Lesung am 20. März 2017 im Literaturhaus Hamburg: Marilynne Robinsons Roman »Gilead« ist der erste Band einer Trilogie, dessen dritter Teil »Lila« bereits 2015 im S. Fischer Verlag erschienen ist. Die amerikanische Schriftstellerin erhielt für »Gilead« 2005 den Pulitzer Preis.
Inhalt: Auf seinem Sterbebett schreibt John Ames einen Brief an seinen siebenjährigen Sohn. Dem Kind will er alles erklären: Die Einsicht, mit der man das eigene Leben auf einen Schlag begreift, den Trost, der in einer einzelnen Berührung liegen kann, und den Ort, der sein Ende beschließt: Gilead, die kleine Stadt unter dem unermesslichen Himmel des Westens, leicht wie Staub und so schwer wie die Welt.
Seit Generationen lebte seine Familie in Gilead, waren die Männer Pastoren. Der Großvater half schwarzen Sklaven in die Freiheit, der Vater versuchte das Leben der Menschen in der Dürrekatastrophe erträglich zu machen. Sie lebten eng verwoben mit den Menschen und waren getrieben von einer unerbittlichen Sehnsucht nach Versöhnung.
»Gilead« ist bereits 2004 in den USA erschienen, doch erst 2015 wurde »Lila«, der eigentlich dritte Band der Trilogie, für den deutschen Buchmarkt übersetzt. »Gilead«, das erste Buch aus Marilynne Robinsons Romanserie ist inzwischen zum Klassiker der amerikanischen Literatur geworden. Bisher hat die Autorin vier Romane und einige Sachbücher sowie Essays und Artikel in Zeitschriften veröffentlicht.
Die 1943 in Idaho geborene Schriftstellerin, die sich in ihrem Werk viel mit theologischen Fragen wie Gut und Böse oder Vergebung auseinandersetzt, ist eine wichtige Stimme, die dem Leser die Welt der US-Amerikaner des Mittleren Westens näher bringt. Im Literaturhaus erzählte Marilynne Robinson von ihrer Arbeit, der langsamen Entwicklung des Romanstoffs und der Charakterausarbeitung. Dabei hat sie es sich zur festen Regel gemacht, nicht über Personen zu schreiben, die sie nicht ausstehen kann.
»I do not write about people I do not like – that’s one of my rules.«
Über »Gilead« sagte sie im Gespräch mit der Moderatorin Julika Griem, dass die Stimmen der Figuren zu ihr kamen, dass sie eine wunderbare Zeit mit dem Reverend hatte, weil er so ein exzellenter Begleiter wäre und dass sie nicht erwarte, etwas vergleichbar Angenehmes nochmals erleben zu dürfen.
»Their voices came to me. I had an excellent time, he [the reverend] was an excellent companion. I don’t expect anything that pleasant coming my way again.«
Marilynne Robinson lebt derzeit in Iowa City und unterrichtet am Iowa Writers’ Workshop. Ich würde mich sehr freuen, wenn auch ihre Essays wie »The Death of Adam: Essays on Modern Thought«, »Absence of Mind: The Dispelling of Inwardness from the Modern Myth of the Self«, »When I Was a Child I Read Books« oder »The Givenness of Things« übersetzt und damit dem deutschsprachigen Kulturraum zugänglich gemacht würden.
»Ich komme mir manchmal vor wie ein Kind, das die Augen nur das eine Mal auftut, das die Welt schaut und staunenswerte Dinge sieht, für die es nie Namen haben wird, und die Augen gleich wieder schließen muss. […] Und ich kann einfach nicht glauben, dass wir, sind wir erst verwandelt und haben die Unverweslichkeit angezogen, den phantastischen Zustand der Sterblichkeit und Vergänglichkeit vergessen werden, den großen, lichten Traum von Werden und Vergehen, der uns eine ganze Welt bedeutet hat. In der Ewigkeit wird diese Welt Troja sein, denke ich, und alles, was sich hier zugetragen hat, wird im Epos des Universums aufgehen, der Ballade, die sie auf den Straßen singen. Denn ich sehe keine Realität, die unsere ganz in den Schatten stellen könnte, und ich meine, schon der Glaube verbietet es mir.«
Auszug aus dem Roman »Gilead«
Fazit: Marilynne Robinson las die ersten Seiten des Romans in der Originalversion und wurde dann von Stephan Benson abgelöst, der eine längere Passage aus der deutschen Übersetzung vortrug. Schon dieser relativ kleine Ausschnitt ihres Werks führte den Besuchern der Lesung Robinsons sprachliche Brillanz und eindringlich bildgewaltige Erzählkunst vor Augen und machte Lust, sich mit dieser Ausnahmeautorin mehr zu beschäftigen.
Den Lesern von Marilynne Robinsons Roman »Gilead« möchte ich allerdings ans Herz legen, nach der Lektüre auf den hoffentlich bald ebenfalls in deutscher Übersetzung erscheinenden Roman »Home« zu warten, bevor sie sich dem dritten Band »Lila« zuwenden oder wenn möglich gleich alle drei Bände in der englischen Originalversion zu lesen, um sich nichts von Robinsons sprachlicher Finesse entgehen zu lassen.
Marilynne Robinsons Roman »Gilead« ist im September 2016 in der Übersetzung von Uda Strätling für EUR 20,00 im S. Fischer Verlag erschienen – gebunden, 320 Seiten, ISBN 978-3100024596.
Wer in den Roman reinlesen möchte, findet hier eine Leseprobe.
Über die Autorin: Marilynne Robinson, geboren 1943, ist eine preisgekrönte amerikanische Autorin und Essayistin. Ihr Roman ›Housekeeping‹ (1980) wurde mit dem PEN Award ausgezeichnet, ›Gilead‹ (2004) mit dem Pulitzer Prize (Fiction) und dem National Book Critics Circle Award. ›Home‹ (2008) erhielt den Orange Prize for Fiction. Ihr neuer Roman ›Lila‹ (2014) bildet den Abschluss der Trilogie, war »New York Times«-Bestseller und wurde mit dem National Book Critics Circle Award 2015 ausgezeichnet. 2016 wurde ihr für ihr Lebenswerk der »Library of Congress Prize for American Fiction« zugesprochen. Marilynne Robinson lebt in Iowa und lehrt am Writers‘ Workshop der University of Iowa.
Laila Mahfouz, 20. Mai 2017
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