Am Ende dieses Artikels wurde jetzt ein kurzes Interview mit Nina George zur Kriminacht 2011 hinzugefügt.
8. Dezember 2011 im Café Sonnenseite in Hamburg: Hamburger Krimigrößen machten die düstere Nacht zum Mordstag und jagten den Zuhörern ebenso Schauer des Gruselns wie des Entzückens über den Rücken.
Zum Todestag des ersten deutschsprachigen Krimiautors Friedrich Glauser lasen 103 Autoren zur Feier des ersten Krimitages des Syndikats in Bamberg, Bern, Bremen, Dußlingen/Tübingen, Essen, Hamburg, Köln, München, Wien, Wiesbaden, Zürich. Die Hamburger Krimi-Fans durften sich gestern Abend über folgende Autoren freuen: Eva Almstädt, Jürgen Ehlers, Doris Gercke, Anke Gebert, Gunter Gerlach, Marina Heib, Michael Koglin, Tatjana Kruse und Regula Venske. Mit ihrer ansteckend fröhlichen Art moderierte Nina George (Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt „Die Mondspielerin“) den Abend.
Die Kriminalisten des Abends (hintere Reihe von links G. Gerlach, D. Gercke, R. Venske, E. Almstädt, M. Koglin, A. Gebert, M. Heib, T. Kruse, vorne J. Ehlers und N. George) Foto: Anders Balari
Im gemütlichen und gut besuchten Café Sonnenseite lauschte das Publikum den düsteren, spritzigen, spannenden, schaurigen, heiteren und blutigen Geschichten, die all diese unterschiedlichen AutorInnen mitgebracht und mit Inbrunst vorgetragen haben. Gruseliger Ekel, gespanntes Fingernägelgeknabber und diverse Lachsalven erfüllten bald schon den Raum, so dass Krimi-Fans voll und ganz auf ihre Kosten kamen. Mit viel Esprit berichtete Nina George über jede AutorIn etwas Besonderes.
Die Zuhörer erfuhren, welche Musik bei der Entstehung eines neuen Werkes spielte (von Heavy Metal bis Mozart), seit wie vielen Jahren und auf welche Weise die AutorIn die Mordlust gepackt hat, wer mit Steinen sprechen kann, wer den Seegang niemals los wird und vieles mehr. Die extra angereisten, sowie die nur durch Zufall hier gestrandeten Krimi-Fans aus dem Rheinland waren begeistert von dieser karitativen Veranstaltung und freuten sich außerdem noch über Gewinne aus der Tombola.
Regula Venske liest ihre ironisch-komische Geschichte "Ostfriesen in Hamburg" Foto: Anders Balari
Mit der gewohnt stilvollen und humorigen Geschichte „Ostfriesen in Hamburg“ aus der gerade erschienenen Anthologie „Gepfefferte Weihnachten“ beendete Regula Venske den offiziellen Teil des Abends. Natürlich durfte auch gestern ein wirkliches „Verbrechen“ nicht fehlen. Während alle AutorInnen den Fans bereitwillig in soeben erstandenen Büchern Autogramme gaben, verschwand die neben Regula Venske abgestellte Tasche mit all ihren gerade an diesem Tag eingetroffenen Neuerscheinungen. Wir gehen davon aus, dass einer der Gäste nur versehentlich die falsche Tasche gegriffen hat und bitten dringend um Abgabe im Café Sonnenseite, Weidenallee 24. Herzlichen Dank dafür! Ich gebe zu, dass mich der vergangene Abend nicht nur sehr erfreut sondern auch sehr beschäftigt hat, denn ich konnte heute Nacht Regula Venskes verzweifeltes Gesicht beim Suchen der Bücher nicht vergessen und träumte, wie ich einen der Gäste später wiedertraf und dieser überrascht die Tasche neben sich bemerkte. Hoch erfreut rannte ich zurück ins Café und rief: „Hier sind die Bücher!“ Tja, manchmal wünscht man sich eben, der Traum würde das Leben überholen. Aber nichts ist unmöglich!
Ich persönlich wünsche dieser Lese-Reihe viel Erfolg und zahlreiche neue Anhänger. Wer den gestrigen Abend verpasst hat, der kann sich jetzt schon auf das nächste Jahr freuen, denn der Krimitag soll eine jährlich wiederkehrende Lesung beinhalten. Wer sich die Enttäuschung versüßen will, dem kann ich Gepfefferte Weihnachten mit vielen der gestern anwesenden AutorInnen empfehlen.
Laila Mahfouz, 9. Dezember 2011
Links:
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Nachsatz – Ein kurzes Interview mit Nina George zur Kriminacht 2011:
Wer hat die Autoren für diese Kriminachtlesung ausgesucht und nach welchen Kriterien?
Nina George: Es gilt die Regel wie beim Taxifahren: Wer vorne sitzt, zahlt. Wer organisiert und moderiert, sucht aus. Marina Heib und ich haben den 1. (Internationalen) Krimitag in Hamburg betreut.
Na, gut, die Wahrheit? Die Wahrheit ist: Die Kollegen, die gelesen haben, bis auf Eva und Tatjana, gehören seit 12 Jahren zum Hamburger „Krimisalon“. Wir treffen uns reihum alle drei Monate, lesen uns aus der Werkstatt vor, essen, reden die halbe Nacht. Da der aktuelle Salon auf den 8ten Dezember gefallen wäre… hielten wir ihn sozusagen öffentlich ab. Okay, okay, die ganze Wahrheit: Diese Autoren habe ich mich getraut zu fragen, ob sie ohne Honorar lesen. Denn auch Lesungen sind Arbeit, erfordern Vorbereitung und Zeit, und diese neun sind Bestsellerautoren. Und furchtbar teuer. Und furchtbar liebenswert! Aber, was ebenfalls wahr ist: Hamburg und der nahe Norden ist die inoffizielle Krimihauptstadt. Eine Auswahl von nur neun Autoren ist niemals komplett. Zum 2. Krimitag, 2012, werden wir am besten alle lesen, überall in der Stadt, an mehreren Orten. Das Team von der Sonnenseite wird gerne wieder in dieser erprobten Formation auftreten.
Wie viel Kontakt hast Du zu Kollegen?
Nina George: Virtuell: Täglich mehrfach über Facebook, die Syndikats-Geheimseite, oder das „Mordsforum“, ein virtuelles Clubzimmer aller inzwischen über 600 Syndikats-KollegInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Analog: sehen sich etwa 280 von uns einmal im Jahr bei der Criminale, Europas größtem Krimifestival. Außerdem alle drei Monate im Krimisalon (in Privaträumen), und letztlich alle halbe Jahre zum Krimistammtisch, den wir in Kneipen verbringen (gern im Feldstern, der Sonnenseite, im Freischwimmer.). Hört sich so an, als ob wir ungern ohne einander sind, oder?! Dabei habe ich noch gar nichts von unseren Schießtrainings, Pathologieausflügen und Mailinglisten erwähnt.
Mit einem Kollegen habe ich allerdings mehr Kontakt als mit anderen: Mit meinem Mann.
Welches Genre macht Dir als Autorin selbst am meisten Spaß?
Nina George: Krimi. Nein, Liebe! Oder Sachbuch. Vielleicht doch Porträts. Ach… Boulevard. Science Thriller. Und…
Nein. Am befriedigendsten ist nicht ein Genre. Am schönsten ist auch nicht, zu schreiben. Am allerbesten ist „geschrieben haben“. Und das in jeder Sorte Literatur. Hm. Allerdings: Krimi-Kurzgeschichten genieße ich doch sehr. Wie ein Fenster in eine Mörderseele; nur ein Blick, lang genug, um sich zu fürchten.
Woher kam die Inspiration für „Ein Leben ohne mich“ – eine Geschichte über die namenlosen Embryonen in den Kühlschränken der Reproduktionslabore? (Pseudonym: Nina Kramer)
Nina George: Aus der Zeitung. Eine kleine Meldung auf der Rückseite „Aus aller Welt“. Sie besagte, dass eine Italienerin ein Kind gebar. Mit 60. Das künstlich befruchtete Ei war seit 13 Jahren tiefgefroren. 13 Jahre?!
Ich begann zu recherchieren, und ein Abgrund tat sich auf: Handel mit Samen und Eiern. Vorgeburtliche Eutanasie (Auswahl des Geschlechtes, Auswahl des Aussehens, Abtötung von Gameten bei Mehrfachbefruchtung).
Zwillinge, die im Abstand von Jahrzehnten geboren werden, weil der zweite Sohn im Laboreisschrank gelagert wird, bis die Karriere ausgebaut wurde (fragen Sie mal Celine Dion).
Inzest zwischen Geschwistern, die nicht wissen, dass ihr Samenspendervater derselbe ist.
Und die Frage: Was passiert mit der Seele, wenn sie nach der Zeugung bei minus 196 Grad tiefgefroren wird, auf Jahre?