Florian Werner hat seine tierisch-philosophischen Kolumnen überarbeitet, um einige Texte erweitert und nun in Form des Buches »Die Weisheit der Trottellumme – Was wir von Tieren lernen können« gesammelt veröffentlicht. Herausgekommen sind 31 hochspannende Betrachtungen, die im Hinblick auf das Verhalten einzelner Tierarten helfen, das eigene Verhalten zu verstehen, zu überdenken und zu verändern. Ein lesenswerter philosophischer Schatz!
Verlagstext: Können Ohrenquallen uns den Aufbau des Universums erklären? Was wissen Trottellummen über Kierkegaards Sprung in den Glauben? Bringt uns das Känguru Jean-Jacques Rousseau näher? Und besteht die Tapferkeit der Löwenmännchen womöglich darin, dass sie so viel schlafen?
In einunddreißig so lehrreichen wie komischen philosophischen Betrachtungen geht Florian Werner der Frage nach, was wir von Tieren lernen können. Die erstaunliche Erkenntnis: Schaf, Kamel und Axolotl wissen weitaus mehr über Fragen der Moral, der Gesellschaft, der Politik und des guten Lebens, als wir uns träumen lassen. Wenn wir die Menschen verstehen wollen, müssen wir die Tiere fragen.
Wie ein Tag in unseren Breiten so beginnt auch das Buch mit dem Gesang der Amsel. Die weiteren Tiere, über die der promovierte Literaturwissenschaftler Dr. Florian Werner schreibt sind: Nacktmulle, Trottellummen, Ameisen, Elefanten, Axolotl, Dickhornschafe, Flohkrebse, Löwen, Schwäne, Kamele, Spechte, Pacús, Radlerspinnen, Strauße, Kühe, Schlangen, Quallen, Orcas, Hunde, Schnecken, Bienen, Störche, Igel, Kängurus, Fledermäuse, Zitterrochen, Fliegen, Tiger, Krokodile und Hähnchen bzw. Menschen. Etwa zwei Drittel der im Buch abgedruckten Texte wurden schon einmal in der Kolumne »Von Tieren lernen« im Berliner Philosophie-Magazin veröffentlicht (seit Anfang 2018 ist Florian Werners Ehefrau Svenja Flaßpöhler die Chefredakteurin). Für das vorliegende Buch wurden die Kolumnen überarbeitet und durch neue Texte auf einunddreißig tierphilosophische Betrachtungen ergänzt.
Florian Werners »Die Weisheit der Trottellumme« trägt zwar den Untertitel »Was wir von Tieren lernen können«, doch obwohl auch teilweise durchaus Wissenswertes über die Tiere vermittelt wird, so sind diese Texte eher kurze Essays, philosophische Betrachtungen, die Vergleiche zwischen dem Verhalten von Mensch und Tier ziehen. Florian Werner nutzt die tierischen Beispiele, um verschiedene philosophische Ansätze zu verdeutlichen. Immer werden die Texte ergänzt durch Verweise zu bekannten Philosophen und deren Thesen wie Aristoteles, Roland Barthes, Elias Canetti, Ralph Waldo Emerson, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Martin Heidegger, Wilhelm von Humboldt, Immanuel Kant, Sören Kierkegaard, Paul Lafargue, Serge Latouche, Friedrich Nietzsche, Robert Pfaller, Platon, Plutarch, Hartmut Rosa, Jean-Jacques Rousseau, Friedrich Schiller, Arthur Schopenhauer, Michel Serres und anderen.
Der Vogel Strauß
© Andreas Töpfer
Als Literaturwissenschaftler legt Florian Werner natürlich den größten Wert auf die Sprache und sieht sie wohl auch als eindeutigsten Unterschied zwischen Mensch und Tier. Er stimmt dem französischen Philosophen Michael Serres zu, dass die Sprache vieler Tiere, z. B. die der Vögel, pansemisch = alles bedeutend wäre, wohingehend unsere Sprache semantisch = um Eindeutigkeit bemüht wäre. Nur weil wir die Sprache der Tiere nicht verstehen, können wir nicht unterstellen, dass sie nicht etwas Konkretes bedeutet. Nur weil der Gesang der Vögel für uns ebenso klingt wie Musik, heißt das nicht, dass sie für die Vögel nicht ganz klar eine konkrete Sprache ist. Eventuell ist nicht wichtig, dass immer der gleiche Ton oder die gleiche Silbe oder das gleiche Wort auch das gleiche bedeutet. Es könnte doch einfach sein, dass diese Laute nur im Kontext zu verstehen sind, den wir eben nicht erkennen können. Ein Beispiel ist der unterschiedliche Gesang von manchen Vogelarten abhängig von der Tageszeit.
Erst im April 2018 hat die Philosophin und Schriftstellerin Eva Meijer mit dem Buch »Die Sprachen der Tiere« viele Beweise erbracht, welche die alte Meinung, die Tiere würden über keine wirkliche Sprache verfügen, widerlegen. In einem Interview mit Denis Scheck für seine Sendung Druckfrisch erzählt sie von ihrer Forschung und Arbeit am Buch. Sie finden das Video des Interviews hier. Einen schönen Bericht über das Buch finden Sie bei Spiegel Online hier.
Man bekommt [Elefanten] als Mensch […], im wahrsten Sinne des Wortes, nie ganz zu fassen, sondern kann sich ihnen nur aus einer bestimmten Perspektive nähern […]
Diese Eigenschaft haben die Elephantidae freilich mit der sogenannten Wirklichkeit gemein: Auch sie ist aus einer einzigen Perspektive, mit einem bestimmten Blickwinkel oder Begriff nicht vollständig zu erfassen. Ein Wort kann nie ein Äquivalent des bezeichneten Gegenstands sein, sondern immer nur ein Ausdruck davon, wie und in welcher Funktion wir diesen gerade begreifen […]
Der Elefant / Seite 34 + 35
[Das Gleichnis mit dem Elefanten habe ich für Sie zum besseren Verständnis hier eingefügt.]
Florian Werners Gedanken sind in jedem Fall interessant und humorvoll, meistens spannend, anregend und ansteckend und oft auf beste Weise auch politisch und gesellschaftskritisch. Sie verleiten die eigenen Gedanken dazu, immer wildere Parallelen herzustellen und wissenschaftliche Dogmen zu hinterfragen. Wäre dies möglich, würde ich hier gern seitenweise Zitate einfügen, aber so werde ich mich auf einen kleinen Teil beschränken und ein paar faszinierende Betrachtungen mit eingenen Worten wiedergeben.
Die Trottellumme
© Andreas Töpfer
Wenn der Axolotl beispielsweise seine Metamorphose im Laufe seines Lebens nie vollendet, schließt Florian Werner daraus, dass das Tier mit seiner Situation ganz einfach zufrieden ist und sich mit einer Metamorphose nur die Möglichkeit nähme, sich zu verwandeln.
Am Beispiel der Dickhornschafe der Rocky Mountains, deren Anzahl aufgrund starker Bejagung sehr stark gesunken ist, verdeutlicht er das (im Grunde doch wirklich logische) Prinzip der Wachstumsrücknahme. Ewiges Wachstum ist weder für Hörner, die als begehrte Jagdtrophäe gelten, noch in der Wirtschaft oder, wie ich meine, in der menschlichen Population von Vorteil. Die Hörner der Dickhornschafe sind wesentlich dünner und kleiner geworden, doch ein Gesetz erlaubt den Abschuss der Tiere erst ab einer bestimmten Hornlänge. Die Dickhornschafe haben also eine Kehrtwende vorgenommen, die uns noch bevorsteht und gegen die Unbekehrbare sich mit Händen und Füßen wehren.
Die Pacús wiederum stellen im Erwachsenenalter ihre Nahrung von tierisch auf pflanzlich um. Auf fleischliche Nahrung zu verzichten, war noch nie in der Geschichte so leicht wie heute, doch trotz der großen Anzahl an Vegetariern sind die meisten Menschen zu diesem Wandel oder der Umstellung ihrer Gewohnheiten nicht bereit. Unglaublich ist die Tatsache, dass der antike Schriftsteller Plutarch in seiner Schrift »Über das Fleischessen« den Menschen den Vegetarismus schon vor zweitausend Jahren empfahl – weil er reine Genusssucht auf Kosten anderer Wesen und ethisch ganz einfach nicht vertretbar wäre. Am Ende des Buches macht Florian Werner dies nochmals deutlich, in dem er ein Hähnchen sprechen lässt. Dass hoher Fleischkonsum krank macht, sollte inzwischen eigentlich auch schon allen klar sein, doch kann auch das nicht oft genug gesagt werden.
Spannend ist auch, dass Florian Werner zum Beispiel vorschlägt, von den Kühen das Wiederkäuen zu lernen, denn Wiederkäuer heißen im Lateinischen ruminans ruminantis und ruminare heißt sowohl wiederkäuen als auch immer wieder über etwas gründlich nachdenken.
Auch von den Ameisen sollen wir Unerwartetes lernen, nämlich das Nichtstun, denn in ihrem Staat gäbe es einige Individuen, die den ganzen Tag rumsitzen und den anderen beim Arbeiten zuschauen. Entgegen der vielen vorgeschlagenen wissenschaftlichen Vermutungen könnte ich mir auch vorstellen, dass es sich statt um »Faulpelze« einfach um »Kopfarbeiter« handelt, die zum Beispiel (da es sich ja immerhin um Ameisen handelt, ist dies durchaus möglich) Mängel bei Arbeitsabläufen registrieren oder sich für diese gerade Lösungen überlegen.
Folgendes Szenario ist mir auch schon begegnet und hat mich gleichermaßen interessiert: Der Wind weht über Nacht ganze Heerscharen von Quallen an den Strand und kommt man etwas später wieder an der Stelle vorbei, sind sie alle verschwunden. Kein Wunder, weiß Florian Werner, denn da die Ohrenquallen zu mehr als achtundneunzig Prozent aus Wasser bestehen, lösen sie sich an Luft und Sonne rasch in nichts auf. Das darauf folgende Gedankenexperiment ist faszinierend, wunderschön und doch erschreckend zugleich:
Jedes Mal, wenn wir die Stirn zu den Gestirnen erheben […], sonnen wir uns in dem narzisstischen Glauben, dass die größere Welt uns gleiche.
Der Blick in ein astrophysikalisches Lehrbuch sowie auf den sandigen Boden des Nordseestrands könnte uns eines Besseren belehren. Wenn es ein Lebewesen gibt, das als mikrokosmisches Modell des Universums dienen kann, dann ist es die Qualle. Und wenn unser Universum eines hoffentlich fernen Tages einmal untergehen, sich wieder zusammenziehen, zurück ins Nichts kehren sollte – dann vielleicht deshalb, weil diese Makroqualle an ein kosmisches Gestade gespült wurde und dort einfach vertrocknet.
Die Qualle / Seite 111 + 113
Die Geschichte des Universums in Form einer Qualle verdeutlicht die Art und Weise wie Florian Werner an die Themen herangeht. Es ist einer meiner Lieblingstexte des Buches, da er den Blick und die Gedanken weitet und zum Träumen und Nachdenken über die Wunder der Welt einlädt. Außerdem macht er so schön demütig, so dass den Leser ein im besten Sinne sokratisches Nichtwissen überkommt.
Ein anderer Text greift mehr als alle anderen eine der aktuellsten Fragen der Menschen auf und in der Tat lässt sich nicht mehr ruhig schlafen, nachdem diese Parallele vom Storch zum Menschen gezogen wurde:
Während die Störche und andere Langstreckenzieher im Herbst aufbrechen, um vor der drohenden Kälte und Nahrungsmittelknappheit aus Mitteleuropa zu fliehen und in Afrika Asyl zu suchen, kommen ihnen unten, auf dem Land- und Seeweg, Abertausende von Menschen entgegen. Anders als die Störche haben sie keine Flügel, um Mittelmeer, Grenzbarrikaden und Stacheldraht zu überwinden. Anders als die Störche genießen sie keinen besonderen Schutz. Und von Freiheit als Nichtbeherrschung können die meisten von ihnen vermutlich nur träumen.
Das Adebarpaar an der polnischen Grenze ist verstummt, das Zelt längst abgebaut, der Sommer zur Neige gegangen. An Schlaf ist immer noch nicht zu denken.
Der Storch / Seite 143
Das Buch ist im Blessing Verlag mit schönem Schutzumschlag erschienen. Die humorvollen Illustrationen von Andreas Töpfer sind hervorzuheben, da sie jeden der Texte einleiten und so die theoretischen Betrachtungen auflockern. Dem Buch fehlt eigentlich nur ein Lesebändchen, denn durch die kurzen Texte liest sich das Buch ja nicht am Stück und fordert kleine Nach- und Selbstdenkpausen, so dass das Buch oft unterbrochen wird.
Der Nacktmull
© Andreas Töpfer
Fazit: Klar empfehlen möchte ich Florian Werners »Die Weisheit der Trottellumme – Was wir von Tieren lernen können«, denn es ist ein Buch, das immer wieder gelesen und auch anderen vorgelesen werden kann und das sehr positiv nicht in ein Schubfach einzuordnen ist. Es sind Essays, philosophische Abhandlungen oder Kolumnen. Auf jeden Fall aber vermitteln seine freien Interpretationen viel Inspiration und eigene Denkanstösse. So sind die Texte denn auch am besten einzeln zu lesen, mit etwas Zeit, um anschließend darüber nachzudenken. Zwar könnte das Buch daher ein vorübergehendes Plätzchen auf dem Nachttisch erobern, doch der Leser sei an dieser Stelle gewarnt: Es könnte passieren, dass die eigenen Gedanken zu den vielfältigen Themen hinterher nicht schlafen wollen.
Florian Werners »Die Weisheit der Trottellumme – Was wir von Tieren lernen können« ist mit Illustration von Andreas Töpfer für EUR 18,00 im März 2018 im Blessing Verlag erschienen – gebunden, 200 Seiten, ISBN 978-3896676191.
Wer mehr lesen möchte, findet hier eine Leseprobe.
Über den Autor: Florian Werner, 1971 in Berlin geboren, ist promovierter Literaturwissenschaftler, spielt Fußball in der Deutschen Autorennationalmannschaft, lehrt als Gastdozent an verschiedenen Hochschulen und arbeitet für den Hörfunk. Seine Bücher, darunter »Die Kuh. Leben, Werk und Wirkung« (2009) und »Schnecken. Ein Portrait« (2015), wurden u.a. ins Englische, Spanische und Japanische übersetzt und mehrfach ausgezeichnet, etwa als „Wissenschaftsbuch des Jahres“ und mit dem „Literaturpreis Umwelt“ des Landes Brandenburg. Zuletzt erschien »Die Weisheit der Trottellumme – Was wir von Tieren lernen können« bei Blessing (2018).
Laila Mahfouz, 29. August 2018
Links:
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