25. November 2012 im kleinen Hoftheater Hamburg: Pünktlich zur dunklen, gemütlichen Jahreszeit beginnt im Hotheater das Weihnachtsmärchen. In diesem Jahr wird mit vielen liebevollen Details und jeder Menge Humor das Märchen „Die Bremer Stadtmusikanten“ aufgeführt.
Inhalt (dem Theaterprogramm entnommen): Das Personal der Müllerin Bolte ist einfach zu alt: Der Esel Grauschimmel kann nichts mehr tragen, der Hund Packan hört die Einbrecher nicht, Bartputzer, die Katze fängt keine Mäuse mehr und der Hahn Rotkopf verschläft die Morgenstunde. Kurzerhand will die Müllerin dem alten Getier den Garaus machen. Um sich zu retten, machen sich die vier Tiere gemeinsam auf den Weg nach Bremen. Sie wollen dort als Stadtmusikanten auftreten. Leichter gesagt als getan. Sie verlaufen sich. Doch da leuchtet ein Fenster – eine Räuberhütte, mitten im Wald! Ein ideales neues Zuhause. Listig schlagen sie die Räuber in die Flucht. Doch die kommen zurück, allen voran die bärbeißige Räuberhauptfrau Gertrude …
Das kleine Hoftheater war bis auf den letzten Platz ausverkauft und als das Licht ausging, wurde die vorher unruhig durcheinander schnatternde Schar der Kinder plötzlich ruhig. Jan Holtappels trat als farbenfroher, kecker Hahn Rotkopf vor den Vorhang und schaffte es sofort, die Zuschauer in seinen Bann zu ziehen, als er eine Absprache zur Zusammenarbeit mit den Kindern traf. Die kleinen Zuschauer waren augenblicklich Feuer und Flamme für dieses Unterfangen und spielten begeistert mit. Sein wunderbar humoriger französischer Akzent trug ebenso zum Gelingen bei wie seine besonders ausdrucksstarke Mimik (wunderbar zu sehen in unserer Fotostrecke). Als der geöffnete Vorhang den Blick auf den idyllischen Mühlenhof und die schlafenden Tiere freigab, entschlüpfte so manchem Kind ein „Ah“ und „Oh“.
Grauschimmel, Packan, Bartputzer und Rotkopf machen sich auf den Weg nach Bremen.
Foto: Anders Balari
Jens Raygrotzki als gerissener, doch stets mürrischer und auch dominanter Esel Grauschimmel, Andreas Püst als schwerhöriger und verfressener Hund Packan und Henrike Fehrs als sanftmütige und anmutige alte Katze Bartputzer überzeugten in ihren Rollen ebenfalls von Anfang an und hatten fast augenblicklich die Sympathien der kleinen und großen Zuschauer auf ihrer Seite. Alle vier Schauspieler haben die Charaktereigenschaften von Esel, Hund, Katze und Hahn ausgezeichnet dargestellt und die verschiedenen Bewegungen der Tiere grossartig wiedergegeben.
Die Androhung der Witwe Bolte, aus dem alten Hahn am nächsten Tag Hähnchensuppe zu kochen, ließ aber selbst dem sprachgewaltigen Rotkopf sein Krähen in der Kehle stecken bleiben. Ein Rätsel wird mir allerdings immer bleiben, dass die Menschen oft nicht in der Lage sind, Zusammenhänge zu sehen. Finden sie im Einzelfall das Schicksal des alten Hahns noch furchtbar, so scheuen sie nicht davor zurück, für den nächsten Tag selbst ein Hähnchen in der Suppe zu kochen. Sicher ist allerdings, dass kein einziges Tier aus dem Supermarkt, ob Huhn, Hahn, Schwein, Lamm oder Rind (Kalb) ein so schönes und freies Leben wie die Tiere auf dem Hof im Märchen gehabt hat (z.B. lebt ein Hahn sein entsetzliches Folterleben nur 5 – 7 Wochen, wird mit Aufbaupräparaten und Wachstumshormonen vollgestopft, bevor er in der Kühltruhe eines Supermarktes landet.)
Anja Frers, die gleich in zwei Rollen ihr komödiantisches Talent bewies, jagte den Tieren und sicher auch so manchem Zuschauer als Witwe Bolte jedenfalls mit Leichtigkeit Angst und Schrecken ein. Da ist es gut zu verstehen, dass die gealterten Hoftiere beschließen, sich als Musikanten in Bremen zu versuchen. War das Publikum gerade noch vom zarten Stimmchen Henrike Fehrs‘ als Bartputzer entzückt, so amüsierte es sich im nächsten Moment über das französisch anmutende Gekrächze von Jan Holtappels als Rotkopf. Wie Grauschimmel, der Esel, so richtig bemerkte: „Schön ist anders!“ Dennoch steht der Entschluss fest und die vier ziehen los, durch Wald und Moor Richtung Bremen. Nun bescherte mir das Hoftheater nach den eingängigen Liedern aus „Im Weissen Rössl“ gleich den nächsten Ohrwurm: „Auf dem Hof ist es doof, in der Stadt ist es fein! Lasst uns die Stadtmusikanten sein! Bremen, wir woll’n nach Bremen!“
Auch die humorigen Wortspiele unter den Tieren waren herrlich umgesetzt. Bartputzer beschwerte sich zum Beispiel: „Ich sehe nicht mehr so gut!“ Rotkopf darauf: „Und ich sehe nicht mehr so gut aus!“ Auch das Verlaufen in Wald und Moor hielt manch lustige Szene bereit. Die liebevollen Details wie zum Beispiel die besondere Wahl von Rotkopfs Federkleid in den Nationalfarben Frankreichs oder die zärtliche Liebe zwischen Katze und Hahn machten „Die Bremer Stadtmusikanten“ für mich zu einem unvergesslichen Erlebnis.
Die drei Räuber waren eine gute Ergänzung zu den vier Tieren und rundeten das Bild mit ihrem clownischen Spiel ab. Anja Frers versprühte als Räuberhauptfrau Gertrude viel Temperament und Charme. Gertrude dominiert ihren ungeschickten, aber dennoch liebenswerten Ehemann Kalle (Werner Becker) ebenso wie seinen Bruder Palle, der fabelhaft mal ängstlich, mal einfach nur kindlich glücklich von Marc Felske dargestellt wurde.
Anders als im Grimmschen Märchen konnte wohl niemand den beiden witzigen und tüffeligen Räubern und der hinreißenden Räuberhauptfrau Gertrude böse sein und sicher war jeder mehr als einverstanden damit, dass das Märchen einen neuen, friedlicheren Abschluss findet. Abermals überzeugte auch das von Jörg-Michael Müller liebevoll umgesetzte Bühnenbild und nicht zuletzt die wunderbaren Kostüme und Masken der Tiere. Ines Hubert (Regie) hat mit „Die Bremer Stadtmusikanten“ ein ganz besonderes Weihnachtsmärchen auf die Bühne des Hoftheaters gezaubert, dem ich viele kleine und große Zuschauer wünsche.
Im Buch „Die schönsten Zauber-Märchen der Brüder Grimm“, herausgegeben von Barbara Gobrecht, wird „Die Bremer Stadtmusikanten“ als „humorvolles, vorsichtig optimistisches Märchen mit ernstem Inhalt“ beschrieben, das aufgrund seiner Thematik durchaus nicht nur für Kinder geeignet ist, sondern vielmehr auch Rentner anspricht.
Das Motiv des in die Jahre gekommenen Arbeiters, der nun nur noch zur Verwurstung taugt, wurde auch in George Orwells „Animal Farm“ drastisch beschrieben. Leider hatte das Zugpferd Boxer, das sich sein Leben lang für den Hof fast totgearbeitet hat, dort keine so gute Alternative und wurde tatsächlich hingerichtet. Was sagt ein Märchen wie „Die Bremer Stadtmusikanten“ also über unsere Behandlung alter Menschen aus? Werden sie nicht immer mehr ausgegrenzt und an den Rand der Gesellschaft geschoben, statt in unserer Mitte gut zu leben, uns als erfahrene Ratgeber zur Seite zu stehen und irgendwann ein würdiges Ende zu finden?
Gerade in der Literatur treten rüstige Senioren in letzter Zeit vermehrt auf, die wie zum Beispiel Allan Karlsson in Jonas Jonassons Roman „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ der Überzeugung sind, dass sich auch ein Leben im Alter noch genießen lässt. Auch so manchem Arbeiter/Angestellten/Manager, der sich für anderer Leute volle Taschen oder kurzlebige Macht krumm arbeitet oder aufgrund von Herzinfarkten oder Krebs frühzeitig den Löffel abgeben wird, sei der weise Rat von Grauschimmel mit auf den Weg gegeben:
„Etwas Besseres als den Tod findest du überall.“
Fazit: Ein humorvolles, zauberhaft gestaltetes und liebevoll umgesetztes Weihnachtsmärchen für Klein und Groß. Die Spielfreude der Darsteller ist unübersehbar und wer zwischen den Zeilen lesen kann, entdeckt hier und da auch feine Zwischentöne und lässt sich zum Nachdenken anregen. Eine Empfehlung (nicht nur für Kinder) und ein Farbklecks für die dunklen Wintertage!
Ab November ist eine Hörspiel-CD zum Stück für EUR 10,00 im Theater erhältlich.
Laila Mahfouz, 25. November 2012
Links:
„Die Bremer Stadtmusikanten“ wird im Hoftheater Hamburg zweimal täglich jeweils Fr – So noch bis einschließlich 16. Dezember gezeigt. Nähere Informationen zum aktuellen Stück, zum Theater und den nächsten Aufführungen finden Sie auf der Seite des kleinen Hoftheaters Hamburg.
Hier geht’s zur Fotostrecke des Stücks
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