In seinem preisgekrönten Bestseller „Nachruf auf den Mond“ erzählt der britische Autor Nathan Filer von Matthew Homes, der auch als erwachsener Mann den traumatischen Verlust seines Bruders nicht verarbeiten kann und darum in eine Psychiatrie eingewiesen wird.
Inhalt: Als Matthew acht Jahre alt ist, stirbt sein älterer Bruder Simon auf tragische Weise und Matthews Leben ist danach nie mehr wie es einmal war. Seine Mutter kann den Verlust ihres Sohnes nicht verarbeiten und ist nicht in der Lage, für Matthew noch die Mutter zu sein, die er braucht. Wie sehr Matthew sich verändert und welche Schuldgefühle ihn quälen, merkt sie nicht. Als Jugendlicher beginnt er, das geliebte Mondgesicht seines Bruders in allem wiederzuerkennen. Zum ersten Mal seit Simons Tod fühlt Matthew sich wieder vollständig. Er versucht, für seinen Bruder die Ameisenfarm zu bauen, die dieser sich immer gewünscht hatte. Sein Vorhaben ufert allerdings so aus, dass seine Familie ihn in eine Psychiatrie einliefern muss. Dort beginnt Matthew seine Geschichte aufzuschreiben. Er erzählt von seinen Eltern, seinen Großeltern und von seinem Bruder Simon, den er weiterhin an seiner Seite wahrnimmt, sobald er seine Tabletten absetzt.
Nathan Filer kann sich wunderbar in die Psyche von Matthew einfühlen. Er hat selbst als Krankenpfleger in einer psychiatrischen Klinik gearbeitet und viele Erlebnisse als Anregungen für seinen Roman nutzen können. Als Ort der Handlung hat er mit Bristol die Stadt gewählt, in der er selbst lebt. Durch diese Nähe zum Stoff wirkt alles authentisch. Wenn Matthew erzählt, vergisst der Leser leicht, dass eigentlich Nathan Filer ihn sprechen lässt. Da das Buch wie ein Brief an den Leser geschrieben ist, entwickelt sich der starke Wunsch, Matthew helfen zu wollen.
Beim Lesen wird Matthew schnell zu einem Vertrauten und meine Sympathie und mein Mitgefühl waren von Anfang an bei ihm. Auch sein Bruder Simon wird so plastisch von ihm beschworen, dass ich Simon fast selbst ständig vor mir gesehen habe und Matthew immer besser verstehen konnte. Manche Szenen sind so eindringlich erzählt, dass sie mir lange im Gedächtnis bleiben werden. Der Umstand, auf den sich der Titel der Originalausgabe „Where the Moon Isn’t“ bezieht, ist so ein Beispiel, denn Simons Tod hat eine riesengroße Lücke hinterlassen und seine Familie starrt von nun an immer dorthin, wo er immer war und nicht mehr ist. Die Themen Verlust und Trauer werden in besonderer Weise aufgegriffen und die Lektüre kann für jemanden, der einen geliebten Menschen verloren hat, durchaus hilfreich sein.
Zur Übersetzung: Ich habe die deutsche Ausgabe parallel zum Original-Text gelesen und muss sagen, dass Eva Bonné den Ton sehr gut getroffen hat. Ich bin weitestgehend zufrieden mit der Übersetzung, habe aber leider doch ein paar Anmerkungen: Meiner Ansicht nach sollte an einem literarischen Werk in der Übersetzung möglichst wenig geändert werden, um die tatsächlichen Aussagen des Autors möglichst exakt zu spiegeln. Eva Bonné nimmt sich für meinen Geschmack an manchen Stellen zu viel Freiheit. So wird zum Beispiel aus “I hate stuff like that” (Originaltext Seite 19) in der deutschen Fassung “Ich hasse mich dafür” (Seite 26 Übersetzung). Dies ist meines Erachtens ein immenser und unnötiger Eingriff.
Auch Menschen wie ich, für die Mathematik noch nie ein Lieblingsfach war, werden über den Satz “Ich wiege fast hundertdreiundsechzig Pfund, oder vierundsiebzig Kilo, …” (Seite 76 Übersetzung) stolpern. Hier wäre mehr als eine wörtliche Übersetzung notwendig gewesen! Auch wenn man die im britischen Englisch mit Stones angegebene erstgenannte Maßeinheit nicht kennt, kann man sie keineswegs mit Pfund gleichsetzen und dann daraus noch eine vollkommen falsche Rechnung machen. Noch dazu werden diese Worte einem Lehrer in den Mund gelegt. Stones sind eine Maßeinheit, die in Deutschland nie verwendet wurde und statt den Leser mit so einem unsinnigen Satz aus der Handlung zu reißen, hätte man die erste Angabe einfach weglassen oder mit den richtigen Pfund-Angaben nämlich 148 versehen können. Eine Erklärung zu Stones findet sich ganz leicht unter Wikipedia (Den Link finden Sie hier.)
Die gebundene Ausgabe des Droemer Verlages, der meistens Taschenbücher herausgibt, ist besonders schön gestaltet und enthält alle für die Originalausgabe angefertigten Illustrationen und Briefe und die verschiedenen Schriftarten, die dadurch entstehen, dass Matthew seinen Text an Computer und Schreibmaschine verfasst. Extra: Besondere Freude hatte ich an dem fünfseitigen Interview mit dem Autor am Ende des Buches.
Fazit: Bei diesem Buch stimmt alles. Die Personen sind authentisch, die Geschichte ist bewegend und aufrüttelnd zugleich. Die Spannung ergibt sich aus dem nicht chronologisch erzählten Leben, dem Klinikaufenthalt und den interessanten Figuren. So konnte ich das Buch, einmal begonnen, auch kaum weglegen und habe es in Blitzgeschwindigkeit durchgelesen. Ein ganz bemerkenswertes Debüt eines Autors, von dem hoffentlich bald ein neues Buch erscheint, das ich mir ebenfalls nicht entgehen lassen werde. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich „Nachruf auf den Mond“ irgendwann noch einmal lesen werde und kann es uneingeschränkt empfehlen.
Nathan Filer „Nachruf auf den Mond“, gebunden mit 315 Seiten, erschienen im Droemer Verlag unter ISBN 978-3426281246. Übersetzt von Eva Bonné.
Nathan Filer „Where the Moon Isn’t“, gebunden mit 310 Seiten, erschienen im St. Martin’s Verlag unter ISBN 978-1250026989.
Laila Mahfouz, 6. Juli 2015
Links:
Die Website von Nathan Filer finden Sie hier.
Informationen zu Laila Mahfouz