17. Februar 2012 im Kellertheater Hamburg: Premiere des berühmten und von Annette Quentin grandios inszenierten Bühnenstücks „Geschlossene Gesellschaft“ von Jean-Paul Sartre. Hier stimmte einfach alles: Das puristische Bühnenbild, die dramatische Musik und allem voran die hervorragenden Darsteller machten den Abend zu einem ganz besonderen Theatererlebnis.
Willkommen in der Hölle! Von links nach rechts: Franziska Dempt, Frank Engelmann, Steffen Lorenz und Anne Hermann-Haase. Foto: Anders Balari
Drei Personen werden von einem skurrilen Kellner (Frank Engelmann) nach ihrem Tod in einen scheußlichen Raum geführt, der weder Fenster noch Spiegel oder Bett enthält, in dem immer das Licht brennt und dessen Türen verschlossen sind. Es besteht keine Möglichkeit der Flucht und auch ihre Augen können die drei nicht schließen. Eine Auseinandersetzung mit dem jeweils anderen, der die eigenen Verfehlungen und Schwächen spiegelt, ist unvermeidbar. Garcin, Estelle und Inès ist jeweils ein Hocker zugeteilt, auf dem sie anfangs noch verängstigt auf ihre Folterknechte warten.
Nach einer mehr oder weniger höflichen Vorstellung beginnen die Toten oder, wie Estelle sich ausdrückt, die „Abwesenden“ einander den Tod wahrlich zur Hölle zu machen. Die lesbische Inès stellt Estelle nach und beobachtet eifersüchtig wie diese verzweifelt versucht, Garcin für sich zu gewinnen, um ihre Eitelkeit zu befriedigen. In Selbstlügen verstrickt, sucht Estelle vergebens nach einem Spiegel, um sich ihrer selbst wieder sicher zu sein, ihr verstorbenes Ich zum Leben zu erwecken. Inès weiß Estelles Verzweiflung geschickt zu nutzen und bietet an, selbst ihr Spiegel zu sein.
Garcin hingegen bedarf der Anerkennung von Inès zum Zwecke seiner Selbstreflektion und so sind alle drei aneinander gefesselt. Um zu verstehen, warum sie alle an diesen Ort gelangt sind, den sie als Vorhölle erkennen, versuchen sie den anderen das Geheimnis ihrer Sünden zu entlocken. Jeder berichtet ohne Reue von seinen schlechten Taten und genießt sofort die Macht, die diese Aussprache ihm über die anderen gegeben hat.
Von nun an sind alle Quälereien noch leichter und effektiver und die Situation wird so unerträglich, dass Garcin versucht, einen Ausgang aus seinem heißen Gefängnis zu finden. Als ihm dies schließlich gelingt, stellen sie fest, dass eine Trennung undenkbar ist. Jeder braucht den anderen und wünscht sich dessen Hilfe, verabscheut aber gleichzeitig den potentiellen Helfer wie auch sich selbst abgrundtief. So sind sie unentrinnbar einander ausgesetzt und wie in einer ewigen Wiederholung gefangen.
Sofort überzeugten Anne Herrmann-Haase als Inès und Steffen Lorenz als Garcin mit ihrem unter die Haut gehenden intensiven Spiel, dessen gekonnt betonte Körperlichkeit durchgängig zu faszinieren wusste. Sie erschufen eine solch bedrückende Unerträglichkeit des Quälens und Gequältwerdens, dass der Zuschauer es spürbar miterleben konnte. Anne Hermann-Haase spielte Inès mit derart großer Authentizität, dass ich – wüsste ich es nicht besser – dem Gedanken verfallen könnte, Sartre hätte ihr diese Rolle auf den Leib geschrieben. Sie überzeugte durchgehend.
Steffen Lorenz wusste sein Talent erneut perfekt einzusetzen und drang während des Stücks gekonnt in die immer tieferen Abgründe Garcins vor. Dabei bestach insbesondere die gewaltige Körperlichkeit seines Spiels und die dazu passende exzellente Mimik, welche wiederholt Erinnerungen an den jungen Jack Nicholson aus „Shining“ und „Einer flog über das Kuckucksnest“ wachrief, was in der Fotostreckesehr gut dokumentiert ist. Franziska Dempt als Estelle wirkte anfangs noch ein wenig verkrampft, im Verlauf des Stücks steigerte sich die vielversprechende Nachwuchsschauspielerin jedoch so sehr, dass sie am Ende mit ihren Kollegen mithalten konnte und an manchen Stellen mit ihrer dämonisch eitlen Bosheit sowie ihrer dennoch vorhandenen Verletzlichkeit dem Zuschauer einen Schauder über den Rücken jagte.
Das gerade durch seine Schlichtheit überzeugende Bühnenbild erlaubte den Darstellern, sich optimal zu entfalten. So gewann jede Muskelbewegung an Bedeutung, denn nichts lenkte den Zuschauer vom eindrücklichen Minenspiel ab. Der Theatersaal war randgefüllt, die Vorstellung ausverkauft und die Premiere von „Geschlossene Gesellschaft“ im Hamburger Kellertheater löste beim Publikum derartige Begeisterungsstürme aus, dass die Regisseurin Annette Quentin nach einiger Zeit fast im Stile von Georg Schramms „Lothar Dombrowski“ die Ovationen beendete, um sich bei sich bei allen Beteiligten und vor allem den Darstellern zu bedanken. Ihr ist es gelungen, das Beste aus ihren drei Hauptdarstellern herauszuholen und sie zu Höchstleistungen zu inspirieren. Ich wünsche ihr auch weiterhin ein so glückliches Händchen bei der Stoff- sowie Darstellerwahl.
Das 1944 uraufgeführte Theaterstück „Geschlossene Gesellschaft“ (französisch „Huis clos“) von Jean-Paul Sartre (1905 – 1980) führt den Zuschauer geradewegs in die Hölle und gewährt ihm dort bisher verborgene Perspektiven auf das, was unsere ureigenste Hölle bedeutet. Am Ende wissen die drei ebenso wie die Zuschauer, dass das Warten auf körperliche Folter vergebens ist. Sie sind bereits dort angelangt, wo sie in Ewigkeit ihre Peiniger ertragen müssen, denn „L’ Enfer c’est les autres“ -„Die Hölle, das sind die anderen“! Wenn Garcin am Ende die letzten Worte „Also – machen wir weiter…“ sagt, ist klar, dass sie bis in alle Ewigkeit diese Konstellation werden ertragen müssen.
Laila Mahfouz, 20. Februar 2012
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Die nächsten Termine für „Geschlossene Gesellschaft“ im Kellertheater sind der 17.03.2012 und der 28.04.2012. Weitere Informationen entnehmen Sie bitte dem Programm des Kellertheaters Hamburg.
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