Auch der 24. März 2017 hielt einige Überraschungen und viele wunderbare Begegnungen für uns bereit. Obwohl wir am Ende dieses Tages voller Stress und kilometerlanger Wanderungen durch die Hallen ziemlich erledigt waren, haben wir keine Minute bereut und uns schon auf den dritten Messetag gefreut.
Nachdem wir uns vom Presseeingang an der Halle 1 vorbeigekämpft hatten, haben wir im Forum autoren@leipzig in Halle 5 mit dem eigentlichen Messetag begonnen.
Jonas Lüscher wurde mit der Vorstellung seines Romans »Kraft« von literaturcafe.de eingeladen. Dieses Buch, das von der Literaturkritik nur Lob erhalten hat, ist es wirklich wert, gelesen zu werden. Vier Jahre hat Jonas Lüscher an »Kraft« gearbeitet. Herausgekommen ist ein nur 237 Seiten dickes, aber um so gehaltvolleres Buch.
Richard Kraft ist ein Rhetorikprofessor in Tübingen, der sich aus finanziellen Gründen nicht scheiden lassen kann. Daher wird er von seiner Frau aufgefordert, an einer wissenschaftlichen Preisfrage im Silicon Valley teilzunehmen. Kraft soll in einem 18-minütigen Vortrag begründen, weshalb alles, was ist, gut ist und wie es dennoch verbessert werden kann.
»Ein Buch zu schreiben, ist wie ein wildes Pferd zu reiten.
Man muss entscheiden, wann man an den Zügeln reißt oder sie locker lässt.«
Dieses Pferd hat Jonas Lüscher offenbar grandios zugeritten. Schon seine Debütnovelle »Frühling der Barbaren«, die im Januar 2013 erschien, löste Begeisterung aus und stand auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis und war für den Schweizer Buchpreis nominiert.
Wir mussten spontan applaudieren, als Lüscher sagte, dass schon lange ein Wandel des liberalen Denkens und eine Abkehr vom sozialen Liberalismus stattgefunden hat und die thatchersche Sichtweise längst als Kapitalismus-Glaube Mainstream geworden ist. Endlich sagt das mal jemand, dem zugehört wird!
Der Schweizer Jonas Lüscher lebt seit 2001 in München. Für »Frühling der Barbaren« erhielt er 2013 den Franz-Hessel-Preis, den Berner Literaturpreis und den Bayerischen Kunstförderpreis sowie 2016 den Hans-Fallada-Preis der Stadt Neumünster. Ich bin gespannt, welche Preise Jonas Lüscher für »Kraft« erhalten wird. Verdient sind sie sicher, denn dieser Autor hat wirklich etwas zu sagen!
Sein aktuelles Buch »Kraft« bezeichnet Lüscher selbst als „politische Literatur“. Beschrieben wird das Buch als komisch, böse und klug.
Anders Balari und mich haben Autor und Bücher überzeugt und wir freuen uns schon sehr auf die Lektüre von »Kraft« und »Frühling der Barbaren«.
Jonas Lüschers Roman »Kraft« ist im Januar 2017 für EUR 19,95 im C.H. Beck Verlag erschienen – gebunden, 237 Seiten, ISBN 978-3406705311.
Wer in den Roman reinlesen möchte, findet hier eine Leseprobe.
„Was fangen wir noch an mit diesem Leben, jetzt, nachdem wir die halbe Strecke schon gegangen sind?“ Diese Frage stellte sich Zsuzsa Bánk in ihrem aktuellen Roman »Schlafen werden wir später« und lässt zur Beantwortung die Schriftstellerin Márta, die mit ihrem Mann und drei Kindern in einer deutschen Großstadt lebt, mit der Lehrerin Johanna, die allein in einem kleinen Ort im Schwarzwald lebt, per eMail korrespondieren. Eine lange Freundschaft verbindet die beiden Frauen, so dass sie in ihren eMails sehr offen, mit viel Tiefe und Emotionalität schreiben können. Wie das Leben verlaufen ist, welche Probleme gerade zu bewältigen sind und welche Überraschungen das Leben eventuell noch vorgesehen hat, all dies besprechen Márta und Johanna. Der Roman ist eine Hymne an die Freundschaft, die mehr stärken kann als jede andere Beziehung in unserem Leben.
»Wie findet man zurück ins Leben?
Kann man sich von einem Trauma lösen?«
Zsuzsa Bánk sagte, sie hätte in ihrem Roman dem Alltag Raum geben wollen, weil er in der Literatur eher zu kurz kommt.
Das Buch beleuchtet zwei Lebenswege oder Lebenskonzepte und beschreibt, wie eine Frau Anfang vierzig heute in Deutschland lebt. Thematisiert wird u. a. das literarische Schreiben und wie es als Frau und Mutter im Alltag unterzubringen ist und die Frage, ob eine Mutterschaft überhaupt erstrebenswert ist.
Eine Schriftstellerin und eine Lehrerin erzählen sich alles und versuchen auf diese Weise, ihre Probleme in den Griff zu bekommen. Die Freundschaft der beiden Frauen fängt dabei viel auf.
Schon ihr ersten Roman »Der Schwimmer« erhielt viele Preise, unter anderem den Mara Cassens Preis für das beste Debüt.
Die Schriftstellerin lebt heute mit ihrem Mann und zwei Kindern in Frankfurt am Main.
Zsuzsa Bánks »Schlafen werden wir später« ist ein Briefroman in eMail-Form. Er ist im Februar 2017 für EUR 24,00 bei S. Fischer Verlag erschienen – gebunden, 688 Seiten, ISBN 978-3100052247.
Wer in den Roman reinlesen möchte, findet hier auch eine Leseprobe.
Obwohl sein Roman »Ohrfeige« bereits im Februar 2016 erschien und im letzten Jahr zum Beispiel während der Frankfurter Buchmesse viel Beachtung fand, kam Abbas Khider für einen einzigen Termin ebenfalls nach Leipzig: Khider ist der diesjährige Preisträger des Adelbert-von-Chamisso-Preises der Robert Bosch Stiftung. Im Gespräch mit Wiebke Porombka erzählte er mit viel Elan und mitreißender Begeisterung vom Schreiben. Dem Publikum konnte er durch das Gespräch und die Lesung aus seinem Roman die Geschichte eines Flüchtlings bestens verdeutlichen.
Im Roman betritt der Asylbewerber Karim wütend die Ausländerbehörde, einzig von dem Wunsch beseelt, ihm möge endlich jemand wirklich zuhören. Kurzerhand fesselt er seine Sachbearbeiterin an ihren Bürostuhl und beginnt seine Geschichte zu erzählen. Mit einer gehörigen Portion Humor sowie dennoch genug Tiefe für die Ernsthaftigkeit des Themas schreibt Khider in unverwechselbarem Ton von dieser verbalen »Ohrfeige« und rächt sich so für alle behördliche und staatliche Willkür, die ihm selbst und anderen in ähnlicher Situation widerfahren ist.
Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad geboren und wurde im Alter von 19 Jahren wegen seiner politischen Aktivitäten verhaftet. Nach der Entlassung floh er 1996 aus dem Irak und hielt sich als »illegaler« Flüchtling in verschiedenen Ländern auf. Seit 2000 lebt er in Deutschland und studierte Literatur und Philosophie in München und Potsdam. Seine Romane »Der falsche Inder« (2008), »Die Orangen des Präsidenten« (2011) und »Brief in die Auberginenrepublik« (2013) erschienen in der Edition Nautilus. Der Chamisso-Preisträger erhielt schon verschiedene Auszeichnungen, zuletzt wurde er mit dem Nelly-Sachs-Preis und dem Hilde-Domin-Preis geehrt.
Abbas Khiders Roman »Ohrfeige« ist im Februar 2016 für EUR 19,90 im Hanser Verlag erschienen – gebunden, 224 Seiten, ISBN 978-3446250543.
Wer in den Erzählband reinlesen möchte, findet hier auch eine Leseprobe.
Am ARTE-Stand stellten danach Inger-Maria Mahlke und Senthuran Varatharajah die Anthologie »Wie wir leben wollen – Texte für Solidarität und Freiheit« vor. Das Gespräch mit der Moderatorin Maike Albath drehte sich um die eigenen Erfahrungen der beiden AutorInnen. Sie zeichneten ein beschämendes Bild des bürokratischen Deutschlands und der behördlichen Willkür, das sich in den letzten Jahren endlich etwas zu bessern scheint.
Inger-Maria Mahlke, deren Roman »Wie Ihr wollt« (Berlin Verlag, März 2015) auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2015 stand, und Senthuran Varatharajah, dessen Debütroman »Vor der Zunahme der Zeichen« (S. Fischer Verlag, März 2016) im letzten Jahr viel Lob erhielt, vertraten die große Autorenschaft, die hinter der Anthologie »Wie wir leben wollen – Texte für Solidarität und Freiheit« steht.
Nicht nur Senthuran Varatharajah, dessen Eltern aus Sri Lanka stammen, verweist auf seinen Migrationshintergrund. Auch Inger-Maria Mahlke, deren Mutter Spanierin ist, kann aus leidvoller eigener Erfahrung beurteilen, welchen Schikanen Ausländer in Deutschland manchmal ausgesetzt sind.
Die Anthologie enthält Texte von Shida Bazyar, Kristine Bilkau, Bov Bjerg, Nora Bossong, Jan Brandt, Micul Dejun, Ulrike Draesner, Roman Ehrlich, Lucy Fricke, Mirna Funk, Heike Geißler, Lara Hampe, Franziska Hauser, Heinz Helle, Svenja Leiber, Édouard Louis/Geoffroy de Lagasnerie und Hinrich Schmidt-Henkel, Inger-Maria Mahlke, Matthias Nawrat, Markus Orths, Maruan Paschen, Philipp Rusch, Saša Stanišic, Stephan Thome, Senthuran Varatharajah, Julia Weber sowie Matthias Jügler. Diese Autorinnen und Autoren versuchen, die Begriffe Heimat, Fremde und Identität zu definieren. Ihre eigenen Wurzeln oder die ihrer Eltern sind im Iran, Indien, Sri Lanka, Westjordanland, Bosnien, Ost- oder Westdeutschland. Woher die Angst vor den Flüchtlingen kommt, wollen sie ergründen. Dabei versuchen sie zu verstehen, aber klagen auch an, sind wütend, mitfühlend und doch oft ratlos. Auf jeden Fall fordern sie mit diesem Buch zum Umdenken auf.
»Wie wir leben wollen – Texte für Solidarität und Freiheit« ist im März 2016 für EUR 10,00 im Suhrkamp Verlag erschienen, herausgegeben von Matthias Jügler – Taschenbuch, 197 Seiten, ISBN 978-3518467107.
Der Suhrkamp Verlag empfiehlt das Buch mit folgenden Worten: „In literarischen und essayistischen Originalbeiträgen zeichnen die Autorinnen und Autoren voll Sehnsucht, Wut und Engagement ein Bild unserer Gesellschaft, wie es aktueller nicht sein könnte.“
Wer in das Buch reinlesen möchte, findet hier auch eine Leseprobe.
Vor der Lesung, die wir am Stand der Schweizer Buchhändler und -Verleger eigentlich besuchen wollten, entdeckten wir dann noch Julia Weber. Die Schriftstellerin aus Zürich stellte ihren Roman »Immer ist alles schön« vor, der von den jugendlichen Geschwistern Anais und Bruno und der Verwahrlosung in unserer Zeit erzählt.
Hier liest Julia Weber zehn Seiten aus ihrem Roman. Eine eindringliche Geschichte, erzählt in traurigem Ton, mit leichtem Humor gewürzt – ein Roman, der neugierig macht.
»Immer ist alles schön« ist im Februar 2017 für EUR 24,00 im Limmat Verlag erschienen – gebunden, 256 Seiten, ISBN 978-3857918230. Wer in den Roman reinlesen möchte, findet hier auch eine Leseprobe.
Mein persönliches Highlight des Tages war die Begegnung mit dem großen Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg, der mir noch vor der Lesung die neun, den ganzen Tag herumgetragenen Bücher signierte. Muschgs neuer Roman »Der weisse Freitag« stellt, wie schon oft in seinen Werken, Johann Wolfgang von Goethe in den Mittelpunkt.
»Der weisse Freitag« befasst sich mit Goethes zweiter Schweizreise, die ihn am 12. November 1779 zu seinem heiligen Berg, dem Gotthard, führte. Die Warnungen über das unberechenbare Risiko der neunstündigen Fußwanderung durch Neuschnee über die Furka hat der frisch ernannte Geheimrat in den Wind geschlagen.
Im Mittelpunkt steht die Freundschaft Goethes zu seinem acht Jahre jüngeren Landesherrn Herzog Carl August. In Muschgs Roman nimmt Goethe den erst 22 Jahre jungen Carl August auf diese lebensgefährliche Reise mit, um ihre Freundschaft zu testen, die schließlich immerhin dreiundfünfzig Jahre andauern sollte.
Die Lesung des sympathischen Schweizers war ein Hochgenuss, den ich jedem empfehlen kann, der die Gelegenheit hat. Ob Adolf Muschg auch in Ihrer Nähe aus »Der weisse Freitag« liest, entnehmen Sie seinem Terminkalender.
Adolf Muschgs »Der weisse Freitag« ist im Februar 2017 für EUR 22,95 im C.H. Beck Verlag erschienen – gebunden, 251 Seiten, ISBN 978-3406706219. Wer in den Roman reinlesen möchte, findet hier auch eine Leseprobe.
Unterdessen las Matthias Teut in der Fantasy Leseinsel aus seinem Debütroman »Erellgorh – Geheime Mächte«, dem schon der zweite Band »Erellgorh – Geheime Wege« gefolgt ist. Beide Bücher wurden auf der Buchmesse vorgestellt und fanden viele neue begeisterte LeserInnen. Mit »Erellgorh – Geheime Mächte« steht Matthias Teut in der Kategorie Bestes deutschsprachiges Romandebüt auf der Longlist des Deutschen Phantastik Preises 2017.
Die fabelhaften Illustrationen Sören Medings schmücken nicht nur die Cover der beiden Fantasyromane, auch die Website www.erellgorh.com/ ist eine Augenweide.
Unsere Rezension zu Band I »Erellgorh – Geheime Mächte« finden Sie hier.
Matthias Teut entwickelte seine Fantasiewelt über einen Zeitraum von knapp 20 Jahren und das ist den Romanen auch anzumerken.
Der Fantasyroman »Erellgorh – Geheime Mächte« ist im Juni 2016 für EUR 12,95 erschienen – Taschenbuch, 452 Seiten, ISBN 978-3946937005.
Matthias Teuts Fantasyroman »Erellgorh – Geheime Wege« ist im Februar 2017 für EUR 12,95 im DichtFest Verlag erschienen – Taschenbuch, 440 Seiten, ISBN 978-3946937012. Derzeit wird der zweite Band von Anders Balari gelesen, ob sich im Anschluss Zeit für eine weitere Rezension ergibt, wird sich zeigen. Der bisherige Eindruck ist allerdings gleichbleibend positiv, spannend, anregend und wunderbar fantasievoll.
Zeitgleich las Frank Friedrichs aus seinem Roman »Erntedank in Vertikow«, dem ersten Band einer in Mecklenburg verorteten regionalen Krimiserie um den vom Rollstuhl aus ermittelnden Hobby-Detektiv Peer Wesendonk. Einen ausführlichen Bericht zu der Lesung im Januar inkl. meiner Rezension finden Sie hier.
Der kleine Messestand des frisch gegründeten DichtFest Verlags war die gesamte Messe über gut besucht. Die Website zu den Vertikow- Krimis finden Sie hier und die Website zum DichtFest Verlag finden Sie hier.
Frank Friedrichs Roman »Erntedank in Vertikow« ist im November 2016 für EUR 9,99 erschienen – Taschenbuch, 302 Seiten, ISBN 978-3946937203.
Am Abend besuchten wir dann noch die Lesung von Tim Krohn, der sein Buch »Herr Brechbühl sucht eine Katze« vorstellte. Der Roman über die Bewohner eines großen Hauses besteht aus 65 einzelnen Erzählungen. Das Buch ist der Auftakt der spannenden Romanserie »Menschliche Regungen«, die über Crowdfunding entstanden ist. Tim Krohn hat sich zur Aufgabe gemacht, über jede erdenkliche menschliche Gefühlsregung und jeden Charakterzug eines heutigen Menschen eine Geschichte zu schreiben. Wer das Projekt finanziell unterstützen will, kann sich von einer ständig erweiterten Liste eine Regung aussuchen und wird als Sponsor namentlich erwähnt. Die Website finden Sie hier.
1.000 Seiten hat Tim Krohn dem Galiani Verlag gleich im ersten Schwung angeboten. Nun wird der zweite Band im August 2017 und der dritte Band im Februar 2018 erscheinen. Tim Krohn will solange weiterschreiben, wie das Interesse und die Unterstützung der LeserInnen anhält.
Die tiefgründigen und auch humorvollen Geschichten »Kränkung«, »Zartheit«, »Kreativität«, »Kunstsinn« und »Zauber« las Tim Krohn für sein Publikum im Theater Cammerspiele Leipzig.
Tim Krohns Roman »Herr Brechbühl sucht eine Katze« ist im November 2016 für EUR 24,00 im Galiani Verlag erschienen – gebunden, 480 Seiten, ISBN 978-3869711478.
Wer in den Roman reinlesen möchte, findet hier auch eine Leseprobe.
Meine Rezensionen zu Abbas Khiders »Ohrfeige« und Tim Krohns »Herr Brechbühl sucht eine Katze« folgen bald.
Meinen Bericht zum 1. Messetag finden Sie hier, den zum 3. Messetag hier.
Laila Mahfouz, 29. März 2017
Links:
Unsere Fotostrecke mit weiteren großartigen Fotos der drei Messetage finden Sie hier. Die Rechte aller Fotos zur Lesung liegen bei Anders Balari.
Informationen zu Laila Mahfouz finden Sie hier.
Informationen zu Anders Balari finden Sie hier.