24. Februar 2012, kleines Hoftheater Hamburg, Premiere von „Morde Deinen Nächsten“. Nach verhaltenem Start nahm der Thriller bald Fahrt auf, um sich danach bei hoher Schlagzahl mit menschlichen Abgründen zu beschäftigen. Thrill and kill mit „Trojaner“: Nach dem letzten Vorhang erst mal ausgekühlt, meldeten sich ethische Betrachtungen, für die zunächst und mittendrin keine Zeit geblieben war. Fazit: Anschauen lohnt sich, Habgier nicht.
Richard Bellamy (Anton Matheis, rechts) weiht Kriminalinspektor Anderson (Alexander Grimm) in seine finsteren Pläne ein. Foto: Anders Balari
Der Engländer Richard Bellamy (Anton Matheis) hat alles: Er ist ein angesehenes Regierungsmitglied ihrer Majestät, bewohnt mit seiner reichen Frau Virginia (Claudia Bahr) ein luxuriöses Anwesen und widmet sich quasi als Hobby oder nebenberuflich wie auch – heutzutage bloß noch ein wenig spitzzüngig – fast schon standesgemäß nicht so ganz geraden Geschäften. Doch als Virginia sich für ihren Liebhaber von ihm scheiden lassen will und es nur noch eine Frage der Zeit zu sein scheint, bis seine Machenschaften auffliegen, beschließt Richard Bellamy zu sterben. Zumindest offiziell, um sich in Wahrheit mit dem veruntreuten Geld ins Ausland abzusetzen, während – so sein Plan – seine Frau und ihr Liebhaber für seinen Mord verurteilt werden sollen.
Alles, was ihm zur Umsetzung dieses perfiden Plans fehlt sind eine Leiche und ein Komplize, der ebensoviel zu verlieren hat wie er selbst. In Kriminalinspektor Anderson (Alexander Grimm) glaubt Bellamy diese Person gefunden zu haben. Obwohl der Inspektor sich eingangs nicht als kooperativ erweist, lässt er sich nach einer Weile tatsächlich von Bellamy überzeugen, bei dem Plan mitzuspielen. Je näher jedoch der Zeitpunkt des Mordes an seinem unfreiwilligen Double rückt, desto mehr Unvorhersehbares geschieht: Virgina hat einen verdächtigen Brief Richards an ihren Geliebten entdeckt und ist zurück gekommen. Der Inspektor, der sich aus seiner prekären Lage zu befreien versucht, löst dieses Problem auf seine Weise. Ab diesem Zeitpunkt gerät der Plan des Richard Bellamy ins Wanken und Virginia Bellamy wird zu einem ängstlichen, verschnürten Bündel. Nun erst ist das Fundament des Plots fertig konstruiert, oder – denkt man stilecht an Zementschuhe – gegossen, der Thriller wird Stein um Stein aufgemauert, wobei Dramatik wie auch Geschwindigkeit sich deutlich erhöhen, was bis zum Schluss so bleibt.
„Morde Deinen Nächsten“ ist also kein klassischer „Whodunit“-Krimi, bei dem etwa nach dem Mörder einer rasch auftauchenden Leiche gesucht wird, sondern vielmehr ein schlau gesponnener Thriller, der zu Beginn ausholen muss, um in weiterer Folge zu funktionieren. Mit dieser „trockenen“ Einführung hatten die Schauspieler bei der Premiere ein wenig Probleme, was die Trockenheit noch zusätzlich verstärkte. Wirkte die Premierenvorstellung anfangs also noch ein wenig hölzern, nahm sie mit dem zweiten Auftritt Virginias mehr und mehr Fahrt auf – und ab dem unerwarteten Auftauchen von John Crossley (Michael Jäger) war jene hohe Schlagzahl erreicht, die daraus einen packenden, sehenswerten Thriller machte.
Als Michael Jäger die Bühne betrat, veränderte sich auch das Spiel seiner Kollegen. Seine in jedem Moment authentische Interpretation von John Crossley und die daraus resultierende stark bedrohliche Präsenz erinnerten an Steve Buscemi im Kultfilm „Fargo“ der Coen Brothers. Bereits nach wenigen Minuten riss Jäger damit die anderen Schauspieler mit, trieb sie rasch zu einer nun immer überzeugenderen Leistung. Dabei ist insbesondere auch Anton Matheis als Richard Bellamy hervorzuheben, der nach der im Stück vorgesehenen Verwandlung seines Charakters ebenfalls wie ausgewechselt wirkte und in der zweiten Hälfte der Premiere ohne Einschränkungen zu überzeugen wusste. Nach der Pause war das Tempo also insgesamt beschleunigt, Schlag auf Schlag veränderten sich Blickwinkel wie auch Umstände in der Handlung und es gelang den Darstellern sehr gut, dies nachfühlbar und eben „mit Thrill“ zu transportieren.
Mit viel Gespür für das Genre inszenierte Norman Deppe, der in dieser Spielzeit bereits auch als Darsteller in „Das kleine Teehaus“ überzeugte, diesen Thriller. Insbesondere Licht und Ton setzte er dabei sehr gekonnt ein, betonte die Inszenierung auf gelungene Weise, brachte gerade mit dem Ton genretypische Elemente aus Filmen in das kleine Hoftheater. Wenn Deppe es noch schafft, die anderen Schauspieler schon vor dem Auftritt von Michael Jäger zu den danach demonstrierten Leistungen zu führen, dann kann aus der in Gesamtbetrachtung bereits guten Inszenierung ein durchgängig sehr guter Thriller werden. Diese Einschränkung trübt den Gesamteindruck aber nur unwesentlich, denn insgesamt wartet auf den Theaterbesucher ein überzeugender, unterhaltsamer Abend, der genau die Gänsehaut auszulösen vermag, die in diesem Genre erwartet wird. Und dann eben noch der eingangs erwähnte „Trojaner“: Das Wesen und die Rendite von Habgier, der Umgang mit uneingeschränkter Macht über andere Menschen, die in alle Richtungen drohenden Abgründe von Rachsucht. Drei vorrangige Themen, die neben weiteren Fragen ob des hohen Tempos erst im Nachgang gleichsam ebenso automatisch an die Oberfläche kamen wie eine Wasserleiche ohne Zementschuhe und zu ethischen Betrachtungen in einem ausgedehnten Gespräch führten. Programmiert von Leslie Darbon, als „Trojaner“ installiert durch die rasante Inszenierung Norman Deppes. Gelungen.
Fazit: Ein sehenswerter Thriller mit vielen Wendungen und potentiellen – weil freilich individuell unterschiedlich – Nachwirkungen. Eine Empfehlung, nicht nur für Krimi- und Thriller-Freunde. Im kleinen Hoftheater Hamburg noch zu erleben bis einschließlich 25. März 2012.
Laila Mahfouz und Anders Balari, 28. Februar 2012
Links:
„Morde Deinen Nächsten“ – das aktuelle Kriminalstück im kleinen Hoftheater Hamburg
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