Ein großartiger Debütroman über Freundschaft, Ostfriesland und die Außerirdischen unter uns: Jan Brandt las am 23. Februar 2012 aus seinem Roman „Gegen die Welt“ im Literatursalon Paschen im Stilwerk Hamburg.
Die Familie Paschen lud im Rahmen des Literatursalon Paschen im Stilwerk Hamburg erneut zu einer Lesung der besonderen Art. Auf der Frankfurter Buchmesse hatte Jan Brandt aus Zeitdruck leider den Lesungstermin bei Paschen nicht wahrnehmen können. Er holte dies nun gestern zu unser aller Freude gern nach. Schwungvoll angesagt von Johann Paschen moderierte Holger Heimann durch den Abend.
„Gegen die Welt“ erzäht Daniel Kupers Geschichte, der in den 70er-Jahren in dem Dorf Jericho in Ostfriesland aufwächst, nach und nach immer mehr zum Außenseiter wird und dadurch oft entweder sich oder die anderen als Außerirdische empfindet. Das 927 Seiten starke Buch hat neben einer fesselnden Geschichte und zwischen den Zeilen immer wieder eingestreuten gesellschaftskritischen Botschaften noch vieles mehr zu bieten. Die neuartige Gestaltung des Buches, die den Inhalt mit der Optik verbindet, die unzähligen Nebenfiguren, wie auch die tiefen Einblicke in viele Berufe zeichnen diesen Roman besonders aus. Zum Beispiel wird auf 155 Seiten in der Fußnote, die durch eine Schiene optisch getrennt wird, die Geschichte eines Lokführers erzählt, dem sich immer wieder jemand vor den Zug wirft.
Der sympathische Newcomer Jan Brandt stellt seinen Debütroman "Gegen die Welt" vor.
Foto: Anders Balari
Jan Brandt gesteht, dass das Buch eigentlich als Kurzgeschichte begann, sich dann zur Novelle und schließlich zum Mammutroman entwickelte und sein eigentlich begonnenes Buchprojekt mehr und mehr in den Hintergrund drängte. Für die schier endlosen Recherchen über die verschiedenen Berufe und Leben der Nebenfiguren kam ihm sein Journalistikstudium zu gute. Als Holger Heimann allerdings zu dem sehr authentisch wirkenden Zeugnistext auf Seite 25 fragt, ob dieser er- oder gefunden wurde, bittet Jan Brandt darum, diese Frage überspringen zu dürfen und fügt dann noch hinzu: „Ich spielte Blockflöte!“
Heimann: Ist Daniels Scheitern im Roman unvermeidlich?
Brandt: Naja, ein Roman, der „Gegen die Welt“ heißt, und am Ende zum Erfolg führen würde, zur Auslöschung der Welt, das wäre noch schwieriger literarisch darzustellen gewesen. […] Daniel muss gewissermaßen in eine Opposition zu allen treten, weil sie ihn sich auch nicht so entwickeln lassen, wie er das gerne machen würde. […] Ein Dorf ist gewissermaßen eine Erziehungsanstalt, wo jeder jeden beobachtet, jeder kennt jeden irgendwo ein bißchen, vielleicht manchmal nicht gut genug, aber man kann die Leute zuordnen, man weiß, wer der Sohn von wem ist zum Beispiel und wenn man da irdendeinen Blödsinn macht auf dem Dorf, wissen es die Eltern, noch bevor man es ihnen beichten kann. Das führt dazu, dass die Kinder, die dort aufwachsen, eigentlich von allen erzogen werden, nicht nur von den Eltern. Und es ist natürlich schwerer, sich dort zu entfalten als in der Großstadt.
Heimann: Sie haben an anderer Stelle einmal gesagt, ein wichtiger Antrieb für Sie, das Buch zu schreiben, sei es gewesen, ihre eigene Biographie zu verstehen. [..] Ist Ihnen das gelungen?
Brandt: Ja, ich glaube schon. Es ging gar nicht so sehr um meine eigene Biographie, sondern es ging vielmehr um die Biographien der anderen. Wie ich schon sagte, mir erschienen so viele Leute wie Außerirdische, dass ich mich im Nachhinein gefragt habe, was waren das eigentlich für Menschen und warum war ich mit denen befreundet oder waren wir überhaupt befreundet oder wo bin ich da eigentlich aufgewachsen? Ich habe immer geschrieben und wusste nicht, was ist eigentlich mein Thema und als ich nach Berlin zog, meinte ich dann irgendwann auch, den großen Berlinroman schreiben zu müssen und merkte, das ist auch nicht mein Thema. Was mich eigentlich beschäftigt hat, war die Herkunft und das war ein Thema, dass mich in den letzten zehn Jahren nicht losgelassen hat und da merkte ich: Das ist der Stoff für einen Roman!
Bevor Jan Brandt weiterlas, ließ er das Publikum demokratisch abstimmen, ob sie die Heavy Metal- oder die Liebesroman-Variante hören möchten. Die Zuhörer entschieden sich für Heavy Metal und hatten das Vergnügen, im Anschluss an den Leseteil vom Autor per laptopgestütztem Schnellkurs über die Unterschiede der einzelnen Metal-Richtungen aufgeklärt zu werden. Jan Brandt bestätigte, dass Daniels Wut auf die Welt auch seine eigene ist und merkte an: „Nie waren die Leute zorniger als in der Pubertät.“ Die Jugendlichen, die richtig Krach machen und die vielleicht ihren Zorn kreativ nutzen können, beneidete Jan Brandt. „Ich habe damals ja immer nur Blockflöte gespielt und hatte in der Pubertät wenig Auftrittsmöglichkeiten, aber ich kannte sehr viele, die Musik gemacht haben, auch wenn sie kein Instrument spielen konnten, und die habe ich immer darum beneidet, dass sie es trotzdem machen.“
Was nun mit Daniel und seinen Freunden, all den erstgeborenen Söhnen Jerichos geschieht, sollte jeder selbst lesen. Jan Brandt schreibt derzeit an einem neuen Roman, der wieder in einem kleinen Dorf beginnt, aber die Protagonisten als Auswanderer nach Amerika verschlägt. Grinsend bemerkt er noch, dass ein „Gegen die Welt II“ erst später käme. Ich bedanke mich ganz herzlich beim Literatursalon Paschen, Jan Brandt und allen Beteiligten für diesen wunderbaren und unheimlich anregenden Abend und freue mich schon auf die nächste Veranstaltung.
Jan Brandt „Gegen die Welt“, Hardcover, erschienen beim Dumont Verlag für EUR 22,90 unter ISBN 978-3832196288.
Laila Mahfouz, 24. Februar 2012
Links:
Informationen des Verlags zu dem Roman „Gegen die Welt“
Informationen zu Jan Brandt.
Informationen zum Literatursalon Paschen
Literatursalon Paschen auf YouTube.
Informationen zu Laila Mahfouz
Informationen zu dem Photographen Anders Balari