8. September 2012 im Theater in der Washingtonallee: Hamburg lädt ein zur Hamburger Theaternacht. Von 19 Uhr bis Mitternacht boten 40 Hamburger Theater ein Schnupperprogramm. Wieder nutzten viele Besucher die komfortablen Shuttles des HVV zum „Theater-Hopping“, doch wir blieben den ganzen Abend im einmaligen Theater in der Washingtonallee und haben unsere Wahl nicht einen Moment bereut.
Dies ist eine der ausdrucksstarken Szenen aus „Kassandra“ mit Angelika Landwehr.
Foto: Anders Balari
Mehr als 300 Programmpunkte wurden letzte Nacht in 40 Theatern Hamburgs gezeigt und der HVV hat mit 50 Shuttlebussen und acht Alsterschiffen die Theaterbesucher wieder planmäßig von A nach B gebracht. Auch der Theaterraum des kleinsten Theaters Hamburgs war gut besucht, als seine Leiterin Angelika Landwehr die Gäste willkommen hieß. Gleich darauf betrat sie selbst als erste Kostprobe des Abends in ihrer Rolle der Kassandra die Bühne. Die bekannte Erzählung der leider im vergangenen Jahr verstorbenen Christa Wolf über die Königstochter und Seherin in Troja hat Angelika Landwehr eigens für die Produktion zum Theaterstück umgeschrieben. Die Uraufführung von „Kassandra“ fand am 14. April diesen Jahres statt und kann sich wirklich mehr als sehen lassen. Aufgrund der großen Nachfrage wird das Stück nun auch wieder vom 14. – 27. September gespielt.
Die Szenen und Songs des Musiktheaters „Sowohl-als-auch“ mit Susanne Hofmann, Turid Müller und Christian Stawicki habe ich anschließend leider verpasst, aber die folgenden Ausschnitte aus „Midas“ von Wolfgang Deichsel, ein im Rahmen des 1jährigen Schauspielkurses im Theater in der Washingtonallee erarbeitetes Stück mit neun DarstellerInnen, hat mich überzeugt, es gern noch einmal im Ganzen sehen zu wollen, denn „Midas“ ist gespickt mit schwarzem Humor. Für die neue Saison plant die Gruppe unter der Leitung von Angelika Landwehr, „Die Rocky-Horror-Picture-Show“ aufzuführen. Ich bin schon sehr gespannt!
Extra für die Theaternacht angereist kam der bekannte Film- und Fernsehschauspieler aus dem Ruhrgebiet: Willi Thomczyk. Eine Dreiviertelstunde verwöhnte er die den kleinen Theaterraum fast sprengenden Zuschauer in seinem Gastspiel mit bitterbösem Kabarett à la Georg Schramm (Link zu Georg Schramms Rede zum Thema „Volksverdummung“), den Willi Thomczyk nach eigener Aussage verehrt und den er uns gern jeden Tag im Fernsehen servieren würde, damit endlich alle verstehen, was hier los ist. Ich kann mich seinen Wünschen an dieser Stelle nur anschließen. Am Ende las der vielseitige Künstler aus seinem ersten Roman „Die Nacht des Huhns“, der mich persönlich sehr überzeugt und zum Kauf des Buches bewogen hat und singt ein paar Lieder mit eigener Klavier- bzw. Gitarrenbegleitung.
Laila Mahfouz liest aus ihren eigenen Geschichten.
Foto: Anders Balari
Um mich auf meine Lesung vorzubereiten, verpasste ich danach leider das poetisch, traurig, komische Stück „Kleine Engel“ von M. Beliani über die Kraft der Träume, das von Suntje Freier und Henry Schultze unter der Regie von Björn Kruse vorgestellt worden ist. Vielleicht habe ich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal Gelegenheit dies nachzuholen.
Als Angelika Landwehr mich während ihrer Programmplanung gefragt hatte, ob ich im Rahmen der Hamburger Theaternacht in ihrem Theater eigene Geschichten lesen möchte, hatte ich mich sehr gefreut und sofort zugesagt. Um 22:20 Uhr war es dann etwas verspätet auch soweit. Meine teilweise erst in den letzten Wochen entstandenen Texte, die ich aus inzwischen hundert Kurzgeschichten für diesen Abend ausgewählt hatte, kamen sehr gut an. Über das persönliche positive Feedback, dass ich nach jeder Geschichte bekam, habe ich mich sehr gefreut, merkt der Vorleser doch erst an dieser Stelle, wie der Zuhörer den Text wirklich auf- und wahrgenommen hat. Am 15. September, 20. Oktober und 8. Dezember 2012 lese ich erneut in der Barmbeker Schankwirtschaft Brückeneck und hoffe, einige Zuhörer dort wiederzusehen.
Die nachfolgende griechische Stunde bildete einen denkbar günstigen Abschluss für den wunderschönen Abend. Die griechische Malerin Nicoletta Anastasiou und Theatrikon spielten aus „Der Käfig des Fliegens“ die Geschichte eines Vogel der an seine Fähigkeit zu Fliegen nicht glaubt. Sie schufen eine ganz besonders magische Stimmung mit ihren poetischen Texten und Liedern. Im Anschluss las Stavros Mouratidis noch einige von ihm aus dem Griechischen übersetzte Gedichte.
Wieder sind es gerade die Details, die einen Besuch im Theater in der Washingtonallee zu einem besonderen Erlebnis machen. An jeder Ecke gab es etwas oder jemanden zu entdecken. So verzauberte zum Beispiel auch der Liedermacher Michael Ostendorf mit seinem Gitarren- und Mundharmonika-Spiel und den eigenen Liedern an der Bar sowie im Schein der Fackeln im Garten seine Zuhörer. Im gemütlichen Bar-Raum im Untergeschoß, wo Angelika Landwehr mit griechischen Häppchen für einen tollen Mitternachtsimbiss sorgte, fand ich – wie schon oft – faszinierende Gesprächspartner und so verging der Abend wie im Fluge.
Im Schaufenster des Theaters sind Zeichnungen aus der Serie „Balkan life“ des Athener Malers Pandelis Dimitriou ausgestellt, der zur Theaternacht auch persönlich anwesend war. Die Werke zeigen seine düsteren Eindrücke der Auswirkungen des Jugoslawienkrieges mit seinen vielen grässlichen Facetten. Die Bilder sind derzeit noch im Theater ausgestellt. Kaufanfragen richten Sie bitte auch direkt an das Theater. Vor dem Schaufenster waren einige der Bilder in Postkartengröße ausgelegt. Ich war sehr beeindruckt von den markanten Darstellungen und geschockt von so viel menschlichen Schreckensgestalten. Ich empfehle einen Besuch auf der Facebook-Seite des Künstlers, auf der die Bilder einsehbar sind oder direkt beim Theater.
Fazit: Ein rundum gelungener Theaterabend der etwas anderen Art! Sehen, Lauschen, Lachen, Mitfühlen, alte Muster überdenken und neue Impulse verstehen – ein Programm für fast alle Sinne wurde dem Besucher des kleinsten Profi-Theaters Hamburgs geboten und wieder war es die Nähe zum Publikum, die dadurch entstehende Intensität, die hier den entscheidenden Unterschied macht. Ganz klar: Ich komme wieder – nicht nur als Vorleserin!
Laila Mahfouz, 09. September 2012
Links:
„Kassandra“ wird im Theater in der Washingtonallee erneut vom 14. bis 27. September gezeigt. Nähere Informationen finden Sie auf der Seite des Theaters in der Washingtonallee.
Hier geht’s zu einer Fotostrecke von „Kassandra“.
Website des Musiktheaters „Sowohl-als-auch“
Website von Willi Thomczyk
Website der Autorin Laila Mahfouz
Mehr zu „Der Käfig des Fliegens“
Website von Michael Ostendorf
Der Athener Maler Pandelis Dimitriou auf Facebook.
Das Programm des Theaters in der Washingtonallee zur Hamburger Theaternacht 2012 auf einen Blick gibt es hier.
Mehr über den Photographen Anders Balari