Wer erlöst uns von der Schuld, wenn wir sie leugnen? Wie weit würden wir gehen, um unseren Selbstbetrug aufrecht zu erhalten? Wie schwer wiegt eine Lüge, die Leben gekostet hat? In Ödön von Horvaths Bühnenstück „Der jüngste Tag“ schwingen lautlos viele Fragen mit, die sich jeder Zuschauer nur selbst beantworten kann.
Die Hamburger Theatergruppe „Die Wolkenstürmer“ hat sich ein großes Ziel gesteckt: Im November spielen die engagierten Darsteller „Der jüngste Tag“ (am 9.11. in der Dittchenbühne Elmshorn um 20 Uhr und am 17.11. und 24.11. im Hamburger Sprechwerk auch jeweils um 20 Uhr). Der erfahrene Schauspieler und Bühnenregisseur Lars Ceglecki inszeniert das nachdenkliche Theaterstück des emigrierten und jungverstorbenen Autors Ödön von Horvath (Er wurde mit nicht einmal 37 Jahren von einem Ast erschlagen.)
Inhalt: Thomas Hudetz ist untadelig und gewissenhaft, so meinen jedenfalls alle Einwohner des kleinen Dorfes, in dem er als Bahnhofsvorsteher arbeitet. Die Bewohner stecken ihre Nasen mit Vorliebe in Angelegenheiten, die sie nichts angehen und (ver-)urteilen gern vorschnell. Dass Frau Hudetz 13 Jahre älter ist als ihr Mann, bereitet den Boden für vielerlei Tratscherei. Sie ist misstrauisch und eifersüchtig, sagen Sie und bemitleiden den armen Herrn Hudetz, der es mit so einer Frau wirklich nicht leicht hat. Die durchtriebene Anna, die Tochter der Wirtin des Dorfkrugs, macht sich einen Spaß daraus, mit Herrn Hudetz zu flirten. Als sie ihn auf dem Bahnsteig küsst, damit seine Frau dies vom Fenster aus sieht, vergisst der Bahnhofsvorsteher, von Annas Getue abgelenkt, ein Signal zu stellen. Als der Eilzug Nummer 405 entgleist, sterben Menschen und der Spaß wird zum Ernst. Hudetz behauptet, das Signal gegeben zu haben und findet in Anna eine bereitwillige Zeugin. Was aber hat Frau Hudetz vom Fenster aus beobachtet? Wie wird die Lüge sich auf das weitere Leben der Beteiligten auswirken?
»Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten.«
Besonders gelungen ist Lars Cegleckis Inszenierung des schwierigen Stücks, dem er ein spartanisches Bühnenbild und einige gelungene Einfälle überstreift. Seine interessante Interpretation des bekannten Werks ist überaus sehenswert. Manchem Laiendarsteller fehlt es noch an Bühnenerfahrung und Überzeugungskraft, aber allen gemein ist die spürbare Liebe zum Theater. Besonders hervorheben möchte ich das Spiel von Monika Lorenzen als Frau Hudetz und Brigitte Wahls als Wirtin des Dorfkrugs, die beide mit ganzem Herzen ihre Emotionen ausleben. Auch Ralf Erfurth als Herr Hudetz und Remco Berents als Frau Hudetz Bruder überzeugen durchgehend. Einige Szenen berühren tief und lassen uns mit einer kalten Stelle im Herzen zurück.
Fazit: Eine aufrüttelnde Geschichte, die Fragen aufwirft, die sich niemand gern beantwortet. Eine sehenswerte Inszenierung und eine Theatergruppe mit viel Spielfreude. Lassen Sie sich „Der jüngste Tag“ nicht entgehen!
Laila Mahfouz, 8. November 2012
Links:
Hier geht’s zu einer Fotostrecke des Stücks.
Website von „Die Wolkenstürmer“
Website vom Hamburger Sprechwerk
Website der Dittchenbühne Elmshorn
Informationen zu Ödön von Horvath
Informationen zu Laila Mahfouz
Informationen zum Photographen Anders Balari