Julian Pösler ist gelungen, was viele für unmöglich hielten: Er hat den Weltbestseller „Die Wand“ von Marlen Haushofer verfilmt. Eine grossartige Umsetzung in umwerfender Naturkulisse mit Martina Gedeck in der Hauptrolle. Was mich berührte und was mir dabei aus dem Buch fehlte, lesen Sie im Artikel.
Inhalt (von der Verlagsseite): Eine Frau will mit ihrer Kusine und deren Mann ein paar Tage in einem Jagdhaus in den Bergen verbringen. Nach der Ankunft unternimmt das Paar noch einen Gang ins nächste Dorf und kehrt nicht mehr zurück. Am nächsten Morgen stößt die Frau auf eine unüberwindbare Wand, hinter der Totenstarre herrscht. Abgeschlossen von der übrigen Welt, richtet sie sich inmittten ihres engumgrenzten Stücks Natur und umgeben von einigen zugelaufenen Tieren aufs Überleben ein.
„Verdutzt streckte ich die Hand aus und berührte etwas Glattes und Kühles: einen glatten, kühlen Widerstand an einer Stelle, an der doch gar nichts sein konnte als Luft. Zögernd versuchte ich es noch einmal, und wieder ruhte meine Hand wie auf der Scheibe eines Fensters. Dann hörte ich lautes Pochen und sah um mich, ehe ich begriff, dass es mein eigener Herzschlag war, der mir in den Ohren dröhnte. Mein Herz hatte sich schon gefürchtet, ehe ich es wußte.“
„Eigentlich lebe ich jetzt gern im Wald, und es wird mir sehr schwerfallen, ihn zu verlassen. Aber ich werde zurückkommen, wenn ich dort drüben jenseits der Wand am Leben bleiben werde. Manchmal stelle ich mir vor, wie schön es gewesen wäre, hier im Wald meine Kinder großzuziehen. Ich glaube, das wäre für mich das Paradies gewesen.“
Der Film ist sicher die komplexeste Kunstform der Welt, denn sie vereint so viel und bietet unendlich viele Möglichkeiten. Ein Film verleiht Worten Formen, gibt Namen Gesichter, doch ein Film hat sein eigenes Tempo, marschiert auch dann vorwärts, wenn wir gern einen Moment verweilt hätten, um Erlebtes noch tiefer auf uns wirken zu lassen. Auch kann das Wort mehr als der Film, denn es kann auch ausdrücken, was nicht filmbar ist, nicht greifbar, nicht existent. Ganz sicher ist Julian Pösler hier ein beeindruckendes Kunststück gelungen und er hat bei der Wahl seiner Hauptdarstellerin voll ins Schwarze getroffen. Die wunderbar ausgewählte Naturkulisse verleiht dem Film Authentizität und Klarheit. Wenn die Frau mit ihrem Hund Luchs durch den einsamen Wald, die Schluchten und die Alm stapft, bekommt auch der Zuschauer eine Gänsehaut in Ehrfurcht vor der Natur.
Eine der schönsten Umsetzungen im Film ist diese Szene: „Einmal […] sah ich einen Fuchs am Bach stehen. […] Ich hätte ihn schießen können, […] aber ich tat es nicht. Perle war ein Unrecht widerfahren, aber dieses Unrecht war auch ihren Opfern, den Forellen geschehen, sollte ich es an den Fuchs weitergeben? Das einzige Wesen im Wald, das wirklich recht oder unrecht tun kann, bin ich. Und ich kann nur Gnade üben. Manchmal wünsche ich mir, diese Last der Entscheidung liege nicht auf mir. Aber ich bin ein Mensch, und ich kann nur denken und handeln wie ein Mensch. Davon wird mich erst der Tod befreien. Wenn ich „Winter“ denke, sehe ich immer den weißbereiften Fuchs am verschneiten Bach stehen. Ein einsames, erwachsenes Tier, das seinen vorgezeichneten Weg geht. Es ist mir dann, als bedeute dieses Bild etwas Wichtiges für mich, als stehe es nur als Zeichen für etwas anderes, aber ich kann seinen Sinn nicht erkennen.“
Obwohl mir der Film wirklich gefallen hat und er auch die Einsamkeit, Bedrohlichkeit und Naturnähe einzufangen wusste, fehlten mir ein paar unheimlich wichtige Aussagen und Figuren. Besonders schön dargestellt ist die Natur, sind die Tiere und ist die Ruhe der Einsamkeit in diesem Film. Die Rückschlüsse auf den Charakter eines Menschen, der Hunde oder Katzen als Lebensbegleiter bevorzugt, sind wohl hinlänglich bekannt. Ich behaupte einfach mal, dass Julian Pösler ein Hundemensch und kein Katzenmensch sein muss. Selbstverständlich ist Luchs eine zentrale Figur und in seiner Anhänglichkeit und von emotionaler Abhängigkeit geprägten Liebe für die Frau in der Einsamkeit eine ungeheure Stütze. Dennoch bekommen die Katzen im Buch eine wesentlich bedeutendere Rolle als im Film.
„Die Katze war ganz anders (Anm.: als der Hund), ein tapferes, abgehärtetes Tier, das ich respektierte und bewunderte, das sich aber immer seine Freiheit vorbehielt. Sie war mir in keiner Weise verfallen.“
Die Katze kann kommen und gehen, wann sie will. Den Umzug auf die Alm lässt sie sich nicht gefallen und flieht bei erster Gelegenheit zurück in den Wald. Sie ist jedoch selbst in ihrer Abwesenheit präsent für die Frau, die sich jeden Tag fragt, ob es der Katze gut geht, ob sie den Sturm unbeschadet überstanden hat. Sie vermisst sie beim Einschlafen und überzeugt sich bei jedem Besuch in der Hütte, dass die Kuhle im Bett neu gelegen wurde. Die Katze ist in ihrer Unabhängigkeit wie ein Spiegel für die Frau, während der Hund mehr als Wachposten, Hofnarr und zärtlicher Kumpan wirkt, ist die Katze das beständigste Element im neuen Leben der Frau. Sie ist es, die bis zum Ende bei ihr bleibt. Mit ihr wird sie alt.
Ganz verschwunden ist der Kater Tiger, der nach Perles Tod von der Katze geboren wird. Er ist ein überaus starker Charakter und sein Verlust ist gewiss einer der schwersten für die Frau. Ich kann einerseits verstehen, dass fast alle Szenen mit Perle, Tiger oder der Katze nahezu unverfilmbar sind, da Katzen nun mal unabhängig und nicht so leicht dressierbar sind (dafür lieben wir sie ja auch), aber dennoch haben mir die Katzen im Film erheblich gefehlt und all die wunderbaren Aussagen, die mit ihnen verbunden sind.
Auch Stier wird zu einer so wichtigen Figur und meiner Meinung nach gehören die Szenen zwischen Stier und seiner Mutter zu den stärksten im Buch, wenn es um die Beobachtung der und die Nähe zur Natur geht. Stier war so zutraulich wie ein Hund und hätte im Film mehr Raum verdient, ebenso wie seine Mutter Bella, die Kuh, mit der die Frau zarte Zwiegespräche führt und die sie ebenso als ihresgleichen ansieht wie die anderen Tiere. Der erste unbeschwerte Sommer auf der Alm wurde zwar in Frieden und Ruhe wunderbar dargestellt, gefehlt hat mir aber die Leichtigkeit und die überschäumende Lebenslust von Stier und vor allem Tiger dort doch sehr.
Fazit: Ein wirklich sehr sehenswerter Film mit einer grandiosen Martina Gedeck! Buch und Film sind zwei unterschiedliche Kunstformen – beide Werke haben ihre Berechtigung und ganz sicher ist es eine gelungene Umsetzung des schwierigen Stoffs! Ich kann jedem Mann und vor allem jeder Frau empfehlen, sehen Sie sich den Film an und lesen Sie das Buch! In einem Buch kann man besser innehalten. Ein bedeutender Satz kann in Ruhe nachschwingen und eine besondere Szene wieder und wieder gelesen werden!
Marlen Haushofer „Die Wand“, Taschenbuch 285 Seiten, erschienen beim List Verlag für EUR 8,95 unter ISBN 978-3548605715.
Marlen Haushofer „Die Wand“, Taschenbuch 288 Seiten, erschienen beim List Verlag für EUR 8,99 unter ISBN 978-3548610665.
Laila Mahfouz, 9. November 2012
Links:
Website von Martina Gedeck
Informationen zu Julian Pösler
Informationen zu Marlen Haushofer
Eine Hommage an Marlen Haushofer
Informationen zu Laila Mahfouz