28. Oktober 2010 in der Thalia-Buchhandlung Große Bleichen: Gernot Gricksch überzeugt uns – persönlich und mit seinem neuesten Werk: “Das Leben ist nichts für Feiglinge”. Dichte Charaktere, Gefühlsachterbahnen und umwerfende Details zeichnen auch dieses Werk von Gricksch wieder aus.
Wir sind beide Gricksch-unerfahren und erwarten daher nichts, als mein Begleiter und ich uns um Viertel nach acht einen schönen Platz zur Lesung von Gernot Grickschs neuestem Werk „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ suchen. In der jüngsten Vergangenheit haben wir sehr merkwürdige, unschöne Erfahrungen bei Lesungen gemacht. Die Autoren waren arrogant, verbittert oder getrieben und zeigten wenig Gefühl. Wir sind jetzt doch gespannt, ob es dieses Mal anders ist. Gernot Gricksch kommt herein, nimmt Platz und gewinnt sofort durch seine natürliche, unaffektierte Art und sein ausgeglichenes, positives Wesen. Arroganz oder Überheblichkeit sind offenbar Fremdworte für ihn.
Gricksch hat eine ausführliche Lesung angekündigt und er hält sein Versprechen und vermittelt so einen guten Überblick über die Handlungsstränge und den Charakter des Buches „Das Leben ist nichts für Feiglinge“. Sofort kehrt Stille ein, als er das Buch aufschlägt. Schon auf den ersten Seiten lernen wir die beiden Hauptfiguren kennen: die 15-jährige Kim, die den grotesk-makabren Tod ihrer Mutter verarbeiten muss und sich dabei hinter Geschichten über kuriose Todesfälle, Unfallstatistiken und skurrilen Selbstmorden sowie einem Gothik-Outfit versteckt und den 40-jährigen Markus, der jetzt die Rolle eines alleinerziehenden Vaters übernehmen muss und damit heillos überfordert zu sein scheint. Trotz tiefer Zuneigung für einander hat jeder den Zugang zum anderen verloren. Zwischen ihnen fehlt die Mutter, die als Bindeglied fungiert hat. Zwei lose Enden einer Halskette ohne den rettenden Verschluss. Vom ersten Moment an sind wir gespannt, wann und wie und ob überhaupt es Markus gelingen wird, Kim aus ihrer Trauer zu lösen und auch selbst wieder ins Leben zurück zu finden.
Kaum haben wir die ergreifenden und melancholischen Töne der Beerdigung hinter uns, da packt uns Gernot Gricksch und zieht mit uns weiter ins zweite Kapitel. Wir lernen die gutherzige, aber resolute Paula kennen, die derzeit als Krankenpflegerin arbeitet, aber eigentlich und aus tiefster Seele Schauspielerin werden möchte. Paula übt wo sie geht und steht und bringt uns dabei so zum Lachen, dass wir einzelne Wortfetzen der Lesung nicht mehr verstehen können. Gernot Gricksch genießt ganz offenbar diese Resonanz und macht unerschrocken und mit herrlichem Ausdruck weiter. Als wir von der Krebserkrankung von Markus Mutter, Gerlinde erfahren, wird schnell klar, dass Paula sicher auch für Gerlinde eine entscheidende Rolle spielen wird.
Der Hamburger Romanautor versteht es wirklich, die Leser auf eine wilde Gefühlsachterbahn zu schicken. So wirft er auch mich einen Moment lang hoch in die Freuden des fast hysterischen Lachens und einen Augenblick später spüre ich einen Kloß im Hals und wische mir verstohlen die Augen, weil mich die Handlung so berührt. Gernot Gricksch zeichnet so phantastisch komplexe und realistische Figuren, dass wir uns nicht wundern würden, Markus, Kim, Paula oder Gerlinde an der nächsten Bushaltestelle zu treffen. Wir erleben Kims erste Liebe und Niederlage und sind gerührt von ihrer Zerbrechlichkeit unter dem Deckmantel der Unberührbarkeit. Wir sind dabei, als Markus endlich sein Herz ausschüttet und von seiner Frau erzählt – wenn auch wildfremden Menschen. Es ist herzergreifend traurig und dabei sind die Umstände so komisch, dass wir schon wieder Tränen lachen. Wie macht Gricksch das bloß? Es bleibt sein Geheimnis.
Mir jedenfalls ist schon während der Lesung klar, dass ich mit Gernot Gricksch einen neuen Lieblingsautoren gefunden habe und das Buch „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ in mein Bücherregal gehört und ich es auch in meine Geschenke-Liste aufnehme. Schließlich kaufe ich es zweimal und Gricksch signiert es mit einem Schmunzeln. Den ganzen Weg nach Hause unterhalten wir uns über diesen gelungenen Abend. Über die wunderbar klaren Charaktere des Buches und über die faszinierende Erzählweise. Inzwischen haben einige andere Bücher Gernot Grickschs den Weg in mein Regal und mein Herz gefunden. „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ wird diese Weihnachten gleich dreimal verschenkt. Mit einem Lächeln denke ich: ‚Hätte ich diese Lesung verpasst, es wären mir viele, viele wunderbare Momente entgangen. Danke für dieses Buch, Gernot, und weiter so.‘
Laila Mahfouz, 17. November 2010
Nachtrag 2017:
Seit Jahre erfreuen wir uns auch an der großartigen Verfilmung des Romans, die ebenso mitreissend, aufwühlend und humorvoll ist. Unter der Regie von André Erkau und nach einem Drehbuch von Gernot Gricksch spielt ein Ensemble, wie es besser nicht zu wünschen war: Wotan Wilke Möhring als Markus Färber, Helen Woigk als Kim Färber, Christine Schorn als Gerlinde Färber, Rosalie Thomass als Paula und wie immer extrem stark Frederick Lau als Alex.
Links:
Mehr zu Gernot Gricksch auf den Seiten des Knaur Verlages finden Sie hier.
Die Website zum Film finden Sie hier.
Richtig Lust auf den Film macht schon der Trailer:
Informationen zu Laila Mahfouz.