Lesung am 27. Juni 2016 in der Mathilde Bar in Hamburg: Mit den beiden Herausgeberinnen Isabel Bogdan und Anne von Canal lasen Maximilian Buddenbohm, Susann Pásztor und Katrin Seddig aus der gerade erschienenen Anthologie »Irgendwo ins grüne Meer – Geschichten von Inseln«.
Handlung (dem Verlagstext entnommen): Die Insel: Wir träumen alle von einer anderen, aber jeder sehnt sich nach ihr. Ob real oder erdacht – ab und zu braucht man einen Ort fernab von der Welt.
15 Autorinnen und Autoren spüren dieser Sehnsucht nach und machen dabei ganz unerwartete Entdeckungen. Venedig, Sizilien, Kvaløya, die Badeinsel in der Ostsee oder im Hallenbad, ein Ecklokal in einer belebten Straße oder eine stürmische Hallig – die Inselträume sind vielfältig, doch womöglich ist der wichtigste Ort noch immer die innere
Insel, auf der wir uns im Geheimen selbst begegnen?
Literarisch, lustig, frisch, stürmisch und abgründig – »Irgendwo ins grüne Meer« erfindet die Insel neu.
Wer nun meint, dies sei genau die Urlaubslektüre, nach der er/sie gesucht hat, liegt genau richtig, obwohl oder gerade weil einige der Inseln keine geografischen Orte sind, denn innere Rückzugsorte, Ruheinseln im Alltag und fiktive Inseln gehören ebenso selbstverständlich zu dieser Sammlung. So sind auch die Erzählungen sehr unterschiedlich in Thema, Stil und Stimmung. Gerade diese Vielfalt macht den Reiz einer Anthologie aus, auch wenn nicht jede Geschichte in gleichem Maße den Geschmack eines Lesers treffen kann. Die unterschiedlichen Erwartungen, die sich vor dem Lesen von Texten von zum Beispiel Clemens J. Setz, Isabel Bogdan, Katrin Seddig oder Tex Rubinowitz einstellen, werden allerdings nicht enttäuscht. Wer nicht gleich einen ganzen Roman von einem ihm bisher unbekannten Autoren kaufen möchte, kann sich bei der Lektüre einer Kurzgeschichte schon ein wenig mit ihm vertraut machen.
»Ein ein aus aus aus aus, ich erwische mich dabei, dass ich schneller laufe, bloß weil der Verbissene da ist und mich überholt, wie albern ist das denn, ich möchte einen guten Eindruck machen bei jemandem, den ich nicht kenne, der mich nicht interessiert, von dem ich gerade beschlossen habe, dass er eine arme Wurst ist. Vielleicht trainiert er auch nicht für irgendwas, vielleicht rennt auch er sich eine Wut vom Leib oder einen Schmerz, vielleicht ist seine Frau gestorben, vielleicht hat ihn sein Mann verlassen, vielleicht gehört die Wut oder der Schmerz zu seinem Wesen, was weiß ich, soll ja vorkommen, herrje, vielleicht läuft er auch einfach gern und ist aus Versehen immer fitter geworden, so wie ich, die ich laufen wollte, um nicht denken zu müssen, und jetzt nicht mehr laufen kann, ohne so einen Quark zu denken. Ein ein aus aus aus aus, ich überhole die junge Mutter und frage mich, ob sie auch schneller läuft, wenn ich sie überhole oder wenn der Verbissene sie überholt oder wenn ihr Mann dabei ist, überlege, ob ich ein Ansporn für irgendwen bin […]«
(Isabel Bogdan »Laufen«, Seite 127/128)
Gerade erst mit ihrem Roman-Debüt »Der Pfau« sehr erfolgreich, beweist Isabel Bogdan gemeinsam mit ihrer Mitherausgeberin Anne von Canal großes Geschick bei der Auswahl der richtigen Autoren für ihr gemeinsames Anthologie-Projekt »Irgendwo ins grüne Meer – Geschichten von Inseln«. Ihre eigene Erzählung »Laufen« ist für mich eines der Highlights des Buches. Die Gedanken einer Frau beim Lauftraining sind kurzweilig, humorvoll, gesellschaftskritisch und berührend zugleich. Diese gelungene Kombination brachte Isabel Bogdan auch bei der Lesung ihres Textes »Laufen« bestens zur Geltung.
Aber auch die anderen bei der Premierenlesung vorgetragenen Erzählungen haben mich überzeugt und berührt. Da waren Maximilian Buddenbohms »Im Jahr der Kolibris« um eine einstige Bade- und Partyinsel vor Travemünde und das Ende einer Beziehung, Anne von Canals »Gute Nachrichten« um die Postkarten einer verschollenen Schwester und den Stellenwert innerhalb einer Familie, Katrin Seddigs »Halber Fisch« um Hochwasser auf einer Hallig und der dadurch unausweichlichen Auseinandersetzung mit den Beziehungsproblemen und Susann Pásztors »Wozefak« um das regelmäßige Treffen einiger alter Freundinnen im Schwimmbad.
»Heute würdest du übrigens auch keine Wohnung finden, es gibt hier keine leeren Wohnungen mehr, in die man spontan ziehen könnte. Heute bleiben Paare in Hamburg zusammen, weil keiner ausziehen kann. Die Mietpreise retten jetzt hier die Beziehungen.«
(Maximilian Buddenbohm »Im Jahr der Kolibris«, Seite 12/13)
Ein paar der Erzählungen direkt von den Autoren zu hören, war ein besonderes Erlebnis. Da Katrin Seddig ihre Geschichte nicht komplett vorgetragen hatte, wurde diese von mir zuerst gelesen und wie immer überzeugte mich die feine Beobachtungsgabe und der humorvolle Stil der Autorin. Begeistert haben mich unter anderem noch Clemens J. Setz‘ phantastische Erzählung »Kvaløya«, Heikko Deutschmanns kraftvoller Text »My Rainy Day Fun« oder Zoë Becks Erzählung von der Pfaueninsel »Pfau 117«. Wie auch immer das Thema verarbeitet wurde, ich bin den Autoren sehr gern auf jede der verschiedenen Inseln gefolgt und habe die Reisen genossen.
»…Inseln als Rettung und Trost inmitten eines unübersichtlichen und unberechenbaren Meeres, das dich essen will, man kann dich nicht so einfach erreichen, eine Flaschenpost braucht Jahre zu dir, und du brauchst dort nicht mal Schuhe. Eine Art nach außen gestülpter Uterus. Mit etwas Fantasie muss man nicht mal auf die Malediven, es würde schon eine Verkehrsinsel reichen […] Vielleicht hat es auch mit dem Wasser zu tun…«
(Tex Rubinowitz »Die Ofenbank auf der Minuteninsel«, Seite 103)
Fazit: Die Mischung macht’s! Die Anthologie »Irgendwo ins grüne Meer – Geschichten von Inseln« vereint gelungen 16 eigens für dieses Buch verfasste Geschichten deutscher Autorinnen und Autoren und ihren Ideenreichtum zum Thema Inseln. Ich wünschte, Erzählungen hätten in Deutschland einen höheren Stellenwert und würden als das anerkannt, was sie sind: Kleine Meisterwerke, die auf wenigen Seiten eine ganze Welt vor dem Leser ausbreiten und ihn zutiefst berühren können. Mehr davon!
»Es kam nämlich vor, dass zum Beispiel zwei Menschen, die einzeln zu ertragen waren, nicht mehr zu ertragen waren, wenn sie gleichzeitig am selben Ort waren. Albert wünschte sich dann eine Fernbedienung, mit der er einen der beiden stoppen konnte, damit der andere wieder zu ertragen war.«
(Zoë Beck »Pfau 117«, Seite 111)
Die Anthologie umfasst folgende Texte:
Maximilian Buddenbohm – »Im Jahr der Kolibris«
Verena Güntner – »Ciao madre«
Clemens J. Setz – »Kvaløya«
Harry Rowohlt – »Auf „Schwimmen-zwei-Vögel“«
Anne von Canal – »Gute Nachrichten«
Susann Pásztor – »Wozefak«
Heikko Deutschmann – »My Rainy Day Fun«
Tex Rubinowitz – »Die Ofenbank auf der Minuteninsel«
Zoë Beck – »Pfau 117«
Isabel Bogdan – »Laufen«
Thomas Pletzinger – »Sylvia, Sylvia, Sylvia«
Pia Ziefle – »Hochwasser«
Thommie Bayer – »Das Wesentliche«
Kathrin Seddig – »Halber Fisch«
Frank Schulz – »Die Weiße Fee von Töwerland«
Uwe Kolbe – »Jura, Innere Hebriden«
Anthologie »Irgendwo ins grüne Meer – Geschichten von Inseln«, herausgeben von Isabel Bogdan und Anne von Canal, ist im Mai 2016 im Arche Verlag erschienen – gebunden, 237 Seiten, EUR 14,99, ISBN 978-3716027431.
Laila Mahfouz, 31. Juli 2016
Links:
Die Fotostrecke von Laila Mahfouz zur Lesung finden Sie hier.
Informationen zur Anthologie »Irgendwo ins grüne Meer – Geschichten von Inseln« auf der Seite des Arche Verlages.
Die Website der Herausgeberin Isabel Bogdan finden Sie hier.
Die Website der Herausgeberin Anne von Canal finden Sie hier.
Informationen zu Laila Mahfouz finden Sie hier.