19. November 2017 im Landestheater Eisenach: Unter der Regie von Gabriela Gillert spielte das Ensemble des Jungen Schauspiels Eisenach »Die Leiden des jungen Werther« ungemein lebendig und emotional. Der Weg von Hamburg ins schöne Eisenach hatte sich für diese Aufführung allein schon gelohnt!
Handlung (Text des Theaters):Die Geschichte einer Liebe gegen jede Vernunft! Werther ist jung und unsterblich in, die für ihn einem Engel gleichende, Lotte verliebt. Bis an den Rand des Wahnsinns treibt den jungen Rechtspraktikanten die anrührende Lotte, die jedoch mit einem anderen verlobt ist. Seine wachsende Leidenschaft, seine Sehnsucht nach einem Leben jenseits gesellschaftlicher Konventionen, sein Glauben an die Unbedingtheit der Liebe beschreibt Werther seinem Freund Wilhelm in unzähligen Briefen. Er ist zerrissen von der Unkontrollierbarkeit seiner Gefühle, seiner Wut auf die Regeln und seiner Einsamkeit, die ihm das Gefühl eines Außenseiters geben. Sein Liebesrausch endet, als er erkennt, dass man die Realität nicht wegträumen kann, in der für ihn einzigen möglichen Konsequenz – seinem Freitod.
»O was ist der Mensch, daß er über sich klagen darf! … Die Einsamkeit ist meinem Herzen köstlicher Balsam in dieser paradiesischen Gegend, und diese Jahreszeit der Jugend wärmt mit aller Fülle mein oft schauderndes Herz.«
Johann Wolfgang von Goethes Briefroman »Die Leiden des jungen Werther« um die verzweifelte Liebe des hoffnungslos liebenden Werther erlangte den Rang des bekanntesten Werkes des Sturm und Drang und verhalf seinem Autor über Nacht zu Weltruhm. Leider wurde der Roman oft als Anstiftung zum Freitod verstanden und löste vermutlich eine Welle von Selbstmorden unter Jugendlichen aus. Auch heute hat die Geschichte nichts von ihrer Faszination eingebüßt. »Die Leiden des jungen Werther« bleibt wohl die berühmteste Geschichte junger vergeblich Liebender der deutschen Literatur.
»Ich will das Gegenwärtige genießen,
und das Vergangene soll mir vergangen sein!«
Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt – Werther rührt in seiner jugendlichen Begeisterungs- und Leidensfähigkeit auch heute noch an. Ebenso wie Goethes Alter Ego für die Natur schwärmt, zieht ihn auch Lottes natürliches, lebendiges Wesen und ihr gutes Herz in den Bann. Dass ihre Liebe von Anfang an unter keinem guten Stern steht, versuchen die beiden jungen Menschen zu ignorieren und verrennen sich nur immer mehr in ihre zum Scheitern verurteilte Liebe. Denn Lotte muss, um ihre Geschwister versorgt zu wissen, Albert heiraten.
»Verlor mich in der unendlichen Fülle, und die herrlichen Gestalten der unendlichen Welt bewegten sich alllebend in meiner Seele!«
Die Theaterfassung von »Die Leiden des jungen Werther« feierte am 7. Oktober 2017 Premiere im Landestheater Eisenach. Es spielte das Ensemble des Jungen Schauspiels Eisenach unter der Regie von Gabriela Gillert (Dramaturgie: Stephan Rumphorst), die auch die Bühnenfassung geschrieben hat. So wie die Jugend heute Gedanken und Gefühle im Internet mit der Welt teilt, offenbarte Werther in Goethes Roman alles in seinen Briefen. Im Bühnenstück werden Textpassagen aus dem Roman mit der heutigen Jugendsprache vermischt. Werthers Nachrichten in Facebook und Twitter wurden von Peter Hollek als Videoinszenierung an die Bühnenwand geworfen. Diese und viele weitere Ideen machen Gillerts Inszenierung einfach großartig.
Die jungen Schauspieler, allen voran Fridtjof Bundel als Werther, nehmen die Zuschauer mit in ihre Gefühlswelt. Wie anfangs auch Lotte versucht Werther, seine Gefühle zu befreien, ohne ihnen Zügel anzulegen. Die Welt wird geträumt und diese Wunschvorstellungen gilt es, mit aller Macht vor der Realität aufrecht zu erhalten. Fridtjof Bundel füllt die große emotionale Bandbreite aus, die seine Rolle erfordert. Sein Werther ist vor Euphorie kaum zu bändigen, in seiner Wut zerstörerisch und in seinem Kummer so untröstlich, dass Bundels Spiel sein Publikum sehr ergriffen hat.
Kristin Heil ist als Lotte ebenfalls hervorragend besetzt. Hin- und hergerissen zwischen Leidenschaft und Vernunft stellt sie Werthers Angebetete sensibel dar und schafft eine unerwartete Leichtigkeit, die bezaubert.
Michael Johannes Mayer als Albert, der als Businessman in Anzug und Krawatte erscheint, symbolisiert den über alles gestellten Materialismus unserer Zeit und wird so automatisch zu Werthers Gegenspieler. In einem kleinen Solo singt er das von Bodo Wartke geschriebene Lied »Das Land, in dem ich leben will«, welches zwar einfach großartig die Mängel unserer Zeit und des vorherrschenden Systems anprangert sowie Gemeinwohlökonomie und ein bedingungsloses Grundeinkommen fordert, aber doch nicht recht zu der Person des Albert passen will. Aus diesem Grund muss ich – trotz Szenenapplaus für die Darbietung und die Aussagen des Liedes – hier doch anmerken, dass etwas übers Ziel hinausgeschossen wurde oder mehr Zeit zur Ausarbeitung der hervorragenden Ideen von Nöten gewesen wäre.
Ein großes Lob muss Helge Ullmann ausgesprochen werden, der für die Kostüme und das umwerfende Bühnenbild verantwortlich war. Die kreativen Ideen zur Umsetzung schwieriger Szenen in Verbindung mit den teilweise atemberaubenden Lichteffekten werteten das Bühnenstück noch zusätzlich auf und verzauberten das Publikum auf besondere Art. Manche Bilder aus »Die Leiden des jungen Werther« werden mir schon allein aufgrund des Bühnenbilds im Gedächtnis bleiben.
»Armer Thor! Der du alles so gering achtest, weil du so klein bist. Vom unzugänglichen Gebirge über die Einöde, die kein Fuß betrat, bis an’s Ende des unbekannten Ozeans, weht der Geist des Ewigschaffenden, und freut sich jedes Staubes, der ihn vernimmt und lebt.«
Das Ende des Briefromans ist noch um einiges schlimmer dargestellt als das Ende des Bühnenstücks, auch wenn das Ergebnis natürlich dasselbe ist. Als Werther sich aus Kummer und Verzweiflung vor den Zuschauern erschießt, ist dies schwer zu ertragen. Tröstend einzig bleibt die Tatsache, dass der junge Goethe seine unglückliche Liebe zu Charlotte überwunden hat, eine lebenslange Freundschaft mit Lotte und Albert pflegte, im Gegensatz zu seinem Werther mehr als 82 Jahre alt wurde und der Welt noch immens viel des besten hinterlassen hat, was in deutscher Sprache je veröffentlicht wurde.
Fazit: Die Übertragung des bekannten Briefromans in ein Theaterstück war eine schwierige Aufgabe, die der Regisseurin Gabriela Gillert hervorragend gelang. Durch viele Ideen und unter Zuhilfenahme der Technik entstand eine auf unsere Zeit abgestimmte Bühnenfassung, die für Jugendliche ab 14 Jahren geeignet ist. Goethes Text in Verbindung mit heutiger Jugendsprache verbindet sich zu einer erstaunlich harmonischen Mischung.
Die Darsteller überzeugen und besonders die Authentizität von Fridtjof Bundel und Kristin Heil lassen das Publikum den Schmerz der ersten großen Liebe stark nachempfinden. »Die Leiden des jungen Werther« regt zum Nachdenken an und berührt tief und nachhaltig.
Laila Mahfouz, 8. April 2018
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Die Rechte der abgebildeten Fotos liegen bei S.Stolz/filmwild.
Im Landestheater Eisenach fand die Derniere von »Die Leiden des jungen Werther« leider schon statt, aber das Theaterstück kann im Meininger Staatstheater noch am 10. und 11. April sowie am 25., 26. und 28. Mai 2018 bewundert werden. Mehr Informationen zu diesen Vorstellungen finden Sie hier.
Am 17. April können Sie noch das Stück »Der Junge mit dem Koffer« (Premiere war am 15. Februar 2018) von Mike Kenny genießen, der zu den derzeit bedeutendsten Theaterautoren Großbritanniens gehört.
Weitere Informationen finden Sie hier auf den Seiten des Landestheaters Eisenach.
Informationen zu Laila Mahfouz finden Sie hier.