Charles Foster hat für sein Sachbuch »Der Geschmack von Laub und Erde – Wie ich versuchte, als Tier zu leben« einen ungewöhnlichen Ansatz gewählt, nämlich so wie die Tiere zu leben, um sie besser zu verstehen. Der Oxford-Professor hat sich als Versuchsobjekte für einen Dachs, einen Fischotter, einen Fuchs, einen Rothirsch und einen Mauersegler entschieden. Ob dieses Experiment gelungen ist, müssen Sie nach der Lektüre selbst entscheiden. Bemerkenswert ist das Buch allemal.
Handlung (Verlagstext):Was fühlt ein Tier, wie lebt es und wie nimmt es seine Umwelt wahr? Um das herauszufinden, tritt Charles Foster ein faszinierendes Experiment an. Er schlüpft in die Rolle von fünf verschiedenen Tierarten: Dachs, Otter, Fuchs, Rothirsch und Mauersegler. Er haust in einem Bau unter der Erde, schnappt mit den Zähnen nach Fischen in einem Fluss und durchstöbert Mülltonnen auf der Suche nach Nahrung. Er schärft seine Sinne, wird zum nachtaktiven Lebewesen, beschreibt wie ein Weinkenner die unterschiedlichen »Terroirs« von Würmern und wie sich der Duft der Erde in den verschiedenen Jahreszeiten verändert. In die scharfsinnige und witzige Schilderung seiner skurrilen Erfahrungen lässt er wissenswerte Fakten einfließen und stellt sie in den Kontext philosophischer Themen. Letztendlich geht es dabei auch um die eine Frage: Was es bedeutet, Mensch zu sein.
Aufgeteilt ist Charles Fosters Buch in eine Vorbemerkung, die erklärt, warum er das Buch schreiben musste, ein erstes Kapitel »Zum Tier werden«, das beschreibt, wie er bei diesem Projekt vorging, fünf Kapitel über die einzelnen Tiere, in deren Haut er zu schlüpfen versucht sowie einen Epilog. Die Recherche gliedert sich in die vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft, wobei das Element Erde, als unser eigenes zweimal vorkommt: Erde I – Dachs, Wasser – Fischotter, Feuer – Rotfuchs, Erde II – Rothirsch, Luft – Mauersegler.
So lernen die Leser zum Beispiel, dass Dachse viel träumen und sich gern in Wassernähe aufhalten, weil dort eine ihrer Lieblingsspeisen wächst, nämlich der Holunder. Auch verführt der Text zu einem nächtlichen Bad in einem Fluss im Sommer und das natürlich nackt. Das beschriebene Otter-Erlebnis klingt zu verheißungsvoll, um es nicht auch selbst einmal auszuprobieren. Zumeist beschreibt Charles Foster seine monatelangen Versuche, einem Tier nahe zu sein, in dem er es genauestens nachahmt. Dass sich auch unsere verkümmerten Sinne wieder schärfen lassen, wenn wir uns mehr in der Natur aufhalten, ist erwiesen. Das Buch öffnet in vieler Hinsicht die Augen und lädt dazu ein, genauer hinzuschauen, -hören, -schnuppern, -tasten und -fühlen.
Lernen Sie altes Liedgut, essen Sie Lebensmittel aus Ihrer Umgebung. Setzen Sie sich in die Ecke eines Feldes, und lauschen Sie. Stopfen Sie sich Ohrstöpsel in die Ohren, schließen Sie die Augen, und schnuppern Sie. […] Sagen Sie wie der heilige Franziskus: »Hallo, Bruder Ochse«, und tun Sie es aus Überzeugung.
Die evolutionäre Biologie ist eine numinose Aussage darüber, wie die Dinge miteinander vernetzt sind – eine Art wissenschaftliches Advaita: Fühle und erkenne es zugleich. Fühle es, um es wirklich zu erkennen. […]
Einen verständlicheren Austausch mit den pelzigen, gefiederten, schuppigen, brüllenden, im Sturzflug herabstoßenden, kreischenden, schwebenden, grunzenden, malmenden, hechelnden, flatternden, furzenden, Beute reißenden, watschelnden, Gelenke auskugelnden, hoppelnden, Fleisch zerfetzenden, galoppierenden, springenden und herumtollenden Haufen Land zu führen, die wir als Tiere bezeichnen, ist ein guter Weg dafür.
Zum Tier werden / Seite 39
Begonnen mit dem Dachs ist die erste Hürde der Geruchssinn, der für das dämmerungsaktive Tier unentbehrlich ist und bei uns eher verkümmert scheint. Doch Charles Foster erfährt rasch, wie lern- und anpassungsfähig der Mensch ist. Nicht nur, dass er irgendwann tatsächlich »Geschmack am Leben im Untergrund« in Form einer Erdhöhle findet, deren Wände jederzeit vor Kleinsttierleben wimmeln. Auch versucht er, so lange seine Nase zu trainieren, bis er Adjektive für die Gerüche aller Tiere und Pflanzen findet, die seine Nase, mit der er nach Dachsart am Waldboden schnuppert, entdeckt. So stellt er dann auch fest, dass Regenwürmer je nach Lebensraum sehr unterschiedlich schmecken. Immerhin lebte er mehrere Wochen lang in einer selbstgebauten Höhle, die er und sein Sohn Tom auch mal erweiterten, wie es Dachse eben so machen.
Dachse liebt Charles Foster auf besondere Art, aber bei Ottern ist sein Gefühl eher ambivalent. Fischotter müssen aufgrund ihres Stoffwechsels (»Ihr Grundumsatz liegt um vierzig Prozent höher als bei anderen Tieren vergleichbarer Größe«) in ihren wachen Stunden ständig Nahrung zu sich nehmen und da wir einen Großteil ihrer Fischnahrung inzwischen ausgerottet (selbst verspeist) oder durch Pestizide dezimiert haben, sind sie weitaus aggressiver als allgemein angenommen. Einen dreiseitigen Otterkalender hat Charles Foster hier eingefügt. Dieser gibt Auskunft über die Nahrungsoptionen des Otters in den verschiedenen Jahreszeiten.
Charles Foster bekennt, ehemals ein leidenschaftlicher Jäger gewesen zu sein. Auch war das Ausstopfen von Tieren seit seiner Kindheit ein Hobby des Briten. Zum Glück ist der Mensch lernfähig. Im Kapitel über Hirsche beschreibt Charles Foster nicht nur den Ablauf einer Jagd inkl. dem Revier- und Machogehabe der Jäger. Er umreißt auch seinen Bildungsweg, der ihn dazu erzog, ein Geschöpf ohne Mitgefühl und Erbarmen zu sein und sich zu nehmen, was es wollte. Leider bezeichnet er dieses Verhalten als Wolf-Sein. Dabei ist es doch eher typisch für den Homo sapiens sapiens, der es geschafft hat, die ganze Welt zu unterjochen. Erst die Politik änderte Fosters Denken bezüglich der Jagd. Nur durch den Gedanken, dass er sich in der menschlichen Gesellschaft auf dem Niveau eines Hirsches befindet und sich daher lieber den Linken anschließen sollte, ließ ihn auch die Flinte in die Ecke stellen. Foster hegt allerdings die irrige Überzeugung, dass er zukünftig lieber früher aufstehen und nachts herumwandern sollte. Früh am Morgen ist die Welt überall spannend und es ist mehr zu entdecken als mitten am Tag, aber unerwähnt bleibt dabei, dass Hirsche nur deshalb nachts unterwegs sind, weil sie wissen, dass tagsüber die Gefahr besteht, von uns erschossen zu werden. Bei Tieren, die nie bejagt wurden, ist dies deutlich zu beobachten, denn sie sind tagaktiv und schlafen nachts. Das eigentliche Tierverhalten beschreibt Foster wenig. Meistens beschreibt er eher, wie er sich gefühlt hat, als er versuchte ein Tier zu sein und zu welchen Tieren er sich hingezogen oder abgestoßen fühlt.
Die biologische Fachwelt redet nicht gern von tierischen »Emotionen«. Lässt man das Wort fallen, wird ringsum scharf die Luft über den eloquenten akademischen Zungen eingesogen, gefolgt von einer La-Ola-Welle hochgezogener Augenbrauen und dem Tausch mitleidiger Blicke, mit denen man sich gegenseitig versichert, dass diese unbedarfte Person nicht zum Klub gehört. […]
Es gab einmal einen Biologen, der diese Abneigung nicht teilte. Er war ein guter Naturforscher, ein wohlwollender, unsentimentaler Beobachter, dem an der Universität nicht der darwinistische Reduktionismus eingebläut worden war. Er hieß Charles Darwin und schrieb ein vortreffliches und nahezu unbekanntes Buch mit dem Titel »Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren«. […] Und er fand es keineswegs überflüssig, weitere Untersuchungen über die wahren Gefühlsregungen von Tieren anzustellen. Denn das passiert, wenn man sich als Biologe in die knurrende, ächzende und tirilierende Welt mit ihren Schmerzen und Freuden wagt, anstatt sich hinter Paradigmen zu verschanzen. […]
Es wäre über alle Maßen merkwürdig, wenn die natürliche Selektion nur uns allein zu emotionalen Reaktionen auf die Gegebenheiten unserer Welt befähigt hätte.
Erde I – Dachs / Seite 56 – 58
Obwohl es an der hier zitierten Stelle nicht den Anschein machen soll, so scheint Charles Fosters Angst vor der Nichtanerkennung seiner Recherchen in wissenschaftlichen Kreisen so weit zu gehen, dass er immer wieder darauf hinweisen muss, dass er die Tiere natürlich auf keinen Fall vermenschlicht und sie klar von uns trennt. Wer sich allerdings im Geiste immer nur an bestehende Regeln hält, wird nie etwas bahnbrechend Neues herausfinden. Wenn unsere Gesellschaft darüber höhnt, dass Tiere eben nun einmal eine Stufe unter uns anzusehen sind, dann würde ein wahrer Forscher sich eben gerade davon nicht abschrecken lassen, seine eigenen Schlüsse aus dem Erlebten ziehen und einmal mit allen Konventionen brechen.
»Herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht«, lautete der verheißungsvolle göttliche Auftrag. Betrachtet man die Formulierung für sich allein, wie es oft getan wird, ist das ein verhängnisvoller Satz. Dann führt der Weg von Genesis I direkt in die Vorstandsetage von Monsanto. Unterwegs gönnt man sich Sightseeingpicknicks bei der weltweiten Ausrottung der Herdentiere, bei ein paar ausgewählten Trockengebieten, in denen Gurken in Nitratpulver gezogen werden, bei der Havarie der Torrey Canyon, bei Massentierhaltungsbetrieben, am Rand eines abschmelzenden Gletschers und an vielen anderen erbaulichen Destinationen. Und wenn man schon dabei ist, sollte man keinesfalls den Jagdsport auf Ureinwohner verpassen, der allerorten betrieben wird, weil diese ja nicht nach Gottes Ebenbild geschaffen sind, nicht wahr?
Erde I – Dachs / Seite 63 + 64
Trotz des hier sehr löblichen Versuchs, sich nicht wie Menschen zu verhalten, die Foster in diesem Zitat beschreibt, ist Charles Foster offenbar leider von dem männlichen Bedürfnis getrieben, alles beherrschen zu wollen. Wenn es ihm nicht hundertprozentig gelingt, wie ein Dachs zu leben, fühlt er sich als Versager, obwohl es ja rein (bio-)logisch schon nicht möglich ist. Es macht ihn geradezu wütend, dass Fischotter sich wie Katzen (seiner Ansicht nach) einer wechselseitigen Beziehung entziehen und ihm immer einen Schritt voraus sind. Was daran schlimm sein soll, ist mir unbegreiflich und dass dieser Zustand gleich als hassenswert einzuschätzen ist, erstaunt mich zutiefst. Wie ein Naturforscher überhaupt eine Tierart hassen kann, entzieht sich auch gänzlich meinem Verständnis. Auch muss ich anmerken, dass Foster wohl nie das Glück hatte, eine innige Beziehung zu einer Katze aufzubauen. Er wüsste sonst, dass sie sehr wohl zu einer solchen in der Lage sind – auch oder gerade mit uns Menschen, wie ich aus vierzigjähriger Katzenerfahrung weiß.
Charles Foster hat eindeutig ein Ego-Problem: So sehr ihn Tiere faszinieren, so enttäuscht, wütend und in seiner männlichen Eitelkeit gekränkt ist er, wenn die Tiere eine Fähigkeit haben, die er beim besten Willen und auch mit eiserner Disziplin nicht nachahmen kann. Auch sein regelrechter Hass auf Katzen zeigt dies deutlich: Hier ist eine der erfolgreichsten Spezies der Welt, die es schafft, sich überall in Windeseile auszubreiten und dabei auch noch immer elegant auszusehen und auf – für unsere Wahrnehmung – unerklärliche Weise aufzutauchen und zu verschwinden. Sie sind nicht zu kontrollieren und bleiben immer rätselhaft – gerade das macht sie faszinierend und stößt den Kontroll-Freak Foster offenbar so ab. Sollte es spezien-übergreifende Reinkarnation geben, dann wünsche ich Charles Foster sehr wohlmeinend und von Herzen, in seinem nächsten Leben eine Katze zu werden. Erst dann wird er begreifen, dass es sich bei ihnen um eine der spektakulärsten Spezies im Tierreich handelt.
Und auch den Winter hasst Foster. Das Land erscheint ihm als tot und das nimmt er dem Land übel. Wie er schreibt, verbringt er den Winter mit einem Glas Cider und einem Buch am Kamin (Für mich eine äußerst einladende Vorstellung!) und wird fett, kalt und verbittert. Das kann ihm die Natur nicht beigebracht haben… Seine typisch menschliche Ungeduld ist zwar nachvollziehbar, aber vollkommen übertrieben. Natürlich machen menschliche Schwächen einen Autor eher sympathisch und authentisch, aber nicht einmal zu versuchen, dem Winter mit Gleichmut zu begegnen, sich auf den Frühling zu freuen, die Schönheit in der Schlichtheit des Winters zu sehen oder Freude über die Weisheit des Kraftsparens riesiger Bäume zu empfinden, verstehe ich nicht. Die Vögel, die den Winter in unseren Breiten verbringen, erinnern Foster an »Maden, die sich am Kadaver des Jahres laben« (Seite 131). Solche zynische Betrachtung der Natur hätte ich nicht erwartet. Wie er selbst schreibt, ist er ein unzulänglicher Autor eines unzulänglichen Buchs (Seite 132) und ich kann ihm nicht widersprechen.
Hörbuch: Der Audio Verlag brachte ebenfalls im Januar 2017 die Hörbuchausgabe von »Der Geschmack von Laub und Erde – Wie ich versuchte, als Tier zu leben« (ISBN: 978-3742400437) leider in gekürzter Form heraus. Sie finden das Hörbuch (5 CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 5 Stunden und 56 Minuten) samt Hörprobe hier oder mit Klick aufs Bild.
Das Hörbuch ist – obgleich sehr gut von Wanja Mues gelesen – absolut unbrauchbar. Die Kürzungen hat vielleicht ein Akademiker der von Foster beschriebenen reduktionistischen Art vorgenommen, der seinem Unmut über die Beobachtungen oder philosophischen Anmerkungen des Autors dadurch zum Ausdruck brachte, dass er oft ganze Passagen oder auch mal fünf Seiten am Stück strich.
Bei einer Aufzählung von Gründen im Kapitel über Mauersegler werden einzelne Punkte einfach unterschlagen und die Nummerierung entsprechend geändert, so dass der Hörer nicht einmal merken kann, dass er hier um ganze 8 Punkte betrogen wird.
Am Ende des Dachs-Kapitels fehlen im Hörbuch wieder drei Buchseiten und damit die gesamte Erfahrung des Daches im Winter sowie die Hälfte der Erfahrung Charles Fosters, als er aus dem Sommerwald zurückkehrte – ebenso natürlich der oben zitierte Absatz über Darwin und die besagten Akademiker der reduktionistischen Art.
Auf Seite 75 wird alles ins Hörbuch übernommen außer dem Satz über synästhetische Menschen, die beispielsweise Gerüche als Farben wahrnehmen. Was soll so eine Selektion? Sollte der Hörer hier nicht so beansprucht werden oder hat der Kürzer / die Kürzerin selbst hier nur gezeigt, woran er / sie glaubt und woran nicht?
Auf den Seiten 77 und 78 geht es um die Möglichkeit der Umprogrammierung der DNA, so dass zum Beispiel Dachse Musik erkennen können – natürlich im Hörbuch auch gestrichen! Diese Liste könnte ich noch lange fortführen.
Wurde extra darauf geachtet, dass ja keine Erkenntnisse der neuesten Forschung an die Hörer weitergegeben werden? Jede Kürzung eines Roman-Hörbuches ist in meinen Augen eine Unbegreiflichkeit, beschneidet sie doch die Kunst des Autors, aber ein Sachbuch auf diese Weise all seiner philosophischen Betrachtungen und aller Schlüsse, die der Autor aus seinen Recherchen zieht, zu beschneiden, ist eine riesengroße Schande! So kann ich leider nur empfehlen: FINGER WEG von diesem Hörbuch! Kaufen Sie das Buch des Malik Verlages, aber nicht dieses verstümmelte Hörbuch!
Wenn sich jemand auf seiner Website als Reisender bezeichnet, so wie ich, kann man davon ausgehen, dass der Betreffende vor irgendetwas davonläuft, und man sollte ihn fragen, wovor. In meinem Fall werde ich es aber nicht verraten. […]
Wenn ich in die Hütte zurückgekehrt war, ging ich verzweifelt und angewidert meine Notizen durch. Sie verrieten mir nichts über die Welt des Rotwilds, doch zu viel über mich selbst, wovor ich davonzulaufen versuchte. Ich steckte tief in den kränklichen Sümpfen vermenschlichender Schrulligkeiten und sank rasch immer tiefer.
Erde II – Rothirsch / Seite 233 + 235
Mehr noch als über die entsprechenden Tiere lässt sich aus der Lektüre des Buches etwas über die Psyche von Charles Foster erfahren. Wie er selbst zugibt, ist er von vielerlei Neurosen, Persönlichkeits- oder Zwangsstörungen geradezu getrieben (Seite 211 + 212 + 255). Dazu würde ich ihm mit meinem Laienwissen einen nicht geringen Minderwertigkeitskomplex und leider sogar Selbsthass zuschreiben. Ständig vergleicht und verurteilt er sich, schneidet im Wettkampf mit den Tieren schlechter ab und verabscheut sich dafür. Lange Fußnägel ersetzen eben keine Hufe (auch wenn er dies für sein Hirsch-Kapitel ausprobieren musste) und es ist weder sinnvoll noch einsichtig, den Fangsprung eines Fuchses nachzuahmen. Foster allerdings musste hier über hundertmal springen und scheitern, um das zu begreifen. Vieles, was mit dem Verstand hätte im Vorwege ausgeschlossen werden können, muss er dennoch auf exzessive Weise probieren. Mit seinem Essen umzugehen, als wäre man ein Wiederkäuer, obwohl man sich bewusst darüber ist, nicht über mehrere Mägen zu verfügen, ist schon grotesk. Im Grunde macht er mit jeder Tierart so lange weiter, bis er sein Scheitern eingestehen muss und wieder in eine Art Selbsthass und Depression fällt. Ein beglückendes Ergebnis ist dies weder für ihn selbst noch für den Leser. Erst beim Mauersegler ist er sich der Unmöglichkeit seines Unterfangens bewusst und kann milder reagieren.
Seine arme Frau Mary musste wirklich viel ertragen, denn er führte diese Experimente monatelang durch und teilweise mit den sechs Kindern, die zusehends verwilderten. Leidgeprüft nennt Charles Foster seine Frau daher in der Danksagung.
Hoch anzurechnen ist dem Briten allerdings, wie offen er mit all seinen Unzulänglichkeiten umgeht. Auch seine Akribie und sein Durchhaltevermögen sind beachtlich, auch wenn sie teilweise einer Art verbissenem Trotz entsprungen scheinen.
Ob es an der Übersetzung und einem anderen Verständnis von Worten liegen mag, weiß ich nicht, aber wenn Charles Foster auf Seite 218 Pflanzenfressern zwar eine »emotionale Komponente« nicht, aber mit aller Entschiedenheit Mitgefühl abspricht, dann mutet es doch sehr verwunderlich an, dass er zu ihnen neben Kühen, Schafen und Pferden auch Schweine zählt. Ohne sich eine Art Schwarm- oder Herdenverhalten von Herdentieren bewusst zu machen, was so manches Verhalten erklären und sogar als gesund und lebenserhaltend ausweisen könnte, wird schon im nächsten Satz das Erstaunen darüber, dass bei Ratten und anderen Tieren Mitgefühl nachgewiesen wurde, kundgetan. Obwohl Schweine und Ratten, eindeutige Allesfresser, mit Pflanzenfressern in einen Topf geworfen werden, ist es immer falsch, etwas zu behaupten, das nicht bewiesen werden kann. Foster räumt ein, dass unsere Gehirnforschung zum Beispiel noch nicht erklären kann, wo und wie genau die Erinnerungen gespeichert werden, aber er geht automatisch davon aus, dass das Schreien eines Mauerseglers sinnfrei ist, da noch kein Mensch den Sinn erkannt hat. Sinnfrei ist also alles, was wir nicht verstehen. Ein sehr einfaches Weltbild, das Herr Foster nicht in der Lage ist, für dieses Buch und seine jahrelangen Recherchen abzustreifen.
Ob und wie ein Lektorat der Originalausgabe stattgefunden hat, vermag ich nicht zu sagen. Viele Stellen hätten einer Überarbeitung bedurft, andere wiederum empfinde ich als erfreulich mutig. Andere sind leider einfach nur falsch: Wenn Charles Foster sich zum Beispiel fragt, warum jemand in einen Floating Tank steigt, obwohl er die gleiche Erfahrung doch auch in einem Fluss hätte machen können, dann erstaunt mich das doch sehr. Offenbar hat er das Prinzip von einer Zeit ohne jede Sinnesreize wohl mit möglichst viele Reize auf einmal verwechselt. So etwas sollte weder ihm noch einem erfahrenen Lektor passieren.
Fazit: Ganz zweifellos ist »Der Geschmack von Laub und Erde – Wie ich versuchte, als Tier zu leben« ein absolut bemerkenswertes Buch und eines der ungewöhnlichsten seiner Art. 2016 stand es auf der Longlist des Baillie Gifford Preises. Es ist das Buch eines kompromisslosen Entdeckers. Ich hatte wohl erwartet, dass Charles Foster offen für die Wunder und Geheimnisse wäre, die das Leben und die Natur bergen, doch er hasst Geheimnisse, wenn er nicht in der Lage ist, sie zu lüften. Da dies natürlich nicht immer gelingen kann, ist er entsprechend unzufrieden, mitunter sogar depressiv. Leider tanzt das wahre Wunder unentdeckt neben ihm her, während Charles Foster mit der Nase am Boden schnüffelt.
Meiner Meinung nach sind wir körperlich und geistig nicht in der Lage, irgendein Tier – außer vielleicht mit einigen Einschränkungen Menschenaffen – zu imitieren. Unsere Körper sind weder dafür geschaffen, so geschmeidig wie eine Katze oder ein Fuchs durch die Welt zu gehen und zu springen, noch dazu wie ein Mauersegler zu fliegen oder die Nahrung eines Hirsches zu verdauen. Auch ist es nicht möglich, in wachem Zustand unseren Geist, unsere Gedanken zum Schweigen zu bringen. Wie also sollen wir dann wissen, wie sich ein Dachs fühlt, was er sich kurz vor dem Gewitter denkt oder kurz vor dem Winter? Die einzige Möglichkeit, wirklich aus den Augen eines Tieres zu sehen und in seinen Schuhen zu gehen, liegt meiner Ansicht nach darin, durch Schamanismus diesen Zugang zu schaffen. Das ist schon vielen Menschen gelungen. Auch Charles Foster versuchte sich an dieser Erfahrung, wie im letzten Kapitel geschildert wird. Leider erfolglos. Wie er meint, ist es nötig, sich in der Erde dreckig zu machen, in der Luft zu frieren und Ängste durchzustehen, sich vom Feuer versengen und im Wasser seekrank machen zu lassen, um den Tieren so nah zu sein. Diese Ansicht teile ich nicht. Lange Fußnägel vermitteln eben keineswegs ein Gefühl für Hufe. Die Wahrheit darüber, warum sein schamanisches Erlebnis nicht von Erfolg gekrönt war, erklärt er dann auch im Epilog: Vor dem Pfad des Schamanen hatte er einfach zu viel Angst. Da zeigt sich schon, dass er die Kontrolle, über das, was passiert, nie loslassen kann und solange dies der Fall ist, nicht in der Lage sein wird, wirklich in andere Wesen sondern nur auf sie zu schauen. Unseren Anthropozentrismus können wir nicht in Gänze ablegen, so lange wir bewusst mit unserem Geist in unserem Körper stecken. Diese Grenze ließe sich meiner Meinung nach nur durch solch ein schamanisches Erlebnis überwinden.
Selten habe ich ein so ambitioniertes Sachbuch gelesen und selten eines mit so merkwürdigen Motivationen: Entgegen meiner Hoffnung, dass es darum geht zu verstehen, wie das Leben der Tiere sich für diese Tiere anfühlen könnte, scheint es nur darum zu gehen, sie in allem kopieren zu können – wie zum Beweis, dass der Mensch als Überwesen zu allem in der Lage ist. Als Gegenbeweis dafür erachte ich dieses Buch allerdings als wichtig und richtig und empfehlenswert.
Charles Fosters Sachbuch »Der Geschmack von Laub und Erde – Wie ich versuchte, als Tier zu leben« (Originaltitel »Being a Beast«) ist im Januar 2017 für EUR 20,00 in der Übersetzung von Gerlinde Schermer-Rauwolf und Robert A. Weiß im Piper Verlag erschienen – gebunden, 288 Seiten, ISBN 978-3890292625.
Eine Leseprobe finden Sie hier.
Über den Autor: Charles Foster ist ausgebildeter Tierarzt und Anwalt, unterrichtet Ethik und Rechtsmedizin in Oxford. Er ist Fellow der Royal Geographical Society sowie der Linnean Society, ist auf Skiern zum Nordpol vorgestoßen und hat am Marathon de Sable teilgenommen. Er hat Bücher zu diversen Reise- und Wissenschaftsthemen publiziert; dies ist das erste, das auch auf Deutsch erscheint.
Laila Mahfouz, 15. Mai 2018
Links:
In Sternstunde Philosophie erzählt Charles Foster davon, wie er erst Tier werden musste, um ganz Mensch zu sein:
Die Website des Autors finden Sie hier.
Informationen auf den Seiten des Piper Verlages finden Sie hier.
Weitere Informationen zu Charles Foster finden Sie hier.
Einen Artikel in DIE ZEIT finden Sie hier.
Einen Artikel im Guardian finden Sie hier.
Informationen zu Laila Mahfouz finden Sie hier.