Vor rund einem Jahr begann die EM-Qualifikation. Bereits damals war klar abzusehen, wohin sie für das österreichische Nationalteam unter Dietmar Constantini mit hoher Wahrscheinlichkeit führen würde. Gestern Abend unterstrich dies das deutsche Team derart deutlich, dass es sogar beim letzten erkenntnisresistenten Beobachter angekommen sein sollte, wo auch immer dieser sich befinden mag. Zeit für einen weiteren Kommentar und eine Aufforderung, die mittlerweile wohl auch schon bald an den Präsidenten des österreichischen Fußballverbandes zu richten ist.
Am 16. August 2010 erschien hier auf 431verstaerker ausnahmsweise mal ein Beitrag zum Thema Fußball. Anlass waren damals die Besorgnis erregende Tendenz der ÖFB-Teams, ein schwaches Testspiel gegen die Schweiz und der kurz bevorstehende Beginn der EM-Qualifikation. Dem Artikel war eine Umfrage angehängt, in der sich bei knapp 900 Stimmabgaben über neunzig Prozent der Teilnehmer für einen Rücktritt von Dietmar Constantini aussprachen.
Allein, Artikel und Umfrageergebnis repräsentierten damals einen kleinen Teil der Fußballinteressierten in und rund um Österreich, der sich überdies hauptsächlich aus der Online-Leserschaft der Tageszetung „Der Standard“ rekrutierte, während die Medien selbst und insbesondere der Boulevard sowie der staatliche Rundfunk entgegen der deutlichen Zeichen tendenziell hinter Constantini standen, von einigen Zwischenrufen abgesehen. Sieht man sich heute um, so hat sich das grundlegend geändert, schon vor der vernichtenden Niederlage gegen Deutschland gestern Abend, der zum Beispiel in eben diesem „Standard“ zum ersten Mal die seit einem Jahr regelmäßig geforderte Umfrage zur Teamcheffrage folgte.
Der Start in die Qualifikation brachte bei zwei durchwachsenen Leistungen glückliche Siege gegen Aserbaidschan und Kasachstan, die krassen Außenseiter der Gruppe. Das verrückte Auswärtsspiel gegen Belgien war in weiterer Folge getrieben von guten wie schlechten Einzelaktionen, doch nicht von einem modernen Spielsystem nebst entsprechend nuancierter taktischer Ausrichtung – und in diesem Spiel war zum ersten Mal eine interne Revolution erkennbar, nämlich, dass die Spieler mangels Vorgaben das taktische Ruder selbst in die Hand nehmen wollten. So lange dies funktionierte, ließ Constantini sie gewähren, jedoch nicht, ohne den einen oder anderen entlarvenden Sager, wenn er darauf angesprochen wurde.
Als Arnautovic ob seiner bekannten Ecken und Kanten damit in den folgenden Spielen wenig überraschend nicht richtig umgehen konnte, wurde er zum Sündenbock abgestempelt und aus dem Team entfernt. Während der wahre Sündenbock an der Seitenlinie bleiben durfte. Die erste Hälfte des Jahres 2011 nun brachte eine deutlich wahrnehmbare Vermehrung der kritischen Stimmen, denen zuletzt für kurze Zeit gar ÖFB-Präsident Windtner angehörte – nur um dann vor dem Spiel gestern die hochgradig verstörende Aussage zu tätigen, dass selbst ein 0:8 gegen Deutschland nichts an der ordnungsgemäßen Erfüllung des Constantinischen Vertrages ändern würde. Dies wohl in der irrigen Annahme, dass ein 0:8 ohnehin völlig unrealistisch wäre. Nun, viel hat nicht gefehlt. Wenn Windtner nun wirklich nicht reagiert und Constantini spätestens nach dem Spiel gegen die Türkei am kommenden Dienstag vorzeitig von seiner Last befreit, dann wird auch Windtner die kritische Masse seiner Rücktrittsreife überschritten haben, in deren Nähe er sich ohnehin schon häufiger befand.
Und die Spieler? Vor rund einem Jahr hatte Österreich in relativer Betrachtung einen sehr guten Spielerpool mit einer Reihe vielversprechender Jungspieler. Daran hat sich nur insoweit etwas geändert, als dass dieser Pool nun noch stärker ist, weil z.B. Spieler wie Harnik, Fuchs und Alaba in der vergangenen Saison eine sehr starke Entwicklung durchlaufen haben und neue junge Spieler, wie z.B. Royer, hinzu kamen. Es ist völlig ungerechtfertigt, die Spieler in einer Weise verbal zu verprügeln, wie dies gestern in der Einzelkritik durch den ORF geschah. Sieben Spieler in der Startelf von gestern Abend sind in der deutschen Bundesliga tätig. Der „Markt“ ist groß und breit genug, um als deutscher Verein ganz locker auf österreichische Spieler verzichten zu können. Oder anders: Wenn man sich einen „Ösi“ holt, dann hat das spezielle Gründe, die wohl nichts mit Zufall oder Naivität zu tun haben. Wohl eher mit der Qualität der Spieler. Und auch in anderen Ländern sind österreichische Spieler erfolgreich tätig. Die Ausrede der „unzureichenden Qualität des Spielermaterials“ ist somit eine sehr billige Ausrede, die obendrein auch auf einen verwahrlosten Charakter deutet.
Zusammenfassend muss man festhalten, dass sich das Team im letzten Jahr völlig unzureichend weiterentwickelte. Die ab und an aufblitzenden positiven Aspekte waren der persönlichen Weiterentwicklung einzelner Spieler und damit in Zusammenhang stehenden Einzelaktionen geschuldet. Es ist seit mehr als einem Jahr deutlich erkennbar, dass Constantini seiner Aufgabe weder fachlich noch menschlich gewachsen ist. Seit mehr als einem Jahr ist er rücktrittsreif, ohne sich das selbst einzugestehen oder diesen Schritt gar zu tun. Und mittlerweile gesellt sich Windtner ob seiner Tatenlosigkeit und verstörender Aussagen immer mehr dazu.
In diesem Sinne der Aufruf an Constantini: Sehr geehrter Herr Constantini, bitte erklären Sie Ihren Rücktritt!
In diesem Sinne der Aufruf an Windtner: Sehr geehrter Herr Windtner, bitte fordern Sie Herrn Constantini zum Rücktritt auf – bevor die Öffentlichkeit Sie zu Ihrem Rücktritt auffordern wird!
Und im Übrigen gilt traurigerweise praktisch fast unverändert der eingangs erwähnte Kommentar aus dem August 2010, inbesondere in Hinblick auf die Suche nach dem Nachfolger Constantinis.
Anders Balari, 03.09.2011