„Still in Search“ wussten am 3. September in der Hamburger Markthalle zu überzeugen und haben den OXMOX Hamburg Bandcontest 2010 verdient gewonnen. Insgesamt war es eine stark besetzte 25. Ausgabe dieses Wettbewerbs, der sich jedoch im organisatorischen Bereich auch die eine oder andere kritische Anmerkung gefallen lassen muss.
Vorweg eine Erläuterung: Ich habe mit meiner Band „GREENBOX“ auch selbst am Wettbewerb teilgenommen. Wir haben das Finale erreicht und sind dort auf dem 10. und letzten Platz gelandet. Ist es schon grundsätzlich bedenklich, als teilnehmendes Subjekt über das Teilnahmeobjekt zu schreiben, macht die Tatsache des letzten Finalplatzes dieses Vorhaben scheinbar nur noch bedenklicher. Doch es sei entwarnt: Erstens wegen den Implikationen der Quantenmechanik in Hinblick auf die Untrennbarkeit des beobachtenden Subjektes vom beobachteten Objekt und zweitens wegen der außergewöhnlichen persönlichen Unreife wie auch generellen Unverfrorenheit des Autors und drittens, ja drittens – also, und überhaupt. Oder so ähnlich.
Jetzt aber Schluß mit „Vorweg“ und los mit „Still in Search“. Das erste Mal im Halbfinale (30. Juni, Ballroom Hamburg, Reeperbahn) zu sehen und hören bekommen, nahm ich sie auch im Finale als rundum bereits sehr gut funktionierende Band wahr. Diese Wahrnehmung begann in beiden Fällen bereits vor dem ersten Ton und endete nicht gleich nach dem letzten. Dies will ich nun in weiterer Folge näher erläutern. Zunächst aber ein Kurzfeedback an die Veranstalter: Ein guter Wettbewerb, der aber einige Schwächen aufweist, der jedoch erfreulicherweise mit etwas Nachbesserungsaufwand zu einem hervorragenden Wettbewerb werden könnte. Mehr dazu im Exkurs nach diesem Beitrag.
„Still in Search“: Der Name entstand nach eigenen Angaben, weil beharrlich keine Einigung über einen Bandnamen erzielt werden konnte und die drei jungen Künstler somit weiter und immer weiter suchen und disputieren mussten. So lange, bis sie auf die Idee verfielen, aus der Ergebnislosigkeit dieser Suche Programm zu machen: Eben „Still in Search“. Falls diese gewitzte und intelligente Anekdote – völlig unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt – der drei „Erforscher der rockigen Artenvielfalt“ nun gleich Sympathiepunkte einbrachte, so sei versprochen, dass es sehr wahrscheinlich nicht die letzten waren!
Ballroom Hamburg, 30. Juni, am späten Nachmittag: Mein durch die Aufregung rund um den bevorstehenden Auftritt bereits etwas in Unruhe ruhendes Auge erblickte Clara, Adam und Tim bei ihrer Ankunft – der Augeninhaber dabei damals zugegebenermaßen weder die Namen noch die Musik kennend. Die Wahrnehmungseinheit schrieb sofort „interessant und sympathisch und auch ein wenig oder ein wenig mehr aufgeregt“ in meinen biologischen Großrechner. Das hatte mit Optik zu tun, aber auch mit kollektiver sowie individueller Ausstrahlung, die in überraschendem Maße deutlich mehr Reife transportierte als das Alter nahelegen würde. Von dieser Wirkung kann man sich letztlich nur „in natura“ überzeugen, am Besten bei einem der nächsten Auftritte. An diesem Spätnachmittag bestand sie jedenfalls aus den gleich folgenden Zutaten.
Clara Brauer, Gitarre, manchmal Keys und (fast immer) Leadgesang: Eine frech wie klug aussehende hübsche junge Frau mit kurzen wie mitunter bunten Rastazöpfen, die eine „Flying V“ von Gibson auspackte, was dann in Summe eine sehr bemerkenswerte und vorfreudige Neugier generierende Kombination ergab.
Adam Basedow, Bass, manchmal Keys und (manchmal Lead)Gesang: Ein sehr wach wirkender junger Mann, bohemische Reminiszenz erzeugend, die von Hornbrille und entsprechender Haartracht genährt wurde, begleitet von seiner Bassgitarre und einem raschen Lageeinschätzungsrundumblick, bei mir als verstärkendes Element der Wachwirkung ankommend.
Tim „Versteckt-seinen-Nachnamen-offenbar-und-auch-erfolgreich“, Drums und Gesang: Ein authentisch und somit nicht auf abträgliche Weise cool und leicht entrückt anmutender zweiter junger Mann, der – es sei vorweggenommen – in weiterer Folge bei beiden Auftritten mit einem nicht weniger coolen wie vermutlich auch noch lange nicht bis zu den tatsächlichen Fähigkeiten ausgereizten Schlagzeugspiel begeisterte; „Laid Back“ und dennoch zugleich knackig, tight, agil, dynamisch – und zwischendrin wird dann, vielleicht irgendwo zwischen Ausdruck einer Unterforderung und Demonstration potenziell vorhandener Virtuosität zu deuten, vielleicht auch ganz anders gelagert, spontan auch schon mal und mehrmals in kurzer Zeit die Führungshand gewechselt, was bei jedem Drummer sofort mindestens ein Ausrufezeichen über dem Kopf erzeugen dürfte, vermutlich mehrere.
Ja, so der erste Eindruck. Dann folgten die beiden Performances, einmal im erwähnten Halbfinale und letztlich im Finale, 3. September, Markthalle Hamburg: „Rock and Diversity“ hatten die drei als Genre angegeben. Passend. In Zusammenhang mit ihrer Entwicklung stehend. Und sehr wahrscheinlich nicht das letztendliche Resultat dieser Entwicklung darstellend – denn bereits jetzt zeichnete sich ein deutlich (wieder)erkennbarer Stil ab. Es regierten klare und einfache Strukturen für Drums, Bass und Gitarre – repetitive Elemente wechselten sich auf gelungene Weise mit Überraschungsmomenten ab und fast durchgängig präsentierte sich ein gekonnt changierender „Main Focal Point“ sowie eine trotz oder gerade wegen der Schlichtheit der einzelnen Elemente dem Hörer wiederholt magnetisch zuwinkende und überaus stimmige Gesamtkomplexität. Passender- und naheliegenderweise ergänzten „Still in Search“ ihren Sound in einigen Songs mit Synthetik, wobei es hier gerne mal „fuzzy“ wurde, was selbstredend sehr gut mit verzerrter Gitarre und Rockbass funktionierte. Am Gesang beteiligten sich, wie bereits oben angemerkt, alle drei Jungmusiker, wobei Clara hier meist den Leadgesang übernahm und dies sehr gut machte. Die Bühnenshow wirkte anregend dynamisch und kurzweilig, nicht zuletzt doch auch nicht nur wegen der hochenergetischen und intensiven Performance des Bassisten Adam Basedow. Eindruck hinterließ hier insbesondere auch das mehrmalige kurze „Einfrieren“ von Adam und Tim – hier möge sich jeder „SiS-Neuling“ in seiner Phantasie ausmalen, was auch immer er möchte und sich dann live überraschen lassen. Wer jetzt den Drang verspürt, „Still in Search“ sofort zu hören: Das Internet macht es möglich. Doch ich rate sehr dazu, zunächst diesen Beitrag fertig zu lesen.
Ich persönlich mag es nicht, wenn man Musik vornehmlich über Vergleiche definiert. Und vermeide das soweit es geht. Hier geht es in einer Hinsicht nicht: Die bei mir landende Energie der Bühnenperformances von „Still in Search“ erinnert mich in ihrer Intensität und Ausprägung an die ganz frühe Phase von Nirvana. Ja, richtig gelesen: Nirvana. Das mag selbst oder vor allem jene überraschen, die „Still in Search“ bereits gesehen und gehört haben – denn die aggressiven Exzesse eines Kurt Cobain nebst kaputter Speaker und Gitarren sucht man zum Beispiel vergeblich. Ich gestehe hier und jetzt, dass ich hier und heute nicht in der Lage bin, diese Wahrnehmung zu erklären. Und nehme mir die Frechheit heraus, die Erklärung dafür auf unbestimmte Zeit zu verschieben: So lange, bis die Wahrnehmung vielleicht verschwindet oder sich mir – auf welche Weise auch immer – erschließt. Punktum.
Kurz und gut, „Still in Search“ überzeugten mich vor ihren Auftritten, mit ihren Auftritten und auch nach ihren Auftritten. Letzteres bedarf noch der Aufklärung: Ihre Freude war riesig, sowohl beim ersten Platz im Halbfinale als auch beim ersten Platz im Finale. Tränen des Glücks. Große Gefühle. Und im selben Maße Freundlichkeit und uneingeschränkt sympathisches Verhalten: Vor und nach der Ergebnisverkündung. Auf und hinter der Bühne. Im Halbfinale und im Finale. Und zu meiner eigenen respektverstärkenden Freude wie auch Überraschung. „Überraschung“ nicht, weil die drei vorher unsymapthisch gewirkt hätten. Sondern vielmehr, weil da stets diese authentische und bereits sehr reife Grundausstrahlung vorhanden war. Etwas, was man nicht steuern kann. Etwas, das Menschen anzieht. Etwas, das überzeugt. Etwas, das insgesamt auf beiden Seiten des Populärmusikäquators funktionieren kann, nämlich sowohl im Mainstream als auch abseits davon – und das wäre dann eine weitere Parallele zu Nirvana.
Ich bin sehr gespannt auf die weitere Entwicklung von „Still in Search“, die ich in regelmäßigen Abständen verfolgen werde. Für alle Interessierten kommt nun gleich der Zeitpunkt, an dem ich ein erste Kostprobe über das Internet empfehlen werde, doch davor kommt noch der Grund, warum ich weiter oben davon abgeraten habe, dies verfrüht zu tun: Die im Internet verfügbaren Hörproben einschließlich der im Frühsommer 2010 erschienenen ersten EP werden der Live-Performance von „Still in Search“ leider nicht gerecht. Die von der Bühne auf das Publikum wirkende hohe Energie und Anziehung fehlen, die Darbietungen wirken distanziert und steril, bilden keine Einheit. Hier könnten nun viele Vermutungen darüber folgen, warum das so ist, doch entscheidend ist letztlich, dass ich auf Basis der von mir erlebten Auftritte eines mit Sicherheit behaupten kann: Es liegt weder an den Songs noch an der Band selbst, sondern ist produktionsbedingt. Daher meine Empfehlung, sich davon nicht irreleiten zu lassen, sondern bei grundsätzlicher Genreaffinität einfach ein Konzert von „Still in Search“ zu besuchen. Und jetzt kommt er, der angekündigte Zeitpunkt: Reinhören!
Anders Balari, 1. Oktober 2010
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EXKURS: FEEDBACK AN DIE VERANSTALTER
Eins: „Feedback“ ist dabei gleich ein Schlagwort, das es aufzugreifen gilt. Offizielles Feedback seitens der Jury in drei erlebten Live-Runden: Leermeldung. Und das nicht, weil es vergessen wurde, sondern weil es nicht vorgesehen war. Wie ist das nun zu würdigen? Es ist ein Newcomerbandwettbewerb, einer der größeren dieser Sorte in Hamburg. Während die „alten Säcke“ unter den Teilnehmern im engeren Sinne eben mehr als „Newcomer“ denn als „Nachwuchs“ anzusehen sind sowie auch vom Leben mit sicherlich schon – in Hinblick auf die Selbstreflexionsfähigkeit und die Selbst(er)kenntnis – hinreichend Backpfeifen und Küssen und Ignoranzbezeugungen bedacht wurden, spielt in der Entwicklung der Nachwuchsbands Feedback eine ungleich wichtigere Rolle. Und es ist daher auch eine Aufgabe von Wettbewerben wie diesem, für professionelles Feedback zu sorgen – zumal dann, wenn es eine Teilnahmegebühr in Höhe von EUR 40,– gibt und schon der Wettbewerbsmodus für gut besuchte Konzerte mit entsprechend positiven Auswirkungen auf die Laune der Locationbetreiber und somit auf die Finanzierbarkeit des Wettbewerbs insgesamt sorgt. Ein Zehner mehr pro Band und bei laut Angaben von OXMOX weit über 100 teilnehmenden Bands ist professionelles Feedback finanzierbar – diese Aussage lasse ich mit gelassener Über-den-Daumen-Peilung einfach mal so in Richtung OXMOX los.
Zwei: Fünf Minuten Umbauzeit ist wohl sehr aussichtsreich auf einen Eintrag im Buch der Rekorde. Da dies aber vermutlich nicht die Intention war und sowohl im Sinne der Bands als auch in jenem des Publikums möglichst gute Darbietungen wünschenswert sind und obendrein auch noch faire Wettbewerbsbedingungen herrschen sollten, könnte es durchaus sinnvoll sein, diese Strategie nochmals zu überdenken. Bands wie „Körrie Kantner & His Not So Bigband“ oder auch „Jazzica Nabis“ fanden angesichts ihrer breiten Besetzung in Hinblick auf den Sound in allen Runden herausfordernde Situationen vor, die – von ihnen unverschuldet – nicht immer gemeistert werden konnten und somit wettbewerbsverzerrend wirkten. Doch nicht nur das: Ganz allgemein ist ein „Linecheck“ eben kein „Soundcheck“ und sind die Anforderungen an einen möglichst passenden Sound naturgemäß oder im Falle des Gesangs auch biologisch bedingt heterogen. Gedeih und Verderb resultieren dann aus gekonnten Nachjustierungen während der mit 20 Minuten ohnehin schon sehr kurzen Performance – wenn diese Nachbesserungen überhaupt vorgenommen werden, was uns zum nächsten Punkt führt.
Drei: In den drei Liverunden hatte es in der „großen Markthalle“ nominell die beste Technik und Akustik. Den besten Sound bekam man erstaunlicherweise aber im „kleinen Silber“ zu hören. Um Missverständnissen vorzubeugen: Das lag nicht etwa daran, dass der Sound im Silber so herausragend war – denn in Anbetracht der örtlichen Gegebenheiten könnte er das gar nicht sein und unter eben diesen Umständen war er so gut wie nur möglich. Ganz im Gegensatz zur „Markthalle“, was es dann umso bedauernswerter macht, dass quer durch alle Finalteilnehmer und alle individuellen audiophilen Geschmacksausprägungen der Finalsound ein handfester Terroranschlag auf sämtliche anwesenden Gehörgänge war – na ja, auf fast sämtliche, denn dem zuständigen Tonverantwortlichen schien es nicht aufzufallen. Oder es war ihm einfach völlig Wurst, was dann schon eher mit seiner Körpersprache korrespondierte sowie auch mit dem konsequenten Ignorieren von gezielten Aufforderungen zu Nachjustierungen. Doch, fair enough, darauf haben die Veranstalter des Wettbewerbs höchstens bei der nächsten Auflage durch Wahl eines anderen Technikers oder nötigenfalls einer anderen Location Einfluss.
Vier: Der Veranstalter ist OXMOX Hamburg. Füglicherweise handelt es sich dabei um eine einschlägige Zeitschrift. Denn dieser Umstand schafft in Hinblick auf PR-Arbeit Möglichkeiten, von denen andere Contestveranstalter schlimmstenfalls nur träumen können. Umso überraschender, dass diese Möglichkeiten gar nicht bis wenig genutzt wurden und die Berichterstattung sowohl online als auch in den monatlichen Ausgaben der Zeitschrift in Hinblick auf ihre potenzielle Wirkung nur unwesentlich anders war als kommentarlose Kalendereinträge. Mehr und vor allem geschicktere redaktionelle Arbeit wären wünschens- und empfehlenswert. Etwas – mit in Richtung positiv aufrüttelnder Wirkung gezielten Absichten – provokativ formuliert: Tendenziell fand die Berichterstattung vermutlich lediglich bei den Bands selbst sowie im engsten Fankreis Beachtung, worauf auch insbesondere das Fernbleiben von nicht mit Teilnehmern in irgendeiner Form verbandelten Konzertbesuchern hindeutet – zugegeben eine von mir selbst nicht abschließend überprüfbare Aussage auf Basis meiner eigenen Wahrnehmungen: Vor allem und traurigerweise eben im Finale würde ein Vergleich des Resultats einer einfachen Addition der von den Bands selbst erworbenen Tickets mit der Gesamtanzahl der Besucher diese These vermutlich stützen. Und nach Besuch der Webpages der Finalteilnehmer kann man mit gutem Wissen und Gewissen behaupten, dass das Ausbleiben von „Fremden“ sicher nicht an der Qualität der Kontestierenden lag.
Fünf: Mutmaßungen jeglicher Art sind Mutmaßungen. Auch dann, wenn sie sich aufdrängen. Tatsachen jeglicher Art sind Tatsachen, egal ob sie sich aufdrängen oder nicht. Es ist eine Tatsache, dass in allen drei Runden die Wertung zu fünfzig Prozent von der Jury vorgenommen wurde. Es ist eine Tatsache, dass sowohl an den von mir persönlich besuchten Vorrundenabenden als auch an beiden Halbfinalabenden mehr oder weniger große Teile der Jury mehr oder weniger lange Zeit wo auch immer waren: Nur nicht in Seh- und Hörweite der gerade auftretenden Bands. Explizit merke ich zur Vermeidung unterschiedlicher Beigeschmäcke an, dass meine Band „GREENBOX“ davon glücklicherweise wohl NICHT betroffen war. Ein Beigeschmack bleibt aber, nämlich der, dass das bei Bands und Publikum gleichermaßen einen sehr befremdlichen Eindruck erzeugte und gegenüber den teilnehmenden Bands nicht fair ist.
Fazit: Abschließend eine relativierende Zusammenfassung. Es ist großartig und löblich, dass OXMOX Hamburg diesen Wettbewerb veranstaltet und Newcomerbands ohne Orts- oder Altersbeschränkung die Möglichkeit bietet, sich auf diese Weise zu präsentieren und bei Erfolg auch mit durchaus attraktiven Preisen bedacht zu werden. Und nur einige kleine Anpassungen würden aus diesem guten Contest einen herausragenden Contest werden lassen – und vielleicht dazu führen, dass auch deutlich mehr „fremdes Publikum“ bei den einzelnen Events anzutreffen ist, d.h. jenseits der jeweils bestehenden Fanbase und mobilisierten Verwandtschaft.