24. November 2011 im Ernst Deutsch Theater: Die Premiere von „Der nackte Wahnsinn“ war ein Genuss für Augen und Ohren und eine Folter für die Lachmuskeln
Makler und Haushälterin (v. li. Mirco Reseg, Maria Hartmann) Foto: Anders Balari – Vergrößerung durch Klick auf das Foto
Als der Vorhang sich hebt, beginnt das große Verwirrspiel ganz harmlos mit der Haushälterin Mrs Clackett (Dotty Otley alias Maria Hartmann), die es sich mit einem Teller Sardinen an ihrem freien Tag vor dem Fernseher ihrer Arbeitgeber gemütlich machen will. Sie wird allerdings sogleich von ihrem Regisseur Lloyd Dallas (Michael Schanze) unterbrochen, der sie auf Fehler aufmerksam macht. Den übrigen Schauspielern des Stücks im Stück ergeht es in den folgenden Szenen nicht anders. Roger Tramplemain (Garry Lejeune alias Mirco Reseg), ein Angestellter des Maklerbüros will mit Vicki (Brooke Ashton alias Katharina Pütter) ein Schäferstündchen im schönen Herrenhaus verbringen, wähnt er dies doch ebenso menschenleer wie seine heimlich eintreffenden, verschuldeten und vor dem Finanzamt flüchtigen Besitzer Mr und Mrs Brent (Frederich Fellowes alias Max Volkert Martens und Belinda Blair alias Christiane Leuchtmann).
Immer wie ein Joker: Selsdon (v. li. Michael Bideller, Christiane Leuchtmann) Foto: Anders Balari – Vergrößerung durch Klick auf das Foto
Das Publikum spürt im Verlaufe des ersten Aktes immer mehr, wie die Nerven der Darsteller zum Zerreißen gespannt sind, denn abgesehen davon, dass dies die Generalprobe ist und nur zwei Wochen für die Proben zur Verfügung standen, sorgen sich alle um den Trunkenbold Selsdon Mowbray (Michael Bideller), der als Einbrecher womöglich seinen Einsatz verpassen könnte, um Tim Allgood (Felix Lohrengel), den Bühnenbildner, der schon 48 Stunden auf den Beinen ist und um ihre kleinen und großen Liebeleien untereinander, von denen möglichst keiner der anderen etwas wissen soll. Zu allem Überfluss verliert Brooke Ashton ab und an ihre Kontaktlinse und unterbricht so die Probe.
Kontaktlinsensuche (v. li. Mirco Reseg, Katharina Pütter, Sonja Dengler, Christiane Leuchtmann) Foto: Anders Balari – Vergrößerung durch Klick auf das Foto
In diesem von Michael Frayn humorvoll erdachten und von Fred Berndt wunderbar inszenierten Bühnenstück ist das Timing aller Darsteller perfekt. Ein großes Lob gebührt auch dem Casting, denn die Rollen passen allen Darstellern wie eine zweite Haut, und ich könnte mir „Der nackte Wahnsinn“ nicht besser besetzt vorstellen. Auch der Aufbau des Stücks ist Frayn besonders geglückt, denn zeigt der erste Akt noch die Generalprobe um Mitternacht, so offenbart uns der zweite bereits einen der chaotischen, von Eifersüchteleien und Missverständnissen geprägten Tourneeabend hinter der Bühne, um dann schließlich im dritten Akt die letzte Vorstellung zu zeigen, in deren Verlauf die Schauspieler immer mehr die Nerven verlieren und alles in nacktem Wahnsinn endet.
Wer ist der Überraschungsgast? (v. li. Maria Hartmann, Max Volkert Martens, Katharina Pütter, Mirco Reseg, Christiane Leuchtmann) Foto: Anders Balari – Vergrößerung durch Klick auf das Foto
Schon im ersten Akt zeigen die hervorragenden Darsteller ihr Können auf feinste Art und bringen das Publikum immer wieder zum Lachen, doch als sich zum zweiten Akt hinter dem Vorhang die Rückseite des Bühnenbilds zeigt und damit die Zuschauer überrascht, ahnen sie noch nicht, welch teilweise grotesken Wendungen und Wirrungen sich ihnen nun bieten werden. Ich habe immer wieder so sehr gelacht, dass ich mir Tränen aus den Augen wischen musste und wünschte, ich könnte dieses Stück wieder und immer wieder ansehen. Das großartige Bühnenbild erlaubt es dem Publikum durch die Hinterbühne, die uns nun zugewandt ist, die Darsteller auf der „Bühne“ auch noch zu sehen. Ein gelungener Einfall, der hier nicht unerwähnt bleiben soll.
Der Regisseur (Michael Schanze), der inzwischen schon an einem anderen Theater „Richard III“ probt, besucht überraschend die Tournee, um seine Geliebte zu beschwichtigen. Er beauftragt Tim, ihm Blumen zu besorgen, die im Verlauf des Abends durch verschiedene Missverständnisse und Unfälle immer wieder durch einen kleineren Strauß ersetzt werden müssen. Der Einfallsreichtum für solch wunderbare Ideen scheint nahezu unerschöpflich. Es mögen Kleinigkeiten sein, doch gerade sie tragen in Summe ungeheuer zum Erfolg der Komödie bei und sind einfach nicht wegzudenken.
Tourneebesuch: Regisseur will Wogen glätten (v. li. Felix Lohrengel, Michael Schanze) Foto: Anders Balari – Vergrößerung durch Klick auf das Foto
Obwohl alle Schauspieler ihre Rolle perfekt beherrschen und sich absolut hineinfühlen, möchte ich einige noch hervorheben: Besonders überzeugend sind Mirco Reseg und Katharina Pütter, die es nicht nur schafft, unglaublich komisch zu sein ohne je aus der Rolle zu fallen, sondern der es außerdem gelingt ihre beiden Rollen der Vicki und der Brooke Ashton perfekt darzustellen. Auch Michael Schanze als Regisseur des Stücks im Stück wirkt so echt, als wäre er schon immer Theaterregisseur gewesen. Es war eine wahre Freude, ihm zuzuschauen. Maria Hartmann hat als Mrs Clackett und besonders als Dotty Otley, der sie einen ganz eigenen Charme zu verleihen weiß, wohl die größte Gradwanderung zu bewerkstelligen und dies gelingt ihr bravourös. Michael Bideller schließlich schaffte es als Running Gag Selsdon ohne Mühe, die Herzen des Publikums zu erobern.
Wer es noch nicht gemerkt hat, könnte beim Genuss von „Der nackte Wahnsinn“ endlich dahinter kommen: Das Leben ist ein Schauspiel und wir alle stellen nur Rollen auf der großen Bühne dieser Welt und des Bewusstseins dar, denn nicht nur in diesem Stück werden die Rollen von Schauspielern besetzt, die Schauspieler spielen, die wiederum… Was ist schon echt, was Fiktion? Wer weiß das zu sagen? Am Ende dieses Abends jedenfalls sind die Zuschauer gründlich durchgerüttelt worden: vom Lachen und vom fliegenden Wechsel der Ereignisse. So kann selbst die Unterhaltung durch eine harmlose Komödie zum Nachdenken führen. Und das ist auch gut so.
Sardinen (v. li. Maria Hartmann, Michael Bideller, Max Volkert Martens, Katharina Pütter, Mirco Reseg, Christiane Leuchtmann) Foto: Anders Balari – Vergrößerung durch Klick auf das Foto
Erneut stelle ich fest, dass das Ernst Deutsch Theater verdient mit dem Pegasus Preis 2011 für die beeindruckende Gesamtleistung (besonders für den vielschichtigen Spielplan, die engagierte Jugendarbeit und die behutsamen konzeptionellen Änderungen) von einer unabhängigen Jury ausgezeichnet wurde. Mit diesem seit 1999 verliehenen und mit EUR 35.000 dotierten Preis für Hamburger Privatbühnen kann das renommierte Hamburger Theater in der kommenden Spielzeit eine besondere Produktion realisieren, die ganz sicher wieder überzeugen wird.
Wer wieder einmal richtig gut lachen will und Verwirrspiele, Missverständnisse und wirklich gutes Komödien-Timing zu schätzen weiß, dem möchte ich „Der nackte Wahnsinn“ ganz warm ans Herz legen. Gönnen Sie sich noch bis 7. Januar 2012 einen Abend humorvoller Unterhaltung und freuen Sie sich am Ende des Stücks, dass Ihr Leben in ruhigeren Bahnen verläuft, als das soeben auf der Bühne erlebte.
Laila Mahfouz, 25. November 2011
Der nackte Wahnsinn wurde übrigens von Regisseur Peter Bogdanovich mit Carol Burnett und Michael Caine in den Hauptrollen verfilmt:
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