Den Autoren des bemerkenswerten Sachbuches „Die Intelligenz der Pflanzen“ gelingt es, in ihrem nur 166 Seiten starken Werk alle Erkenntnisse des Themas von der Antike bis heute zusammenzufassen und auch Ungläubige von der Intelligenz der Pflanzen zu überzeugen.
Das vorliegende Sachbuch hat nicht den Anspruch, in wissenschaftlichen Kreisen unbekannte Erkenntnisse erstmals zu enthüllen. Vielmehr fasst es das gesamte Wissen über die Intelligenz der Pflanzen von der Antike bis heute zusammen. So wird aufgezeigt, wie die monotheistischen Religionen, Schriftsteller, Philosophen, Botaniker über die Pflanzenwelt (ver)urteil(t)en. Weiterhin setzen die Autoren sich mit der Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten und der Evolution der Pflanzen sowie ihrer Position als unser Lebenselixier auseinander. Besonders interessant ist das Kapitel über die Sinne der Pflanzen, in dem verdeutlicht wird, dass die Pflanzen über unsere fünf und mindestens weitere fünfzehn Sinne verfügen! Außerdem sind viele Pflanzenarten höchstwahrscheinlich in der Lage, zwischen Individuum und Schwarmverhalten zu wechseln. (Die Darstellung des Schwarmverhaltens und dessen „Erklärung“ ist hier leider missglückt.) Auch in Sachen Kommunikation stehen die angeblich so bewegungslosen Lebewesen den Tieren in nichts nach. Auch diese Erkenntnisse sind immens spannend und werden einige Neulinge auf diesem Gebiet überraschen. Das fünfte und letzte Kapitel widmet sich dem Hauptthema, der Intelligenz der Pflanzen, die für alle, die das Buch gelesen haben, unübersehbar deutlich erkennbar sein muss. Unübersehbar wird beim Lesen allerdings leider auch, dass wir in den hunderttausenden von Jahren des Zusammenlebens die Pflanzen, die eigentlichen Ureinwohner dieses Planeten, nicht besonders gut kennengelernt, geschweige denn auf deren Befindlichkeiten Rücksicht genommen haben.
Eigentlich müsste jedem denkenden Menschen klar sein, wie unglaublich abhängig wir von den Pflanzen sind, die uns Nahrung, Sauerstoff und Energie (Lebensenergie durch Nahrung wie auch fossile Brennstoffe) liefern. Dass Pflanzen auch stressmindernd wirken, die Konzentrationsfähigkeit erhöhen, Krankheiten schneller heilen lassen, uns entspannen und das Unfall- und Aggressionspotenzial senken, ist nun ebenfalls wissenschaftlich belegt und wird in „Die Intelligenz der Pflanzen“ wunderbar anhand von Beispielen und wissenschaftlichen Untersuchen ausgeführt. Geradezu schwindelig kann es dem werden, der über die Zerbrechlichkeit unserer Existenz nachdenkt. Die Pflanze aber kann sich aus ihren einzelnen Bestandteilen oftmals ganz leicht klonen und so vermehren. Im Gegensatz zu unseren zentralistischen Körpern, die ohne Kopf und Herz nicht existieren können, ist es der Pflanze leicht möglich, weiterzuleben, wenn wir sie ihrer Blätter, Blüten, Früchte oder einem Teil ihrer Wurzeln berauben. Manche Pflanzen können auf bis zu 95 % ihrer Bestandteile verzichten, ohne zu sterben. Diese Tatsache verdeutlicht die Überlegenheit der Pflanzen. Vielleicht lässt die Tatsache, dass wir Tiere von Pflanzen abhängig sind und ohne sie nicht leben können, beim Menschen eine große Angst entstehen und damit das Bedürfnis, sich dieses Machtverhältnis unbedingt spiegelverkehrt einzureden?
Zu Beginn des Buches werden Unterschiede wie Gemeinsamkeiten zwischen Tieren und Pflanzen in einer zum Nachdenken anregenden Ausführlichkeit erklärt. Da wir Tiere uns für die Fortbewegung und die Flucht entschieden haben, neigen wir dazu, Teilung, das Bewegungs- und Überlebensprinzip der Pflanzen, nicht als Bewegung oder Leben zu erkennen. Ein typischer Denkfehler, den ich als Krönung der Intoleranz empfinde und der mich daher auch immer entsprechend zorning werden lässt, ist, dass viele Menschen dazu neigen, etwas, das anders ist als wir, als nicht gleichwertig oder gleich nutzbar oder gleich gut anzusehen. Weil unser Gehirn angeblich alle unsere Gedanken und Handlungen steuert und die Pflanzen über ein solches Gehirn nicht verfügen, können sie nicht intelligenz sein. Diese Vorurteile sind seit Jahrtausenden in unserem Bewusstsein verankert. Während Demokrit (460 – 370 v. Chr.) die Pflanzen noch mit dem Menschen gleichsetzte, hat Aristoteles (383 – 322 v. Chr.) sie zur anorganischen Welt gezählt. Viele indigene Völker haben sie wiederum als heilig betrachtet. Da inzwischen belegt ist, dass der Gedanke, der zu einer Handlung führt, erst einen Sekundenbruchteil nachdem der Körper schon reagiert hat, auftaucht, ist klar, dass der Gedankengeber nicht das Gehirn sein kann, das vielmehr als Schaltzentrale, Computer und damit Werkzeug dient. Wenn wir also doch von einem großen Gesamtbewusstsein gesteuert werden und nur durch viel Glück eines der besseren Computermodelle abbekommen haben, dann trifft dies ebenfalls auf die Pflanzen zu, die nur über eine anders geartete Schaltzentrale verfügen. Da sie über Teilung funktionieren, ist in jeder Zelle alles verfügbar, um sich aus ihr neu zu entwickeln. Eigentlich ein viel schlaueres Prinzip als das unsrige. Die meisten Menschen erkennen Intelligenz leider nur, wenn sie unserer Form der Intelligenz ähnelt. Ein Fisch bewegt sich im Wasser sehr anders als ein Mensch, aber er schwimmt dennoch. Der Verdauungsapparat einer Schlange funktionert sehr anders als unser Magen, aber er verdaut dennoch. Etc. Warum sollte es bei der Intelligenz anders sein? Warum muss das, was wir uns noch nicht erklären können, stets und vehement geleugnet werden?
Da sich aber immer noch hartnäckig der Grundsatz hält, dass, wer sich nicht bewegen kann, auch nicht lebt, muss ich dazu auch noch meine Meinung schreiben: Bewegung ist ebenso relativ wie die Zeit! So wie das lange Leben einer Eintagsfliege für uns kaum wahrnehmbar ist, so ist für eine Eiche unser Leben nur ein geringer Bruchteil ihres mit Glück tausendjährigen Bestehens. Auch die Bewegung kann so langsam sein, dass wir sie mit bloßem Auge nicht erkennen können. Aber da wir nicht das Maß aller Dinge sein sollten, heißt das nicht, dass die Bewegung nicht existiert. Wer schon einmal blühende Pflanzen am Fenster oder auf dem Balkon genießen konnte, wird bestätigen, dass sie mehrmals täglich zu drehen wären, wenn ihre Blütenköpfchen nach innen zeigen sollen, denn ziemlich rasch drehen Pflanzen sich hin zum Licht. Die Bewegung unterhalb der Erde ist sogar noch viel aufregender, wenn auch für uns leider unsichtbar. „Die Intelligenz der Pflanzen“ beschreibt spannend, was genau die Wurzeln erspüren und wie exakt sie handeln können, wenn etwas Unvorhersehbares auftaucht. Das Buch hat mich auch dazu bewegt, „The Power of Movement in Plants“ von Charles Darwin zu lesen.
Manche These zu der Stellung der Pflanzen in der Welt ist auch heute noch gewagt. Der berühmte Botaniker Linné, der ketzerisch verkündete, dass Pflanzen auch schlafen und wegen Unmoral angeklagt wurde, weil er sich mit den Geschlechtsorganen und der Fortpflanzung von Pflanzen beschäftigte, verleugnete im 18. Jahrhundert noch die Existenz fleischfressender Pflanzen. Erst Charles Darwin wagte diese Feststellung, obwohl er sie vorsichtshalber nur insektenfressend nannte. Sein Sohn Francis Darwin, der nach dem Tod des Vaters seine Arbeit fortführte und den weltweit ersten Lehrstuhl für Pflanzenphysiologie inne hatte, sprach 1908 im Hinblick auf Pflanzen erstmals von „intelligenten Lebewesen“. Leider sind seine Erkenntnisse in den letzten hundert Jahren noch nicht ins kollektive menschliche Bewusstsein gesunken. Ich hoffe, dieses Buch trägt dazu bei. Zwölf Seiten mit Literaturverweisen, die übersichtlich in die Kapitel untergliedert sind, schließen das Buch ab und ergänzen es auf diese Weise hervorragend.
Fazit: Wer schon immer gespürt hat, dass die Sauerstoffproduktion unmöglich der einzige Grund für das gute Gefühl sein kann, das in der Nähe von Pflanzen erlebbar ist, der wird durch das Lesen dieses Buches Aufklärung und Bestätigung finden und mit noch wacherem Blick seine Umgebung wahrnehmen. Wer sich noch nie mit dem Thema auseinander gesetzt hat, wird von vielen wissenschaftlich belegten Ergebnissen mehr als überrascht sein. Für die Lektüre des Buches ist keinerlei Vorwissen nötig, denn alles wird in wunderbar einfacher Sprache erklärt. Ein Buch, das gleichermaßen für Einsteiger wie eingefleischte Pflanzenversteher interessant sein dürfte und das immens zum Nach- bzw. Umdenken und Philosophieren anregt, wie an meinen Ausführungen deutlich wird. Eine uneingeschränkte Empfehlung!
Stefano Mancuso und Alessandra Viola „Die Intelligenz der Pflanzen“, gebunden mit 166 Seiten, erschienen im Kunstmann Verlag unter ISBN 978-3956140303. Übersetzt von Christine Ammann.
Laila Mahfouz, 20. Juli 2015
Links:
Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf der Seite des Kunstmann Verlages hier.
Zum besseren Verständnis kann ein Filmvortrag von Stefano Mancuso beim TEDGlobal im Juli 2010 zum Thema „Die Wurzeln der Pflanzenintelligenz“ hier mit deutschen Untertiteln angesehen werden.
Wen das Thema nun gepackt hat, dem kann ich außerdem noch folgende Bücher empfehlen:
– „Das geheime Leben der Pflanzen“ von Peter Tompkins und Christopher Bird: „Pflanzen als Lebewesen mit Charakter und Seele und ihre Reaktionen in den physischen und emotionalen Beziehungen zum Menschen.“ Dieses Buch hat mich zum ersten Mal mit den wissenschaftlichen Bestätigungen meiner eigenen Beobachtungen vertraut gemacht.
– „Der Biophilia Effekt – Heilung aus dem Wald“ von Clemens G. Arvay: „Der Wald tut uns gut, das spüren wir intuitiv. […] Clemens G. Arvay zeigt diesen „Biophilia-Effekt“ nicht nur, er sagt auch, wie wir ihn mit Übungen besonders gut für uns nützen können. Im Wald, oder auch im eigenen Garten.“ Einen Link inklusive Buchtrailer zu diesem spannenden Buch, das ich derzeit gerade lese (und ev. auch noch rezensieren werde), finden Sie hier.
Informationen zu Laila Mahfouz