25. April 2012: Das faszinierte Publikum in der Bücherhalle Hamburg durfte gestern einen Geschichtenerzähler erleben, wie er heutzutage selten geworden ist. Mit märchenhafter Sprache und ausschweifender Phantasie gelang es dem erfolgreichen Autor Rafik Schami einmal mehr, groß und klein zu begeistern.
Rafik Schami liest aus: Das Herz der Puppe“ – so stand es auf der Eintrittskarte der Bücherhalle Zentralbibliothek Hamburg, doch einfach aus seinem neuen Kinderbuch zu lesen, das wäre dem meisterhaften Geschichtenerzähler Rafik Schami dann wohl doch zu langweilig gewesen. Er zog es daher vor, die Geschichte dem begeisterten Publikum in schwungvollen Gesten und bunten Bildern zu erzählen, so dass sich Kinder wie Erwachsene bald an einem imaginären Lagerfeuer wiederfanden und nur noch verzückt lauschten. Die kleine Nina ist umgezogen und hat noch keine Freunde gefunden, als sie die großartige Puppe Widu auf dem Flohmarkt entdeckt, der nichts fehlt außer einem Herzen. Bis sie dies endlich findet, durchlebt Nina mit Widu phantastische Abenteuer und als Widu ihr Herz erlangt und Nina sich sorgt, dass die Puppe nun sterblich sein könnte, berichtigt sie diese: „Solange du ein Kind im Herzen bleibst, werde ich nicht sterben.“
In dem Buch enthalten sind einmal mehr Witz, Weisheit und in sich abgeschlossene kleine Geschichten wie die großartige Fabel von dem Elefanten und der Fliege, die wunderbar zeigt, wie Überheblichkeit und Intoleranz zu nichts führen. Insgesamt handelt es sich um eine zauberhafte Geschichte von Freundschaft und Liebe, die Kindern so wie auch allen, die im Herzen Kind geblieben sind, zu empfehlen ist.
Ein großer Erzähler unserer Zeit: Rafik Schami. Fotos: Anders Balari
Der Applaus war groß, als Schami seine Erzählung beendete und so fragte er das Publikum, ob sie auch die Geschichte von der Frau hören wollten, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte, es würde auch nur fünf Minuten dauern. Ein weiterer dröhnender Applaus war die Antwort und der Autor begann zu erzählen: Nun konnten wir Rafik Schami als jüngsten von drei Brüdern in den Straßen von Damaskus spielen sehen, lernten den strengen Vater und die redselige Mutter kennen und wünschten uns einen ebensolchen geschichtenerzählenden Großvater, wie er ihn gehabt hat. Der Großvater macht den Jungen unter anderem mit der besonderen Eigenschaft der Damaszener vertraut, die einen Tag zumeist gut nennen, wenn sie all abendlich feststellen, dass sie mehr Gerüchte verbreitet, als neue erfahren haben.
„So lernte ich von meinem Großvater, glaubwürdig zu lügen.“
Auch den Unterschied zwischen Lüge und verfrühter Wahrheit lernte Schami damals von seinem Großvater und es ist sicher kein Gerücht meinerseits, wenn ich behaupte, eben dieser Großvater hätte einen großen Einfluss auf seine schriftstellerische Tätigkeit gehabt, denn er hat es offenbar aufs Beste verstanden, aus jeder nichtigen Begebenheit eine spannende Geschichte zu zaubern und diese Kunst an seinen Enkel weiterzugegeben. Auch die Geschichte des besonderen Radios, welches Schamis Mutter von seinem Vater als Geschenk bekam und dessen Programm von da an tagtäglich die Hälfte der weiblichen Damaszener Bevölkerung unterhielt und den Vater zu der Aussage, das einzige Radio in Damaskus zu besitzen, das mehr Kaffee als Strom verbrauche, war eine sehr erheiternde und gelungene Darbietung des erzählfreudigen Autors. Die eigentliche Geschichte über besagte Frau, die ihren Gatten auf dem Flohmarkt verkaufte und deren Aufklärung ich an dieser Stelle nicht vorweg nehmen möchte, endet dann auch entsprechend:
„…und so habe ich beschlossen, Erzähler zu werden,
damit die Frauen mich nicht verkaufen.“
Die Besonderheit der blumigen und bildreichen Sprache, die im arabischen Raum so verbreitet ist, wird in Formulierungen wie „man hat an seinem Gesicht gesehen, dass er ungesunde Gedanken hat“ als Zeichen für die Wut, die seinem Vater anzusehen war, einfach großartig ausgelebt. Weil die Uhren in arabischen Ländern meist anders ticken, verwandelten sich die angekündigten fünf Minuten wie durch Zauberhand in eine gute Viertelstunde und es gab wohl niemanden im Saal, der einem so guten Erzähler dies nachtragen wollte.
Wer war nun gestern sein Publikum in der Bücherhalle Hamburg? Es waren größtenteils Erwachsene, die sich einmal mehr von dem Erfolgsautor verzaubern lassen wollten und wie gebannt seinen Erzählungen lauschten. Ganz sicher ist es ein ganz besonderes Erlebnis, sich von ihm Geschichten erzählen und in eine ferne Welt entführen zu lassen. Momentan ist Rafik Schami auf Lese- oder Erzähltour durch ganz Deutschland und so wünsche ich allen weiteren Zuhörern eine ebenso bezaubernde Zeit mit dem orientalischen Geschichtenerzähler und wünschte, ich könnte mit ihm reisen, um ihn immer wieder zu erleben!
Laila Mahfouz, 26. April 2012
Links:
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Weitere Lesungstermine von Rafik Schami
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Informationen des Hanser Verlags zu „Das Herz der Puppe“
Informationen des Hanser Verlags zu „Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte“
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