Espen Haavardsholm erzählt in seiner Romanbiografie „Eine Liebe in den Tagen des Lichts“ von den letzten zwei Jahren im Leben Edvard Munchs. Die auf authentischen Quellen beruhenden Ereignisse dieser Zeit führten dazu, dass der Maler, der sich bereits vom Leben verabschiedet hatte, in eine weitere Schaffensphase eintrat.
Das von den Deutschen besetzte Norwegen im Kriegsjahr 1942: Der inzwischen 79-jährige Maler Edvard Munch (1863 – 1944), dessen Erfolge ihm einen sorgenfreien Lebensabend mit einer Haushälterin auf seinem Gut Ekely im idyllischen Oslofjord ermöglichen, hat sich schon aus dem Leben und der Kunst verabschiedet, als sich ihm im Frühling 1942 die 23-jährige Jurastudentin Doffy (eigentlich Dorothy) als Modell anbietet. Hatte er zuvor die Lust am Malen beinahe verloren und nur noch über die Vergangenheit und die Entstehung seiner Meisterwerke sinniert, so scheint sein Winterschlaf nun vorbei, denn Doffy weckt in dem alten Mann verschüttete Seelenregungnen und fiebrige Phantasien. Sie verehrt die Malerei Munchs seit einiger Zeit und so entwickelt sich nach anfänglichem Misstrauen eine Freundschaft, die in ihm bald in Verliebtheit umschlägt. Obwohl er ziemlich eindeutig sein Verlangen nach der jungen Frau zeigt, hindert sie der gewaltige Altersunterschied lange daran, eine körperliche Verbindung mit dem Maler einzugehen. Doffy wird jedoch Munchs Muse und mit ihr verlässt er endlich wieder das Haus, unternimmt Ausflüge und schafft einige wunderbare Bilder. Die Liebesbeziehung bleibt ziemlich einseitig, bringt dem an Körper und Seele erkrankten Mann aber einen neuen Schaffensschub.
Der Roman ist abwechselnd aus den Perspektiven beider Hauptcharaktere erzählt. Munch – im Roman nur M. genannt – reflektiert immer wieder seine Vergangenheit. Er denkt viel an seine Kindheit in Armut, an die frühen Verluste der Familienmitglieder, an Krankheit und Tod und an die Loslösung aus den bürgerlichen Wertevorstellungen des Vaters. An sein Leben als Künstler und auch an seinen Aufenthalt in der Nervenheilanstalt in Kopenhagen. So erlebt der Leser des Romans auf wunderbar erzählte Weise, wann und wo ein Bild entstanden ist und in welcher Lebensphase sich der Maler gerade befunden hatte. Dorothys Passagen handeln hingegen von der Gegenwart, in der sie mit ihrer Freundin Kari eine ärmliche Unterkunft teilt und mit der Nahrungsmittelknappheit leben muss. Ihr Blick ist auf die Zukunft gerichtet. Der Wechsel zwischen dem Menschen, dessen Leben bald ein Ende findet und dem, dessen Leben gerade erst richtig beginnt, ist manchmal schmerzhaft, aber sehr wahrhaftig und schnörkellos geschrieben.
Fast ist es so, als wäre Ekely nicht Teil der Welt und die Figuren könnten beim Betreten die Realität des Krieges hinter sich zurück lassen. Wie eine Traumlandschaft existiert diese Insel im grauen und bedrohlichen Alltag des zweiten Weltkrieges. Da die sonntäglichen Besuche Dorothys für Munch die Höhepunkte seiner Woche darstellen, hat Haavardsholm seinen Roman im Original auch „Besøk på Ekely“ genannt, ein Titel, der auch für die ersten ab 1942 entstandenen Werke Munchs gewählt wurde. Woher der Autor des Romans die Kenntnis der teilweise biografischen Ereignisse bezieht, erklärt sich in der Anmerkung des Autors am Ende des Romans und doch bleibt es ein Tanz zwischen Fiktion und Wirklichkeit, die zu ergründen nur Haavardsholm den Schlüssel besitzt. Dem Leser bleibt der wunderbare Platz ganz vorm im Parkett und der unsichtbare Mantel, der es erlaubt, ganz ungestört an selbst intimen Momenten teilzuhaben.
Fazit: In einfacher Sprache werden Bilder gemalt, die lange im Gedächtnis bleiben. Ruhig plätschert der Roman dahin und ist doch angefüllt mit Emotionen und Ereignissen im Leben dieser beiden faszinierenden Menschen. Es gibt schon genug Literatur zum Thema „alter Mann liebt junge Frau“, das mag sein, aber hier wird keine leidenschaftliche Liebesgeschichte erzählt, sondern die Macht, die Verliebtsein, egal in welchem Alter, auf uns ausüben kann und welche ungeheure Kreativität sie auszulösen im Stande ist. Ein stiller Roman mit einem ganz neuen Blick auf Munch und eine Empfehlung nicht nur für Kunstfreunde.
Espen Haavardsholm „Eine Liebe in den Tagen des Lichts“, gebunden mit 318 Seiten, erschienen im Osburg Verlag unter ISBN 978-3955100209. Übersetzt von Andreas Brunstermann und Gabriele Haefs.
Laila Mahfouz, 23. April 2015
Links:
Biographische Informationen zu Edvard Munch finden Sie hier.
Eine Liste aller Werke Munchs finden Sie hier.
Informationen zu Laila Mahfouz