15. Mai 2016 im Theater „Das Zimmer“: Unter der Regie von Lars Ceglecki bewegen sich sechs Schauspieler durch das beeindruckende Bühnenbild, den Planken des Schiffs Esperanza, und damit durch den gesamten Zuschauerraum des Theaters. Ein Flüchtlingsdrama zum Greifen nah – dieses Theaterstück lässt niemanden unberührt.
Handlung (von der Website des Theaters übernommen): Der junge Leichtmatrose Axel Grove heuert auf dem Schiff Esperanza an und ahnt nicht, dass er im Kapitän seinen tot geglaubten Vater wiederfindet. Er hofft, die Beziehungen zu seinem Vater, den er mit 10 Jahren das letzte Mal sah, als dieser in den Krieg zog, wieder zu beleben. Diese Hoffnung wird zerstört, als er herausfinden muss, dass Kapitän Grove und seine Crew Menschen unter unwürdigen Bedingungen illegal in ein anderes Land schmuggeln und sich dadurch bereichern. Axel sieht in den Flüchtlingen Menschen, denen übel mitgespielt wird, während die anderen Besatzungsmitglieder sie als „Versager“ und „Unrat“ bezeichnen, den sie so schnell wie möglich wegschaffen wollen. Die Lage spitzt sich zu und Axel muss eine Entscheidung treffen, deren Bedingungen er nicht kennt.
Fred von Hoerschelmann hat sein mittlerweile in etwa 20 Sprachen übersetztes und international gefeiertes Hörspiel in den 50er Jahren vor dem Hintergrund der Auswandererwelle nach Amerika geschrieben. Ein gutes halbes Jahrhundert später ist sein Text wieder hoch aktuell. Hoerschelmann kondensiert den Konflikt zwischen Menschlichkeit und unmenschlicher Bereicherung, zwischen humanistischen Prinzipien und den Mechanismen kapitalistischer Strukturen in einer tragischen Konfrontation von Vater und Sohn und macht ihn so erfahr- und verstehbar. Nicht zuletzt kommen in der Inszenierung auch die Flüchtlinge zu Worte: Hoerschelmanns Text wird ergänzt durch reale Erfahrungen von geflohenen Menschen, die im vergangenen Jahr den Weg nach Europa geschafft haben.
Kreuzförmig ziehen sich die Planken der Esperanza durch den ganzen Raum des Theaters. Die Zuschauer sitzen somit an Deck und im Bauch der Esperanza und sind daher noch näher am Geschehen als dies im Zimmertheater sowieso schon der Fall ist.
Es war sehr dunkel und nur schemenhaft waren die Umrisse eines Mannes zu erkennen, der auf das Schiff kam und in einem Monolog von seiner Odyssee, seinen Träumen und Hoffnungen erzählte.
»Mir kommt es so vor, als hätte ich in einem bestimmten Augenblick angefangen zu träumen. Und ich träume immer weiter, der Traum schwimmt mit mir davon, sozusagen. […] Und was will ich anderswo? Ich fürchte mich vor nichts so sehr, wie vor dem Tag der Ankunft.«
Nach und nach traten auch die anderen Darsteller aus dem Dunkel hervor und begannen zu klopfen, jeder im eigenen Rhythmus. Dies Gewirr an Taktmöglichkeiten spiegelte die Gegensätze der Persönlichkeiten, ihre Motivationen und Hoffnungen. Dennoch sind sie vereint auf diesem Schiff und so bildete auch das Klopfen am Ende ein großes Ganzes, ein Eins aus vielen Stimmen.
Obwohl Unheil von Beginn in der Luft lag, blieb mir die Hoffnung wider alle Vernunft, dass am Ende alles gut ausgehen möge. Der Wunsch, aus Empathie mit den Verzweifelten geboren, ist normale Menschlichkeit und dennoch auf so einem Schiff, damals wie heute, von vornherein zum Zerschellen an den Wellen der kalten Welt verurteilt.
Der junge Leichtmatrose Axel, der sich wünscht seinen Vater zu finden und als Vorbild sehen zu können…
Die fünf Flüchtlinge, die unter Deck verborgen werden und von einem neuen, besseren Leben am Zielort träumen…
Aber da sind eben auch die Hoffnungen der anderen:
Der erste Steuermann Bengtsen, der sich über das viele Geld freut, welches der Kapitän und er den verzweifelten Menschen für die Überfahrt abnehmen…
Podbiak, der sich wünscht, einmal mehr mit heiler Haut von dem Aussetzen der Flüchtlinge zurückzukehren…
Kapitän Grove, der den „Unrat“ unter Deck schnell loswerden will und sich einredet, er würde die Welt damit von einem Übel befreien…
Doch ist Hoffnung wirklich, wie im Stück gesagt, das Übelste, weil sie die Qual der Menschen verlängert?
Das Stück endet überraschend und doch bleibt eine zutiefst spirituelle Botschaft: Nur wer bereit ist, alles loszulassen, wird frei sein.
»Europa zerfällt – die alte Dame fällt auseinander. Europa zerfällt in seine einzelnen Täler. Die Berge sind Grenzen. Ein Berg gegen den anderen, jeder gegen jeden. Und die alte Dame sieht furchtbar aus.«
Für „Das Schiff Esperanza“ erhielt das Theater einen Projektzuschuss der Kulturbehörde Hamburg, die das Geld nicht besser hätte anlegen können. Lars Ceglecki inszenierte das Stück in enger Zusammenarbeit mit Jan Horstmann (Dramaturgie) und Fridtjof Bundel (Musikalische Leitung) in unheimlicher Atmosphäre und mit viel Spannung. Immer genau das richtige Maß an Emotionen. Jeder Satz ausgefeilt und von den Schauspielern mit so viel Seele belegt, dass der Kloß im Hals nicht mehr wegzubringen war. Die Intensität der Darsteller ist die gesamte Zeit spürbar und selbst jetzt – fast zwei Wochen später – ist die Empfindung beim Gedanken an die Szenen sofort wieder präsent.
»Die Hoffnung lebet ruhlos irrend,
und vielen Männern hilft sie,
täuscht vieler leichte Sinne,
bleibt, bei dem, der an nichts denkt.«
Nicole Bettingers Bühnenbild hat bisher jedes Mal für Überraschung und Anerkennung gesorgt. Dieses Mal hat sie sich selbst übertroffen. Dass es möglich war, das ganze Schiff auf dieser kleinen Bühne zu erschaffen und dennoch genug Raum für die Zuschauer zu lassen, ist ein kleines Wunder. Mit genialen Klappkonstruktionen wird die Bühne vergrößert, sobald alle Zuschauer Platz genommen haben. Jedes Mal wieder bin ich erstaunt, welch große Räume und wahnwitzige Konstruktionen in das kleinste Theater der Stadt passen.
»Voll ist von Übeln das Meer fürwahr. Und voll ist die Erde.«
Fazit: Wer „Das Schiff Esperanza“ noch nicht gesehen hat, sollte dies rasch nachholen. Hier stimmt einfach alles! Die schauspielerische Leistung aller Darsteller, die Bühne, die Botschaft, aber auch aus dramaturgischer und musikalischer Sicht ist „Das Schiff Esperanza“ ein Muss! Ein Stück, das nur Empathielose kalt lassen kann. Der vielstimmige, düstere Gesang, das rhythmische Klopfen, die bedrohliche Stimmung, die Verzweiflung der einen und die Habgier der anderen verursachten mir eine Gänsehaut nach der anderen.
Der Zuschauer ist hier so nah dran am Geschehen, dass er aufspringen und eingreifen möchte. Er bräuchte ja nur die Hand auszustrecken, um das Schlimmste zu verhindern… Der Reflex ist da, mögen wir ihm im realen Leben noch öfter nachgeben!
Hier ein Trailer zu »Das Schiff Esperanza« unter Verwendung der Fotos von Anders Balari:
Spiel: Jan Holtappels (Axel)
Helmut Gentsch (Grove)
Stephan Arweiler (Bengtsen)
Ulf Albrecht (Podbiak)
Sandra Kiefer (Flüchtling)
Fridtjof Bundel (Flüchtling)
Regie: Lars Ceglecki
Musikalische Leitung: Fridtjof Bundel
Dramaturgie: Jan Horstmann
Bühne: Nicole Bettinger
Laila Mahfouz, 27. Mai 2016
Links:
Eine kleine Fotostrecke von Anders Balari finden Sie hier.
Am 28. Mai und 3. Juni um jeweils 20 Uhr sowie am 29. Mai und 5. Juni um jeweils 18 Uhr sticht das Schiff Esperanza nochmals in See. Weitere Aufführungen und nähere Informationen finden Sie auf der Seite des Theaters „Das Zimmer“.
Das Theater „Das Zimmer“ auf Facebook.
Die Website von Ulf Albrecht finden Sie hier.
Die Website von Stephan Arweiler finden Sie hier.
Die Website zu Fridtjof Bundel finden Sie hier.
Die Website von Helmut Gentsch finden Sie hier.
Die Website von Jan Holtappels finden Sie hier.
Mehr Informationen zu dem Hörspiel „Das Schiff Esperanza“ finden Sie hier.
Mehr über Laila Mahfouz finden Sie hier.