Marie-Sabine Roger erzählt in ihrem großartigen Roman »Ein Himmel voller Sterne« eine Geschichte über Freundschaft, Liebe und den Tod. Merlin, der Erzähler, trauert um seinen Freund Laurent, der zugleich seine Muse war. Diesen ganz persönlichen Trauerprozess gestaltet Merlin, nachdem er seine anfängliche Blockade überwunden hat, kreativ und fast verzweifelt nach einer Lösung für Laurents Vermächtnis suchend. Eine Rolle spielen dabei auch seine Frau Prune, alte Freunde, neue Bekannte und zwei Katzen von höchst unterschiedlichem Charakter. Wird ihn die Inspiration wiederfinden?
Handlung (Verlagstext):Merlin ist Autor einer erfolgreichen Comic-Reihe Wild Oregon. Mit seiner Frau Prune und dem Kater Pantoffel bezieht er ein Traumhaus auf dem Land. Zwar gibt es nach elf Uhr vormittags kein warmes Wasser, und der Klempner Herr Tjalsodann lässt sich nicht blicken, aber davon abgesehen ist ihr Glück perfekt. Bis eines Tages Merlins bester Freund Laurent stirbt, Vorbild für seinen Comic-Helden Jim Oregon. Laurents letzter Wunsch: Jim Oregon soll im nächsten Band endlich die Liebe seines Lebens finden und es bitte nicht – wie er selbst – verbocken. Doch Merlin will die Arbeit einfach nicht gelingen: Laurents hinterlistige Katze Zirrhose sorgt für Unruhe im Haus, vor allem aber will Merlin ohne Laurent einfach nichts einfallen. Ihm fehlt jegliche Inspiration – bis Laurents Onkel Albert mit 94 Jahren seinen zweiten Frühling erlebt und sich verliebt. Langsam geht Merlin auf, dass er sich ganz falsche Vorstellungen von der wahren Liebe gemacht hat…
Zunächst arbeitet Merlin zwar weiter, trauert aber um seinen besten Freund. Seine Frau Prune versucht zwar, ihm zu helfen und doch trauert jeder für sich allein und muss auch allein mit diesem Einschnitt in seinem Leben zurechtkommen.
Der Tod eines Freundes, oder eines Geliebten, eines Kindes, bedeutet das unwiederbringliche Ende eines ganzen Lebensabschnitts. Wir müssen diese Abgründe akzeptieren, die ins lebendige Fleisch unseres Gedächtnisses gerissen werden, uns eine Weile an ihren Rand setzen und weinen, und dann weitergehen, für immer erloschene Landschaften hinter uns lassen, die nur noch in unseren Erinnerungen leben werden.
Seite 50
Roger ist auch in diesem Roman eine Meisterin darin, Atmosphäre und starke Emotionen zu schildern, ohne pathetisch zu klingen. Ihre Schilderungen aus dem Alltag von Merlin und Prune klingen ebenso authentisch wie die der absoluten Leere nach dem erlittenen Verlust.
Die Tage nach einem Todesfall haben etwas Eigenartiges. Die Kälte wirkt kälter, das Licht milchiger. Die Katze klingt nicht wie sonst, ihr verstohlenes Miauen versackt in der dumpfen Stille, ohne widerzuhallen. Alles wirkt verfälscht. Wie eine schlechte Kopie der vorangegangenen Tage. Die Zeit fließt nicht mehr, sie tröpfelt höchstens. Und diese schmerzliche Enge in der Kehle. Und diese eisige Leere im Magen.
Seite 61
Merlin fällt es schwer, den letzten Wunsch seines Freundes zu erfüllen. Dass Jim Oregon, Laurents Alter Ego, zumindest in der fiktiven Welt seine Seelenverwandte findet, ist leichter gesagt als getan. Marie-Sabine Roger schafft es mit ihrem eigenen Humor, selbst eigentlich düstere Szenen aufzuhellen und ihre Leser überraschend plötzlich zum Lachen zu bringen. In einem Zwiegespräch mit Jim Oregon spricht Merlin über seine von Laurent auferlegte Bürde. Jim reagiert so, wie man es von einem Westernhelden erwartet:
»Ich habe keine Wahl, Jimmy: In deinem Leben fehlt es an Liebe, und ich muss welche reinbringen.«
Jim zog den Colt und legte auf mich an.
»Wenn du mir näher kommst, hast du eine Kugel zwischen den Augen.«
Seite 257
Durch die kursiven Einschübe der Western-Comic-Erzählung und die Beschreibungen der Zeichnungen aus Merlins Feder werden die Figuren und Handlungen der Comic-Parallelwelt und der realen Welt so plastisch darstellt, als hätte man sie selbst vor Augen.
Merlins fantasievolle Innenwelt ist so ideenreich und lustig, dass es eine Freude ist, seine Weltsicht einzunehmen. So wird selbst eine gewöhnliche Zugreise sehr unterhaltsam, da Merlin sich zum Beispiel an nervigen Mitreisenden mit Zeichnungen und Erzähleinschüben „rächt“.
Der französische Romantitel »Dans les prairies étoilées« bedeutet eigentlich soviel wie »In den sternenklaren Prärien«, was einen Bezug zu dem Western-Comic im Buch darstellt.
1964 erschien der deutsche Spielfilm »Freddy und das Lied der Prärie« mit Freddy Quinn in der Hauptrolle, der im Film das Lied »Ein Himmel voller Sterne« sang. In diesem Filmausschnitt singt Freddy Quinn das Lied und reitet dabei in einer sternenklaren Nacht durch eine mondbeschienene Prärie.
Mit »Ein Himmel voller Sterne« wurde so ein augenzwinkernder, aber durchaus passender Titel für die deutsche Übersetzung von Marie-Sabine Rogers Buch gewählt.
Die Geschichte erfährt eine Wendung, als völlig überraschend Laurents Onkel Albert noch im Alter von 94 Jahren die große Liebe findet. Dieses Ereignis hilft Merlin, anders über die Liebe zu denken, ebenso wie die Begegnung mit Laurents Whiskyverkäufer seines Vertrauens und dessen überraschende Einsichten.
Roger schildert mit humorvoller Liebe zum Detail eine Idylle, die gleichzeitig romantisch, heimelig, chaotisch und kreativ-schöpferisch ist. Wie so oft sind ihre Romanhelden bis hin zu den Nebenfiguren liebenswert schrullig und äußerst unterhaltsam.
Sein inneres Ringen, den letzten Wunsch seines Freundes zu erfüllen, ist sehr authentisch und seine beschriebene Kreativität veranschaulicht diesen Prozess auf humorvolle, interessante Weise.
Fazit: Marie-Sabine Roger ist mit »Ein Himmel voller Sterne« ein ruhiger, amüsanter, farbenfroher und zugleich tiefsinniger Roman gelungen. Zusätzlich erschuf sie eine unterhaltsame Comic-Parallelwelt in einem Genremix aus Science-Fiction und Western. Sehr unterhaltsame, authentische Figuren bevölkern beide Welten. Die Autorin schafft es, die Balance zu halten zwischen Tragik und Humor, als in der heimeligen Romantik von Merlins Refugium plötzlich der schwere Schicksalsschlag von Laurents Tod über ihn hereinbricht und es ihm am Ende gelingt, sein Leben und das seines Comic-Helden wieder in den Griff zu bekommen.
Marie-Sabine Rogers Roman »Ein Himmel voller Sterne« (Originaltitel: »Dans les prairies étoilées«) ist im Februar 2017 für EUR 20,00 in der Übersetzung von Claudia Kalscheuer im Hoffmann und Campe Verlag erschienen – gebunden, 304 Seiten, ISBN 978-3455600575.
Über die Autorin: Marie-Sabine Roger wurde 1957 in Bordeaux geboren und lebt heute im Département Charente. Ihre Romane »Das Labyrinth der Wörter« (2010) und »Das Leben ist ein listiger Kater« (2014) waren in Frankreich und Deutschland Bestseller. Zuletzt erschien ihr Erzählband »Die Küche ist zum Tanzen da« (2016).
Miriam K., 29. März 2018
Links:
Die Rechte am Foto von Marie-Sabine Roger liegen bei C. Roger.
Informationen auf den Seiten des Hoffmann und Campe Verlages finden Sie hier.
Weitere Informationen zu Marie-Sabine Roger finden Sie hier.
Trauer ist sehr individuell, aber es gibt verschiedene Modelle zu den Trauerphasen. Eine Aufstellung der beiden bekanntesten Modelle finden Sie hier.
Jährlich verlieren Millionen Menschen einen geliebten Angehörigen. Es ist wichtig, dass man sich in seiner Trauer nicht zurückzieht, sondern die Nähe zu Menschen sucht, die trösten oder einfach da sind. Nach den ersten Phasen der Leugnung und der aufbrechenden Emotionen ist es wichtig, konkrete Schritte zu tun, um die Trauer zu verarbeiten. Die Psychotherapie spricht von Traueraufgaben. Eine Übersicht finden Sie hier. In der Hinterbliebenentherapie wird krankhafte und andauernde Trauer bearbeitet. Es kann sinnvoll sein, sich therapeutische Hilfe zu suchen, siehe hier.
Selbsthilfegruppen, z.B. für verwaiste Eltern, finden sich in jeder größeren Stadt. Hier finden Sie einige Tipps für Betroffene.
Portale wie Trauergruppe.de oder Trauernetz.de bieten einen guten Überblick über Trauergruppen, Trauercafés, Buchtipps, Impulse und vieles mehr.