Lesung am 1. März 2016: Isabel Bogdan stellte ihren im Februar erschienen Debütroman »Der Pfau« im Literaturhaus Hamburg vor. Langweilig, einsam? So ist das Leben von Lord und Lady McIntosh auf ihrem Landsitz im schottischen Hochland wirklich nicht. Ein verrückter Pfau, eine eigenwillige Gans und Banker bei einem Teambuilding-Wochenende sorgen für viel Aufregung und vergnügliche sowie tiefsinnige Unterhaltung.
Handlung (dem Verlagstext entnommen): Eine subtile Komödie in den schottischen Highlands – very british!
Ein charmant heruntergekommener Landsitz, auf dem ein Pfau verrücktspielt, eine Gruppe Banker beim Teambuilding, eine ambitionierte Psychologin, eine schwungvolle Haushälterin mit gebrochenem Arm, eine patente Köchin, Lord und Lady McIntosh, die alles unter einen Hut bringen müssen, dazu jede Menge Tiere – da weiß bald niemand mehr, was eigentlich passiert ist.
Isabel Bogdan, preisgekrönte Übersetzerin englischer Literatur, erzählt in ihrem ersten Roman mit britischem Understatement, pointenreich und überraschend von einem Wochenende, das ganz anders verläuft als geplant. Chefbankerin Liz und ihre vierköpfige Abteilung wollen in der ländlichen Abgeschiedenheit ihre Zusammenarbeit verbessern, werden aber durch das spartanische Ambiente und einen verrückt gewordenen Pfau aus dem Konzept gebracht. Die pragmatische Problemlösung durch Lord McIntosh setzt ein urkomisches Geschehen in Gang, das die Beteiligten an ihre Grenzen führt und sie einander näherbringt. Ein überraschender Wintereinbruch, eine Grippe und ein Kurzschluss tun ihr Übriges.
Die Premierenlesung eines Debütromans ist immer ein besonderes Ereignis. Natürlich war Isabel Bogdan aufgeregt, hatte sie doch nie mit einem solchen Rummel um ihr Buch gerechnet. Auf ihr pfauenblaues Kleid und den prallgefüllten Lesungssaal angesprochen sagte sie:
»Ich fühle mich ein bißchen, als würde ich heiraten:
ich habe ein schönes Kleid an, bin aufgeregt
und ihr seid alle da!«
Die Idee zum Roman kam Isabel Bogdan, wie sie sagte, als bei einem ihrer zahlreichen Besuche von Freunden auf einem schottischen Landgut die Besitzer (keine Adligen) erzählten, einer der Pfauen sei verrückt geworden und greife neuerdings alles an, was blau und glänzend war wie beispielsweise Autos. Diese Geschichte musste erzählt und weitergesponnen werden, nahm sich die Übersetzerin englischer Literatur vor. Welche Verwicklungen der Pfau mit seinem merkwürdigen Verhalten auslöst, ist Dichtung und sehr unterhaltsam.
Der Weg zur Veröffentlichung wurde ein Paradebeispiel für das deutsche Schubladendenken, denn mehrere Verlage lehnten den Roman ab, weil es ihnen nicht möglich schien, ihn klar einem Genre zuzuordnen, denn er tendiere zwischen den in Deutschland wichtigen Kategorien E und U. Dass ausländische Romane zum Beispiel aus Amerika häufig diesen Kriterien entsprechen und die Verlage sie dennoch hier verlegen, bringt schon zum Grübeln. Dürfen alle außer deutschen Autoren sich diese Unbestimmbarkeit erlauben? Der für seine Vielseitigkeit bekannte Kiepenheuer & Witsch Verlag hat sich jedenfalls über das Zaudern der anderen gefreut und präsentierte Isabel Bogdans Debütroman »Der Pfau« stolz mit Postern und einer groß angelegten Werbekampagne.
Seit ihrem Studium ist Isabel Bogdan freiberuflich als Übersetzerin tätig und wurde unter anderem für ihre geistreiche Übersetzung von Jane Gardams Roman »Ein untadeliger Mann« sehr gelobt. Nach sechzehn Jahren Berufserfahrung macht ihr das Übersetzen immer noch viel Spaß. Auf die Fragen von Julia Westlake, ob das Übersetzen nach dem Verfassen eines eigenen Romans anders geworden wäre oder ob das Selbstschreiben leichter war durch das Übersetzen, antwortete die Autorin:
»Es befruchtet sich gegenseitig. Übersetzen zwingt zu sehr viel Genauigkeit und Gründlichkeit. Durch das Selbstschreiben lernt man Großzügigkeit und den Blick auf das Ganze.«
Die Lesung zu »Der Pfau« kam sehr gut an und über den Applaus freuten sich Moderatorin Julia Westlake und Lektor Olaf Petersenn vom Kiepenheuer & Witsch Verlag mit der strahlenden Autorin. Isabel Bogdan wirkte bei ihrer Premierenlesung schon fast wie ein alter Hase und ließ sich bewundernswerterweise auch von dem Fotografen nicht ablenken, der teilweise sogar über ihre Schulter und direkt vor ihrem Gesicht fotografiert hat, während sie las.
2006 erhielt Isabel Bogdan den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung für Tamar Yellins »Das Vermächtnis des Shalom Shepher«. 2011 wurde ihr dann einer der Hamburger Förderpreise für Literatur für ihren Romananfang zu »Der Pfau« zugesprochen. In der Begründung der Jury hieß es hierzu unter anderem: »sprachlich gelingt ihr eine Ironie durch stilistische Verknappung, die den Vergleich mit Autoren wie Alan Bennett nicht zu scheuen braucht«.
Hier liest Isabel Bogdan »Zehn Seiten« aus ihrem Roman »Der Pfau«:
»Einer der Pfauen war verrückt geworden. Vielleicht sah er auch nur schlecht, jedenfalls hielt er mit einem Mal alles, was blau war und glänzte, für Konkurrenz auf dem Heiratsmarkt.«
(Seite 7)
Der Argon Verlag brachte ebenfalls im Februar die Hörbuchausgabe von »Der Pfau« in – zum Glück – ungekürzter Form heraus.
Christoph Maria Herbst liest mit seinem unnachahmlich schelmischen Tonfall und mit viel Spielfreude das Buch vor. Wie herrlich ist es, ihm zu lauschen, wenn er in die einzelnen Rollen schlüpft und u. a. den unsicheren David, den entspannten Jim, die genervte Liz, die verliebte Aileen oder und vor allem die raffinierte Helen mimt. Dass die direkte Rede in diesem Roman eine Seltenheit ist, merkt der Zuhörer so kaum.
Isabel Bogdan postete in ihrem Blog auch ein kleines Interview mit Christoph Maria Herbst zur Arbeit an dem Hörbuch. Sie finden es hier.
Eine Hörprobe finden Sie hier oder mit Klick aufs Bild.
Das ganze Buch ist auf 4 CDs verteilt und hat eine Laufzeit von 5 Stunden und 16 Minuten.
Die Charaktere, die Isabel Bogdan in »Der Pfau« erschafft, sind wunderbar plastisch und entwickeln im Kopf des Lesers schnell ein Eigenleben. Sie sind sehr unterschiedlich angelegt. Faszinierenderweise erscheinen auch Personen, die ich anfangs als unsympathisch abgeurteilt hatte, bei näherer Betrachtung immer liebenswerter. Unterkühlt ist der Umgang miteinander, die Gespräche, doch humorvoll kommt dies beim Leser an. Die typisch britische Zurückhaltung und Reserviertheit führt dann letztlich zu all den Verwicklungen, denn Teambuilding hin oder her: würden die Menschen mehr miteinander reden, sich vertrauen, dann wäre dieses Buch nicht, was es ist. Alles dreht sich um das Ableben des verrückten Pfaus, das eine skurrile Handlung in Gang setzt. Der Roman lebt vor allem davon, dass nie zwei Menschen die gleichen Kenntnisse über die Ereignisse auf dem Landsitz haben. Als Leser weiß ich stets mehr als die gerade handelnde Person, was mich oft zum Schmunzeln gebracht hat. Jeder weiß ein oder zwei Details und gemeinsam wüssten sie alles, aber da sie ihre Beobachtungen nicht miteinander teilen, bleibt nur Chaos übrig…
… und eine richtig gute Geschichte.
Leider muss man sich als Leser auf den Seiten 227 – 232 doch sehr geschulmeistert fühlen, denn hier wird akribisch der Wissensstand aller Personen nochmals zusammengefasst, obwohl dies bereits hinreichend und mehrfach erklärt worden war. Als Lektorin hätte ich um die komplette Streichung dieser Seiten gebeten, denn dem Leser kann schon zugetraut werden, dass er sich merkt, was er soeben gelesen hat.
Schön ist der charmante Schreibstil in indirekter Rede. Herrlich auch, wie die Banker versuchen, sich mit den Widrigkeiten des Landlebens abzufinden. Zum Träumen bringt die Beschreibung des schottischen Hochlands in seiner rauen Schönheit und Abgeschiedenheit, die Reiselust weckt, die auch durch die beschriebene Kälte nicht gemindert wird. Die wunderbaren Charaktere der Tiere (Pfauen, Hunde und eine alte, sture Gans) und Menschen sind hervorzuheben. Die beste Figur ist für mich die Köchin Helen, die resolut ist und pragmatisch, immer ein Ass im Ärmel und den Schalk im Nacken zu haben scheint. Ihre Meinung zur Teambuilding-Maßnahme des gemeinsamen Hüttenbaus ist daher auch durchwachsen:
»Sie sollten bei diesem Aufenthalt gemeinsam bestimmte Tätigkeiten verrichten, um sich darüber bewusst zu werden, wer in dieser Konstellation welche Rolle innehatte. […]
Als Helen und David zurückkehrten, fragte die Chefin nur kurz, ob der Pfau gründlich verschwunden sei, und die Köchin sagte, sehr gründlich. David nickte stumm. […]
Die Sache mit dem Hüttenbau hielt sie [Helen] spontan für Küchenpsychologie und überflüssigen Unsinn; sie hätte bereits jetzt schon sagen können, wer in dieser Gruppe welche Rolle hatte, dafür brauchte sie den Bankern nicht beim Spielen im Wald zuzusehen. […]
Dass das Hüttenbauen und Draußensein den Bankern auf verschiedenen Ebenen durchaus guttun würde, daran hatte sie keinen Zweifel, und dass sie sich würden schmutzig machen müssen, erfüllte sie mit geradezu diebischer Freude.«
(Seite 105 – 107)
Trotz all der Leichtigkeit, mit der »Der Pfau« erzählt ist, berührten mich die leisen Zwischentöne tief. Diese britischen Banker sind gefangen in ihren Konventionen. In ihrer jeweiligen Einsamkeit schämen sie sich sogar für ihr Bedürfnis nach Nähe, da sie dies mit Schwäche gleichsetzen. Es stimmt traurig, die Wahrheit vieler Menschen hinter Isabel Bogdans Fiktion zu erkennen.
Wie bereits erwähnt, sind die anfangs als kühl und rein rational wahrgenommenen Banker viel liebenswerter, wenn sie näher betrachtet werden. Auch hier spiegelt Isabel Bogdan das Leben und fordert indirekt dazu auf, etwas genauer hinzuschauen. Die einheitsgrauen Banker jedenfalls gewannen von Seite zu Seite mehr Individualität, so dass es Freude machte, ihr Inneres zu entdecken. Letzteres gilt für alle Personen des Romans. Vor allem haben mich aber David, Andrew, Bernard, Jim und Liz sowie die Köchin Helen, die Psychologin Rachel und die Haushälterin Aileen überzeugen können.
Wer mehr lesen möchte, um sich zum Kauf entschließen zu können, findet hier eine Leseprobe.
Fazit: Isabel Bogdans Debütroman »Der Pfau« ist eine runde Sache mit viel Humor, schöner Sprache, ausgefeilten Charakteren und einem überraschenden Ende, das sich im Kopf des Lesers fortspinnt. Die Lektüre ist unterhaltsam, britsch-anmutend und mit psychologisch interessanten Charakterdarstellungen. Die logische Dynamik der Handlung lässt Raum für Überraschungen. »Der Pfau« ist eine Komödie, die als solche verfilmt werden sollte. Darauf ein Glas Drambuie!
Isabel Bogdans Roman »Der Pfau« ist im Februar 2016 im Kiepenheuer & Witsch Verlag erschienen – gebunden, 256 Seiten, EUR 18,99, ISBN 978-3462048001.
Isabel Bogdans Roman »Der Pfau« ist im Februar 2016 im Argon Verlag als Hörbuch mit einer Laufzeit von 5 Stunden und 16 Minuten auf 4 CDs erschienen, ungekürzt gelesen von Christoph Maria Herbst, EUR 19,95, ISBN 978-3839814581.
Über die Autorin: Isabel Bogdan, geboren 1968 in Köln, studierte Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokyo. Lebt in Hamburg, weil es da so schön ist. Sie verfasste zahlreiche Übersetzungen, u.a. von Jane Gardam, Nick Hornby, Jonathan Safran Foer, Jonathan Evison und Megan Abbott. Sie ist Vorsitzende des Vereins zur Rettung des »anderthalb«. 2011 erschien ihr erstes eigenes Buch »Sachen machen« bei Rowohlt, außerdem schrieb sie Kurzgeschichten in Anthologien.
Laila Mahfouz, 7. März 2016
Links:
Die Website von Isabel Bogdan finden Sie hier.
Weitere Informationen zu Isabel Bogdan auf der Seite des Kiepenheuer & Witsch Verlages. Hier finden Sie auch die anstehenden Lesungstermine.
Die Fotostrecke zur Lesung finden Sie hier. Alle Fotos sind von Laila Mahfouz.
Mehr Informationen zu Isabel Bogdan finden Sie hier.
Informationen zu Laila Mahfouz