geworden ist als ein Hauptgewinn im Lotto.
„Als ob man anormal sein muss,
um gegen Ausbeutung zu sein…“
Mitunter resigniert ob der Vergewaltigung seiner Ideen, denn Karl Marx war kein Marxist!
Foto: Anders Balari.
Zugegeben, „Das Kapital“ ist keine leichte Kost und beim „Manifest der kommunistischen Partei“ schießt der Angstschweiß förmlich aus den durch gründliche Konditionierung und den üblen Missbrauch des Begriffs „Kommunismus“ weit geöffneten Poren. Schade, denn die Beobachtungen, Schlussfolgerungen und Ideen von Karl Marx sind hochaktuell und potenziell heilsam, was sich leicht erkennen ließe, wenn man seine Aufmerksamkeit einer „Marx-Essenz“ zuwenden könnte, statt sich durch viele Seiten „quälen“ zu müssen.
Vielleicht spielten ähnliche Überlegungen eine Rolle, als der Historiker, Autor und Aktivist Howard Zinn den Entschluss fasste, sein Stück „Marx in Soho“ zu schreiben. Es stammt aus dem Jahr 1999 und es ist eine solche Essenz, vorgetragen von Karl Marx selbst – denn er darf zu diesem Zweck knappe eineinhalb Stunden zu uns zurückkehren. Freilich mit der Auflage: „Nur keine Agitation!“. Freilich fällt ihm das schwer, wenig überraschend vor allem dann, wenn der Missbrauch seiner Ideen zur Sprache kommt.
„Nur keine Agitation!“
So sehen nützliche Idioten in Wahrheit aus. Allein, sie wissen es nicht. Foto: Anders Balari.
Nun, Zinn ließ Marx an seiner alten Wirkungsstätte London Soho wiedergehen, Angelika Landwehr leitete ihn kurzerhand nach Hamburg Horn um. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Globalisierung ja kein Thema, sollte man meinen. Doch damit nicht genug, schlüpft sie auch selbst in die Rolle des aufgebrachten Denkers. Sollte das zu einem mehr oder minder kleinen Stückchen Befremdung führen, so braucht es nur eine schlappe Minute, um diese etwaige Heimsuchung mit subtilem Humor zu vertreiben: „Sie haben sich wenigstens nicht von all den Dummköpfen abschrecken lassen, die immer sagen: »Marx ist tot!« – Nun ich bin es…und bin es nicht. Ein Stück Dialektik für Sie!“.
Neben der Erörterung zentraler Elemente des Marxschen Denkens und dessen Missbrauchs, der sich in Teilen bereits zu Karl Marx‘ Lebzeiten abzeichnete, gewährt Howard Zinn auch lohnende Einblicke in das Privatleben dieses umstrittenen und so oft missverstandenen Menschen.
„…nur nicht das einzig Wahre, dass Kapitalismus als Angriff auf den menschlichen Geist Rebellion erzeugen MUSS!“
Angelika Landwehr gelang es, dieses Soloschauspiel auf in allen Belangen überzeugende Weise in ihr Zimmertheater zurückzuholen. Das mit britisch anmutendem schwarzem Humor unterfütterte Stück vertrug sich blendend mit Landwehrs Schauspielkunst. Und so entstand rasch jene ganz besondere Energie, die man etwa von den preisgekrönten Darbietungen Georg Schramms kennt. Eine Energie, die ein kleines Feuer für den notwendigen Wandel auch dort zu entfachen vermag, wo zuvor vielleicht nicht mal geeigneter Brennstoff vorhanden gewesen sein mag. Dieser Impuls wurde am Ende des Stücks dann gekonnt aufgegriffen: Mit der Aufforderung an das Publikum, bei einem Glas Sekt direkt auf der Bühne des Zimmertheaters ins Gespräch zu kommen und sich über das eben Gesehene auszutauschen. Genau das geschah an diesem Abend auch und setzte sich noch mehr als eine Stunde lang in der Kellerbar des Theaters fort.
Fazit: Unterhaltsam, erhellend, aufwühlend, exzellent umgesetzt. Wem bislang Jahrzehnte der Finsternis und des Missbrauchs wertvoller Einsichten und Ideen einen ungetrübten Blick auf Karl Marx verwehrt haben, der sollte sich nicht erlauben, an dieser Inszenierung vorbeizukommen, vielmehr sollten sie oder er vorbeikommen und sich eineinhalb Stunden später darüber freuen, diese eineinhalb Stunden sehr gut investiert zu haben.
Und nun noch – weil es zu diesem Stück passt, vor allem aber auch, weil es notwendig und wichtig ist – zur Entscheidung der Hamburger Kulturbehörde, dem Theater in der Washingtonallee keine Fördergelder mehr zukommen zu lassen. Dem Vernehmen nach ist nunmehr insbesondere die Auslastung maßgeblich dafür, ob ein Theater gefördert wird oder nicht. Die künstlerische Qualität wie vor allem auch die gesellschaftliche Funktion des kritischen Theaters scheinen keine Rolle zu spielen.
Man muss nicht studiert haben, um zu verstehen, dass anspruchsvolle, herausfordernde und wiederholt gesellschaftskritische Theaterkunst keine Massen anlockt. Leider wohl im Gegenteil: Im allgemeinen Gedudel der massenmedialen Einlullung und Verblödung großer Teile der Bevölkerung ist es meistens die seichte Unterhaltung, die viele Menschen anlockt – und sie von anspruchsvoller Kultur zunehmend fernhält.
„Fliegen kannst du nur gegen den Wind.“
Reinhard Mey
Eine Kulturbehörde, die diese Bezeichnung zu Recht trägt, hat für kulturelle Vielfalt zu sorgen. Und dafür, dass die Kunst ein gesellschaftlicher Reibebaum sein darf, auch auf die Gefahr hin, damit kommerziell hohe Risiken einzugehen. Wenn nun ein professionelles Kleinsttheater in vergleichsweise ungünstiger Lage künstlerisch wertvolle Arbeit leistet, dann wäre mein erster Gedanke als Förderer der Kultur angesichts der Besucherzahlen die Frage, wie ich – auch abseits von Fördergeldern – dabei helfen kann, diesem Theater zu mehr Präsenz in der Öffentlichkeit zu verhelfen. Und nicht ganz im Gegenteil die betriebswirtschaftlich genährte Idee, für die Fördergelder eine Auslastung von mehr als 50% zu verlangen. Es ist sehr gefährlich, in Kunst und Kultur Maßstäbe aus der Wirtschaft anzusetzen. Aber was rede ich? Überzeugen Sie sich durch einen Besuch bei „Marx in Horn“ doch einfach selbst von der hohen Qualität und helfen Sie Angelika Landwehr mit Ihrem Eintrittsgeld oder vielleicht sogar mit Ihrer Unterstützung bei der noch möglichen Abwendung der Einstellung der Förderung.
Anders Balari, 8. Mai 2013
Links:
„Marx in Horn“ wird im Theater in der Washingtonallee noch bis 1. Juni 2013 jeweils donnerstags, freitags und samstags um 20 Uhr gezeigt. Nähere Informationen finden Sie auf der Seite des Theaters in der Washingtonallee.
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Howard Zinn und sein Stück „Marx in Soho“ auf Wikipedia.
Hier geht’s zu einer Fotostrecke des Stücks.
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